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DAZ Feuilleton
Erinnerungen an den Botaniker August Friedrich Schweigger (1783 – 1821)
Wer ist der Autor? August Friedrich Schweigger, ein in Vergessenheit geratener, aber zu Lebzeiten nicht unbedeutender Botaniker, wurde am 8. September 1783 in der fränkischen Hugenottenstadt Erlangen als Sohn des Pfarrers und späteren Theologieprofessors F. C. L. Schweigger (1743 – 1802) geboren. Er verlor jedoch schon am 28. Juni 1821, noch nicht 40 Jahre alt, sein Leben. Auf einer Exkursion nach Sizilien überfielen und ermordeten ihn Straßenräuber. Eine viel versprechende wissenschaftliche Karriere wurde abrupt beendet [1, 2, 3, 4].
Von Franken nach Preußen
Schweigger hatte u. a. in Halle und in Berlin Medizin, Zoologie und Botanik studiert und um 1806 im Pariser Jardin des Plantes botanische Studien betrieben. Bereits mit 22 Jahren schrieb er ein "Specimen flora erlangensis", das er 1811 gemeinsam mit Franz Körte (1782 – 1845) zur "Flora Erlangensis" erweiterte. Seit 1809/10 war er Professor für Botanik und Medizin an der Königsberger Universität, der Albertina.
Zusammen mit dem berühmten Königsberger Apotheker und Professor Karl Gottfried Hagen (1749 – 1829), der an der Albertina Physik, Mineralogie, Chemie und Pharmazie, vor allem aber Botanik lehrte [5, 6], und mit dem Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel (1784 – 1846) gründete Schweigger 1812 das "Königsberger Archiv für Naturwissenschaften und Mathematik", eine seinerzeit viel beachtete Zeitschrift, in der er selbst manchen Aufsatz veröffentlichte. Auch Schweiggers ausgedehnte Studienreisen belegen seine Forschungsinteressen. Ab 1811 hatte er Schweden, Dänemark, England, Frankreich und Italien besucht. Eine Exkursion durch Südeuropa, die mehrere Jahre dauern sollte, endete mit seiner Ermordung in der Nähe von Camerata auf Sizilien.
Der Königsberger
Botanische Garten Etwa 1806 hatte der preußische Kriegs- und Domänenrat J. G. Scheffner (1736 – 1820) in Königsberg ein großes Grundstück (es lag zwischen der Bessel- und Butterbergstraße, nahe dem späteren Institut für Pharmazie und der Sternwarte) dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. übereignet – gegen eine Leibrente von 700 Talern. Auf dieser Fläche wurde der schon lange geplante Botanische Garten der Universität angelegt [3, 4].
Auf Vorschlag K. G. Hagens ernannte der preußische Staatsminister Wilhelm von Humboldt im Jahr 1811 Schweigger zum ersten Direktor des Botanischen Gartens – für den Franken eine hohe Ehre. Aber erst 1818 war die Anlage des Königsberger Botanischen Gartens abgeschlossen. 1820 publizierte Schweigger in den "Beiträgen zur Kunde Preußen" (Bd. 3, S. 1 – 43) einen Aufsatz mit Daten und Plänen des Botanischen Gartens. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der letzte deutsche Direktor dieses Gartens (von 1934 bis zum Untergang Königsbergs Anfang 1945) der bekannte Pharmazeutische Biologe und Pflanzenbiochemiker Kurt Mothes (1900 – 1983) war [7].
Die Anatomie der Invertebraten
Die Fülle und Weite von Schweiggers wissenschaftlichen Fragestellungen zeigt in besonderer Weise der Titel des anfangs erwähnten Buches. Dort stehen nicht Pflanzen im Mittelpunkt, sondern "skelettlose ungegliederte Thiere", nach heutiger Terminologie Invertebraten. Der Autor war der Ansicht, dass die Botaniker von den Zoologen lernen könnten, indem sie neben den (äußeren) morphologischen auch die (inneren) anatomischen und physiologischen Merkmale der Pflanzen stärker studieren und bei der Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems berücksichtigen. Das geht besonders deutlich aus der "Vorrede" des Buchs hervor, in der Schweigger über die "Thiere der untersten Classen" schrieb: "Es reizte mich die Hoffnung, daß eine speciellere Kenntniß dieser pflanzenartigen Körper als Leitfaden dienen könne, um Pflanzenfamilien vergleichend anatomisch und physiologisch zu untersuchen. ...Bey der innigen Verwandtschaft des Pflanzenreichs mit den Thieren, von welchen ich handle, erschien es mir passend, schon in gegenwärtiger Schrift thierische und vegetabilische Bildungen öfters vergleichend zusammen zu stellen. Ich glaube, daß die Kenntniß beyder durch solche Vergleichungen gewinnen könnte." Insbesondere setzte Schweigger sich in seiner "Vorrede" mit der Frage auseinander, wie die vergleichende Anatomie methodisch am besten darzustellen sei.
Die damals führenden französischen Zoologen (vor allem der Systematiker und Paläontologe Georges de Cuvier, 1769 –1832) handelten nacheinander die einzelnen tierischen Organe ab, wobei sie jeweils deren Vorkommen und Erscheinungsformen in den verschiedenen Tierklassen beschrieben. Schweigger meinte jedoch, dass es besser sei, den Stoff nach den einzelnen Tierklassen zu gliedern: "Vorzügliche Wichtigkeit hat es für den Zoologen, die verschiedenen Stufen der Entwicklung zu erforschen, auf welchen die einzelnen Organe bey Vergleichung verschiedener Classen erscheinen. ...Häufig ist ein Theil in Thieren unterer Ordnungen mehr entwickelt, als in obern, und fast jede Abtheilung enthält Species, durch welche sie mit denen der untersten Classe mehr oder minder in unmittelbarem Zusammenhange steht. Diese Berührungspuncte und überhaupt die Eigenthümlichkeiten der Thiere der einzelnen Abschnitte lassen sich leichter hervorheben, wenn nicht nach Organen, sondern für jede Classe besonders, das Anatomische und Physiologische angegeben wird. Bey Zusammenstellung des gesammten Baues der Thiere einer Classe springt auch leichter in die Augen, wo noch Erfahrungen fehlen, und bey Arbeiten über einzelne Abtheilungen ist es erwünscht, die Organe der zu ihnen gehörigen Thiere, rücksichtlich ihrer Bildung, neben einander aufgeführt zu finden, und nicht in verschiedenen Abschnitten suchen zu müssen."
Um dem Leser die Orientierung zu erleichtern, hatte Schweigger "die wichtigsten Stufen thierischer Entwicklung und die daraus hervorgehenden Verwandtschaften in der Einleitung ...und in den zwey folgenden Abschnitten über Classification und allgemeine Characteristik der Classen" zusammengestellt.
Die für Schweigger besonders interessante Beziehung zwischen Zoologie und Botanik beabsichtigte er allerdings nicht hier, sondern an anderer Stelle zu publizieren: "Dem Abschnitte über Systematik gedachte ich einige Bemerkungen über die entgegengesetzten Methoden der Botaniker beyzufügen. Ich wollte versuchen näher zu entwickeln, daß Botanik ähnlich wie Zoologie zu bearbeiten sey, und daß auch botanische Classificationen nur dann als natürlich betrachtet werden können, wenn sie als Resultate anatomischer und physiologischer Untersuchungen hervorgiengen. Ich fürchtete jedoch diesen Gegenstand als zu fremdartig aufzunehmen, und zog daher es vor, in einer eigenen Abhandlung ihn ausführlicher zu erörtern, als es hier hätte geschehen können, und darin zugleich Beyträge zu einer künftigen anatomisch-physiologischen Classification der Gewächse niederzulegen." Diese posthum 1821 in Königsberg erschienene Hauptarbeit Schweiggers trägt den Titel: "De plantarum classificatione naturali, disquisitionibus anatomicis et physiologicis stabilienda".
Die "Vorrede" endet mit der Ankündigung einer Forschungsreise: "Bald gedenke ich aufs neue südliche Meere zu besuchen: dann soll ein weiteres Studium der Thiere der unteren Classen mein eifriges Bestreben seyn." Von dieser Reise kehrte Schweigger nicht mehr zurück.
Bescheidener Nachruhm
Dass der Königsberger Botaniker August Friedrich Schweigger in der Wissenschaft nicht ganz vergessen wurde, ist einerseits dem Biologen Kurt Polycarp Joachim Sprengel (1766 –1833) zu verdanken. Als er eine strauchartige Violacee aus Südamerika taxonomisch beschrieb, benannte er sie Schweigger zu Ehren Schweiggeria fruticosa [8]. Zur Gattung zählen zwei weitere Arten: S. mexicana und S. floribunda. Andererseits trug der Apotheker Franz Wilhelm Seidel (1795 –1838), der später Pharmazieprofessor in Halle war, zur posthumen Bekanntheit des Namens bei: Er war von Schweiggers älterem Bruder Johann Salomo Christoph Schweigger (1779 –1857), Professor für Physik und Chemie in Halle, adoptiert worden und nannte sich nach Schweiggers Tod ihm zu Ehren Schweigger-Seidel.
Schließlich erinnert noch heute in Königsberg/Kaliningrad ein Denkmal an den ersten Direktor des Botanischen Gartens der Albertina. Es hat die Wirren des 2. Weltkrieges überstanden und begrüßt am originalen Standort die Gäste des "Ökologisch-Biologischen Gebietszentrums für Schüler", das an Stelle des "alten" Botanischen Gartens entstanden ist [9]. Ich hoffe sehr, dass dieses Denkmal aus einer längst vergangenen Zeit heute wieder etwas Beachtung findet, vor allem bei deutschen und russischen Jugendlichen. Möge es sie motivieren, nach Jahrzehnten der Feindschaft die Chancen der Gegenwart zu erkennen und für eine gemeinsame und hoffnungsvolle Zukunft zu arbeiten.
Anschrift des Verfassers:
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Franz-C. Czygan
Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie der Universität Würzburg
Julius-von-Sachs-Platz 2
97082 Würzburg
Literatur und Anmerkungen
[1] R. Caspary: Lebensbeschreibungen ost- und westpreußischer Botaniker. In: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des preußischen botanischen Vereins, 1912, S. 189 ff.
[2] F. Gause: Die Geschichte der Stadt Königsberg. Band II, S. 348 ff. Böhlau Verlag, Köln/Graz 1968.
[3] G. Neumann: Die Entstehung des Botanischen Gartens und der Sternwarte. Ostpreußenblatt 21, 11 (1964).
[4] K. Lawrynowicz: Albertina. Duncker & Humblot, Berlin 1999.
[5] R. Albinus: Königsberg Lexikon. Flechsig Verlag, Würzburg 2002.
[6] Karl Gottfried Hagen (1749 – 1829) war ein Mitglied der Königsberger
„Familiendynastie“ Hagen. Bekannt wurde er vor allem durch sein „Lehr- buch der Apothekerkunst“. Eine ver- besserte Auflage von 1805 führte dazu, dass Hagen in Kreisen der Pharmazeu- ten und Chemiker als Begründer der wissenschaftlichen Pharmazie angese- hen wurde; 1818 schrieb er ein grund- legendes Werk über „Preußens Pflan- zen“ und 1819 eine „Flora borussica“. Vgl. E. Neumann-Redlin von Meding und J. von Meding: Karl Gottfried Ha- gen (24. 12. 1749 – 2. 3. 1829) und die wissenschaftliche Pharmazie an der Albertusuniversität in Königsberg/ Preußen. Geschichte der Pharmazie 51, 53 – 59 (1999).
[7] B. Parthier: Kurt Mothes (1900 ! ! ! ! – ! ! ! ! 1983); Gelehrter, Präsident, Persönlichkeit. Acta Historica Leopoldina Nr. 37 (2001).
[8] Neue Entdeckungen im ganzen Um- fang der Pflanzenkunde 2, 167 (1820).
[9] Der heutige Botanische Garten der Staatsuniversität Kaliningrad entspricht der 1904 – 1907 durch den Gartenbau- inspektor Paul Kaeber (1869 – 1919) angelegte Stadtgärtnerei im nördlichen Maraunenhof, einem Stadtteil von Königsberg (s. auch [4, 5]).
Stadtjubiläum
Kaliningrad feiert vom 1. bis 3. Juli die Gründung von Königsberg vor 750 Jahren. http://Kaliningrad750.ru/de
Veredelte Natur
"Der alte Botanische Garten der Königsberger Universität galt in vergangenen Zeiten als einer der schönsten Botanischen Gärten Deutschlands. Und obwohl es dem Garten nicht erspart blieb, schwere Zeiten durchzumachen, hat sich diese kleine Insel lebendiger, durch Hand und Verstand des Menschen veredelter Natur einen auch heute noch unaussprechlichen Zauber bewahrt." Aus [4].
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