Ernährung aktuell

Zöliakie – häufiger als bislang vermut

Die bei Manifestierung im Kindesalter Zöliakie genannte und beim Auftreten im Erwachsenenalter als (einheimische) Sprue bezeichnete Nahrungsmittelunverträglichkeit ist eine Erkrankung des Dünndarms, die abhängig vom Schweregrad mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Beeinträchtigung der Nährstoffabsorption einher geht. Die Zöliakie ist weiter verbreitet, als bisher vermutet wurde. Etwa jeder 500ste Deutsche hat Antikörper gegen Klebereiweiß im Blut und ist deshalb gefährdet, an einer Zöliakie zu erkranken.

Die Zöliakie beruht auf einer Unverträglichkeit des Organismus, speziell der Dünndarmschleimhautzellen, gegenüber Getreideproteinen (Gluten/Prolamin) aus Weizen, Dinkel (Grünkern), Roggen, Gerste und Hafer. Die orale Aufnahme des Klebereiweißes Gluten führt bei Zöliakie-Patienten zu einer toxisch-allergischen Schädigung der Dünndarmschleimhaut (das Gleiche gilt für Sprue-Patienten, der Einfachheit halber wird im Folgenden immer nur der Begriff Zöliakie verwendet).

Normalerweise wird die aufgenommene Nahrung im Dünndarm aufgespalten und die einzelnen Nahrungsbestandteile über die Darmschleimhaut resorbiert. Um dafür eine genügend große Oberfläche zu schaffen, ist der Darm mit einer Vielzahl an Fältchen, den so genannten Zotten, ausgekleidet. Diese Zotten bilden sich bei Zöliakie-Patienten unter Gluteneinwirkung zurück, die Dünndarmschleimhaut flacht ab und die Oberfläche wird somit verringert. Bei andauernder Glutenbelastung wird der Oberflächenverlust (Zottenatrophie) so groß, dass nicht mehr genügend Nährstoffe vom Körper aufgenommen werden können und Mangelerscheinungen auftreten. Die Krankheit besteht nach heutigem Erkenntnisstand ein Leben lang, der genaue Mechanismus der schädigenden Wirkung von Gluten auf die Dünndarmschleimhaut ist trotz intensiver Forschungen bislang noch nicht geklärt. Es konnte jedoch nachgewiesen werden, dass eine erbliche Veranlagung Voraussetzung für die Entwicklung der Zöliakie ist.

Symptome: Wachstumsstörungen bei Kindern?

Die wichtigsten Symptome einer Zöliakie sind ein aufgeblähter Bauch, der in Kontrast zu einem mageren Körper steht; das Körpergewicht liegt unterhalb der Altersnorm. Häufige, massige, glänzende, übelriechende Stühle, Wachstumsstörungen, gelegentliches Erbrechen einer Mahlzeit, Appetitlosigkeit und trockene Haut sind weitere Krankheitszeichen. Das Ausmaß der Malabsorption ist vom Grad der Zottenatrophie abhängig. Typisch für die Zöliakie ist die individuell unterschiedliche Krankheitsentwicklung und -ausprägung. Einige Säuglinge erkranken bereits wenige Wochen nach Einführung einer glutenhaltigen Beikost, bei anderen kann es Monate bis Jahre dauern und die Symptome bleiben eher uncharakteristisch. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt, möglicherweise spielt der Zeitpunkt der Einführung und die Menge der glutenhaltigen Nahrung eine Rolle - deshalb wird vorbeugend empfohlen, nicht vor dem 5. Lebensmonat mit glutenhaltiger Beikost zu beginnen.

? Bauchschmerzen

bei Erwachsenen Bei Jugendlichen und Erwachsenen verläuft die Krankheit uncharakteristisch. Die gestörte Nährstoffausnutzung führt zu Gewichtsverlust sowie Vitamin- und Mineralstoffmangel. Die Betroffenen leiden an Völlegefühl, Blähungen, Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, gelegentlichen oder fortwährenden Durchfällen mit voluminösen, hellfarbenen und fettigen Stühlen. Wird die Krankheit nicht erkannt und die Ernährung entsprechend nicht umgestellt, können sich langfristig vermehrt bösartige Tumore im Bereich des Gastrointestinaltraktes entwickeln.

Bei schweren Verlaufsformen entsteht zusätzlich ein sekundärer Laktasemangel, der die Verdauung von Milchzucker stört. Diese erworbene Laktoseintoleranz verstärkt die Symptomatik für den Patienten erheblich. Allerdings können sich die Dünndarmschleimhautzotten bei konsequent gluten- (und laktose-) freier Ernährung regenerieren, so dass auch das Enzym Laktase wieder in ausreichender Menge gebildet wird. Neben der Zöliakie/Sprue mit einer charakteristischen klinischen Symptomatik gibt es auch asymptomatisch/latente Verlaufsformen. Die Krankheitszeichen sind uncharakteristisch, es treten Bauchbeschwerden, Eisenmangelanämien, Veränderungen an der Mundschleimhaut auf, Kinder zeigen häufige, wenig geformte Stühle und Wachstumsverzögerungen.

Nicht jeder Betroffene

fühlt sich krank

Die Veranlagung für eine Zöliakie liegt in Deutschland bei 1:500. Doch glücklicherweise erkrankt nur jeder Vierte dieses Personenkreises tatsächlich an der Nahrungsmittelunverträglichkeit. Das hat eine Querschnittsstudie von J. Henker et al, Universitätsklinikum Dresden, ergeben. Das Team untersuchte eine repräsentative Auswahl von 3004 Kindern und 4313 Erwachsenen. Ergebnis: Jedes 500ste Kind und jeder 540ste Erwachsene hatte Antikörper gegen Klebereiweiße im Blut. Alle Personen hatten auch Veränderungen der Darmschleimhaut - wiesen jedoch keine Symptomatik auf. Eine frühere Studie derselben Gruppe hatte ergeben, dass die Krankheitshäufigkeit bei 1:2000 liegt. Bezieht man die neuere Untersuchung ein, bedeutet das, dass drei von vier an Zöliakie Erkrankten sich gesund fühlen - es aber möglicherweise nicht sind. Das ermöglicht den Betroffenen einerseits ein ?normales? Essverhalten, schützt sie jedoch nicht vor den möglichen Spätfolgen der Zöliakie, dem erhöhten Darmkrebsrisiko.

Helfen kann nur eine Diät

Medikamente zur Besserung oder Heilung der Zöliakie gibt es nicht. Die einzige wirksame Behandlungsmöglichkeit ist die Vermeidung des auslösenden Faktors Gluten durch eine lebenslange klebereiweißfreie Ernährung. Gemieden werden müssen: Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Hafer und alle daraus hergestellten Erzeugnisse. Als Ersatz können Reis, Mais oder Esskastanienmehl dienen. Vorsicht ist auch geboten bei Fertigprodukten, die oft Mehl, Weizenstärke, Weizenkleie oder auch direkt Gluten als Bindemittel enthalten, z. B. Kroketten, Wurstwaren, Fischkonserven, Fleischextrakte, Eiscreme und Süßigkeiten (Tab. 1). Gluten hat viele für Lebensmittelhersteller wünschenswerte Eigenschaften. Es geliert, emulgiert, bindet Wasser, stabilisiert und ist ein guter Trägerstoff für Aromen. Die Zugabe von Gluten zu diesen Zwecken ist nicht immer ohne weiteres erkennbar, da Gluten nicht grundsätzlich in der Zutatenliste aufgeführt werden muss. Daher ist die Zutatenliste beim Einkauf nur dann eine Entscheidungshilfe, wenn eine leicht als glutenhaltig erkennbare Zutat aufgelistet ist, die das Lebensmittel für die Betroffenen dann ausschließt. Sicher können Betroffene nur sein, wenn Produkte das Symbol der durchgestrichenen Ähre zeigen, also definitiv glutenfrei sind. Hilfreich ist in der Praxis die ständig aktualisierte "Aufstellung glutenfreier Lebensmittel" der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (s. Kasten).

Meist tritt bereits wenige Tage nach der Ernährungsumstellung eine Verbesserung der Symptome ein. Die Zeitspanne bis zur völligen Beschwerdefreiheit kann jedoch sehr unterschiedlich ausfallen, sie ist unter anderem abhängig vom Schädigungsgrad der Darmschleimhaut, dem Alter des Patienten und anfänglichen (versteckten) Diätfehlern.

Dr. Eva-Maria Schröder, Tutzing

Literatur:
J. Henker et al.: Prävalenz der asymptoma- tischen Zöliakie bei Kindern und Er- wachsenen in der Region Dresden. DMW 127 (28/29), 1511 – 1515 (2002).
DGE-Beratungsstandards

Hier ist Gluten drin

Mehl, Grieß, Graupen Brot, Brötchen, Knäckebrot, Zwieback Kuchen, Kekse Nudeln Müsli Paniermehl Malzkaffee Bier, Malzbier usw.

Vorsicht vor Getreide

Gluten ist in den folgenden Getreidesorten enthalten: Weizen Roggen Gerste Hafer Grünkern Dinkel Kamut Einkorn Urkorn Emer Triticale und sonstige Weizenderivate

Glutenfreie Nahrungsmittelgruppen

Folgende Nahrungsmittelgruppen sind glutenfrei, solange sie unverarbeitet sind: Milch und naturbelassene Milchprodukte wie Naturjoghurt, Quark, Dickmilch, Sahne, Schnitt- und Weichkäse (sofern diese nicht weiterverarbeitet oder z.B. mit anderen Lebensmitteln gemischt wurden!) Öl, Butter, Margarine Fleisch, Fisch, Ei Obst Gemüse Hülsenfrüchte, Kartoffeln Reis, Mais, Hirse, Buchweizen, Amaranth, Quinoa

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