Arzneimittel und Therapie

Entlassung von Naratriptan aus der Verschreibungspflicht

Feste orale Zubereitungen von Naratriptan sollen für die Behandlung des Migränekopfschmerzes in Konzentrationen bis 2,5 mg je abgeteilter Form und in einer Gesamtmenge bis 5 mg aus der Verschreibungspflicht entlassen werden. Das hat der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht im Rahmen seiner Sitzung am 28. Juni 2005 beschlossen. Wenn der Gesetzgeber den Empfehlungen des Ausschusses folgt, könnte eine entsprechende Änderungsverordnung zum 1. Januar 2006 in Kraft treten. Wir sprachen mit Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Neurologische Klinik der Universität Essen, über Hintergründe und Konsequenzen, die sich aus der Entlassung von Naratriptan aus der Verschreibungspflicht für die Apotheke ergeben.

 

DAZ:

Neben Naratriptan gibt es eine Reihe weiterer Triptane. Warum soll gerade Naratriptan aus der Verschreibungspflicht entlassen werden? Wie sieht die Situation bei den anderen Triptanen wie Sumatriptan, Almotriptan oder Eletriptan aus?

Diener:

Der Hauptgrund dafür, Naratriptan aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, war das gute Nebenwirkungsprofil. Es gibt derzeit zwei Triptane, nämlich Naratriptan und Frovatriptan, bei denen sich das Nebenwirkungsspektrum nicht von Plazebo unterscheidet. Die anderen, zugegebenermaßen etwas besser wirksamen Triptane wie Sumatriptan, Almotriptan, Rizatriptan und Eletriptan haben auch im Vergleich zu Naratriptan etwas mehr Nebenwirkungen. Für Naratriptan sprach auch, dass es nur in einer Dosis von einer Anwendungsform (Tablette) zur Verfügung steht.

DAZ:

Triptane sind ja keine unproblematischen Arzneistoffe, es gibt viele Gegenanzeigen. Sie dürfen nicht bei medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen eingesetzt werden, auch nicht bei Gefäßerkrankungen, nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Unter welchen Voraussetzungen befürworten Sie eine Selbstmedikation der Migräne mit Naratriptan?

Diener:

Naratriptan ist gedacht für Patienten, die bereits wissen, dass sie unter einer Migräne leiden und diese erfolgreich mit Naratriptan behandeln können. Migräne tritt meistens in einem Lebensalter auf, in dem vaskuläre Erkrankungen, die eine Kontraindikation für Triptane darstellen, keine Rolle spielen. Der Einsatz von Triptanen bedarf auch jetzt schon keiner ausführlichen Voruntersuchung beispielsweise durch ein EKG. Dies wäre nur notwendig, wenn ein entsprechendes Risikofaktorprofil besteht. Eine ärztliche Konsultation ist allerdings unbedingt notwendig beim ersten Auftreten einer Migräne, bei Migräneattacken, die lange anhalten, die an Intensität zunehmen und bei Migräneattacken, die mit neurologischen Ausfällen einhergehen.

DAZ:

Triptane gelten zunehmend als Mittel der Wahl in der Migränetherapie, gilt das auch für die Selbstmedikation? Ist Naratriptan herkömmlichen Schmerzmitteln vorzuziehen?

Diener:

Direkte Vergleichsstudien zwischen Triptanen, anderen Schmerzmitteln und nicht-steroidalen Antirheumatika bei überwiegend naiven Patienten zeigten keinen Unterschied in der Wirksamkeit. Dies bedeutet für die klinische Praxis, dass man grundsätzlich die Behandlung akuter Migräneattacken, wenn es sich um mittelschwere Attacken mit nicht ausgeprägter Behinderung im Alltag handelt, zunächst mit Schmerzmitteln oder nicht-steroidalen Antirheumatika beginnt. Wenn diese nicht wirksam oder nicht ausreichend wirksam sind, käme dann in der nächsten Stufe ein Triptan zum Einsatz. Anders ist die Studienlage für Patienten, bei denen bekannt ist, dass nicht-steroidale Antirheumatika nicht ausreichend wirksam sind. Hier sind Triptane eindeutig überlegen.

DAZ:

Wann sollte Naratriptan eingenommen werden, was ist der richtige Zeitpunkt?

Diener:

Die Empfehlung lautet, dass bei Patienten mit seltenen Migräneattacken das Migränemittel, sei es ein Schmerzmittel oder ein Triptan, möglichst früh in der Attacke eingenommen werden sollte zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kopfschmerzen noch leicht sind (Tab. 1). Dies gilt allerdings nur für Patienten mit seltenen Attacken und für Patienten, die eindeutig unterscheiden können, ob es sich um eine beginnende Migräne oder um einen beginnenden Spannungskopfschmerz handelt. Triptane sind bei Spannungskopfschmerz nicht wirksam und würden in diesem Fall ohne therapeutischen Nutzen eingenommen.

DAZ:

Auch Triptane können zu medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen führen. Wann ist die Grenze bei Naratriptan erreicht?

Diener:

Triptane können bei zu häufigem Gebrauch wie Schmerzmittel oder Mutterkornalkaloide zu medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen führen. Bei Triptanen kommt es überwiegend zu einer Zunahme der Migränehäufigkeit. Aus diesem Grund wird Naratriptan in der Selbstmedikation nur in Packungen à zwei Tabletten zur Verfügung stehen. Die kritische Schwelle wird erreicht bei acht bis zehn Einnahmen eines Triptans pro Monat.

DAZ:

Was muss bei einer Selbstmedikation mit Naratriptan besonders beachtet werden? Auf welche Nebenwirkungen ist hinzuweisen?

Diener:

In seltenen Fällen kann es nach Einnahme eines Triptans zu einem Engegefühl im Bereich der Brust kommen. Zu beachten ist, dass alle vaskulären Erkrankungen, das heißt transiente ischämische Attacken, Schlaganfall, Angina pectoris, Herzinfarkt, schlecht einstellbare Hypertonie, Nieren- und Leberschäden sowie ein Morbus Raynaud, Gegenanzeigen für die Einnahme eines Triptans sind. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Naratriptan aus der Verschreibungspflicht entlassen wird, wird es ein Trainingsprogramm für Apotheker und pharmazeutisch-technische Assistentinnen/Assistenten geben, wobei hier strukturierte Fragebögen zum Einsatz kommen, mit denen die Diagnosestellung Migräne überprüft werden kann und wo gezielt nach Gegenanzeigen gefragt wird.

DAZ:

Herr Professor Diener, vielen Dank für das Gespräch!

Die Triptanschwelle

Je früher eine beginnende Migräneattacke medikamentös behandelt wird, umso erfolgreicher lässt sie sich bekämpfen. Um den Patienten bei der Ermittlung des richtigen Einnahmezeitpunktes zu helfen, hat die neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel unter Leitung von Prof. Dr. Helmut Göbel eine symptomorientierte Bewertungsskala zur Ermittlung des optimalen Einnahmezeitpunktes entwickelt. Bei Erreichen eines Punktewertes von mindestens 5 ist die individuelle Triptanschwelle erreicht, das Triptan sollte eingenommen werden.

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