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- DAZ 34/2005
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Schwerpunkt Hormonersatztherapie
Schützen postmenopausal supplementierte Hormone vor KHK?
Bis vor einigen Jahren ging man davon aus, dass die postmenopausale Hormontherapie vor koronarer Herzkrankheit schützt. Es waren plausible Mechanismen für eine herzschützende Wirkung der Estrogene bekannt: Sie
- verbessern das Lipidprofil, indem sie das LDL- und Gesamtcholesterin senken und das HDL-Cholesterin erhöhen,
- steigern die Insulin-Sensitivität,
- wirken antioxidativ und üben direkte günstige Wirkungen auf die Gefäßwand aus.
Koronarschutz in Beobachtungsstudien
Große Beobachtungsstudien, darunter die Nurses' Health Study (NHS) mit 122.000 Teilnehmerinnen, hatten durchweg ergeben, dass postmenopausale Frauen, die langfristig Hormone anwenden, ein geringeres KHK-Risiko haben als Frauen, die diese Hormone nie eingenommen haben. So ermittelte eine Metaanalyse aus über 40 Beobachtungsstudien für derzeitige postmenopausale Hormonanwenderinnen ein um 50% reduziertes KHK-Risiko und für Frauen, die irgendwann postmenopausale Hormone eingenommen haben, ein um 36% reduziertes KHK-Risiko.
Die Hormontherapie entwickelte sich zu einem guten finanziellen Geschäft: Im Jahr 2001 wendeten in den USA etwa 10 Millionen postmenopausale Frauen entsprechende Estrogen-haltige Präparate an. Diese Produkte waren damals die am zweithäufigsten verordneten Arzneimittel in den USA.
Erhöhtes Koronarrisiko in randomisierten Studien
Das Blatt wendete sich, als die ersten Ergebnisse randomisierter kontrollierter (klinischer) Studien veröffentlicht wurden, insbesondere die Ergebnisse der Women's Health Initative (WHI) und der Heart and Estrogen/Progestin Replacement Study (HERS). Sowohl Studien an gesunden Frauen als auch Studien an Frauen mit koronarer Vorerkrankung zeigten nicht nur keine koronare Schutzwirkung, sondern sogar ein erhöhtes KHK-Risiko unter der Hormoneinnahme.
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Die Ergebnisse verunsicherten Ärzte und Patientinnen und führten zu einer raschen Abnahme der Verordnung von Hormonpräparaten, teilweise auch zum unsinnigen abrupten Behandlungsabbruch mit Rebound-Effekten bei Frauen mit Wechseljahresbeschwerden.
Welcher Informationsquelle kann man trauen? Julie Buring empfiehlt, alle Informationsquellen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, denn eine Studie allein genügt nie, um eine Frage zu beantworten. Bei der Interpretation der Studienergebnisse muss man vor allem das Studiendesign im Auge behalten.
Selbst gewählte oder fremdbestimmte Exposition
Beobachtungsstudien unterscheiden sich von Interventionsstudien (randomisierten kontrollierten Studien) in einem wichtigen Punkt: Die Teilnehmer der Beobachtungsstudie entscheiden sich selbst dafür oder dagegen, sich einem Einfluss, zum Beispiel einem Arzneimittel, auszusetzen ("selbst gewählte Exposition"). Die Teilnehmer der Interventionsstudie überlassen die Zuordnung zu einer der Behandlungsgruppen den Mitarbeitern der Studie.
Zu den Beobachtungsstudien zählen Fall-Kontroll-Studien und Kohortenstudien. Die Fall-Kontroll-Studie vergleicht eine Gruppe von Kranken mit einer Gruppe von Gesunden und versucht persönliche Unterschiede (bewusst oder unbewusst selbst gewählte Expositionen) herauszuarbeiten, die zur Krankheit geführt haben können. Die Kohortenstudie beobachtet die gesundheitliche Entwicklung gesunder Menschen, die in Gruppen eingeteilt und dann einem zu prüfenden Einfluss exponiert werden bzw. nicht exponiert sind (z.B. Anwenderinnen von Hormonpräparaten versus Nichtanwenderinnen).
Hormonanwenderinnen generell gesünder
Die Nurses' Health Study war eine Kohortenstudie. Beginnend im Jahr 1976 wurden zunächst gesunde Teilnehmerinnen alle zwei Jahre in einem Fragebogen zu Lebensstil, Gesundheit und zur Hormoneinnahme befragt. Postmenopausale Frauen, die Estrogen-haltige Präparate einnahmen, hatten ein geringeres KHK-Risiko als Nichtanwenderinnen. Sie unterschieden sich aber nicht nur in der Estrogen-Exposition von den anderen Teilnehmerinnen: Sie waren auch schlanker, körperlich aktiver, höher gebildet, häufiger Nichtraucherinnen und suchten ihren Arzt regelmäßiger auf. All diese Besonderheiten können zur Verringerung des KHK-Risikos beigetragen haben.
Geringere Irrtumsquellen in randomisierten Studien
In einer randomisierten kontrollierten Studie sind dagegen alle möglichen Patientencharakteristika in Behandlungs- und Plazebogruppe gleich verteilt. Die beiden Gruppen (Verum und Plazebo) haben deshalb – abgesehen von der Hormoneinnahme – das gleiche Risiko, eine koronare Herzkrankheit zu bekommen. Bei einer randomisierten Studie kann man also mit größerer Sicherheit davon ausgehen, dass die Unterschiede in der Rate koronarer Herzerkrankungen (Zielgröße) tatsächlich auf die Hormoneinnahme (Exposition) zurückzuführen sind. Randomisierte kontrollierte Studien minimieren Irrtumsquellen wie Bias (systematische Verzerrung) und Confounding (Vermengung, Scheinbeziehung).
Deshalb eignen sie sich auch zur Aufdeckung kleiner bis mittlerer Behandlungseffekte wie einer Senkung oder Erhöhung der KHK-Rate um 20%, während Beobachtungsstudien nur große Effekte aufdecken können. Für manche Fragestellungen, beispielsweise als schädlich bekannte Expositionen, werden aber aus ethischen Gründen nur Beobachtungsstudien durchgeführt.
Während die Ergebnisse der randomisierten kontrollierten Studien zur postmenopausalen Hormontherapie in allen anderen aufgezeigten Risiken (Brustkrebs, Schlaganfall, Lungenembolie) und Nutzen (Vermeidung von Hüftfraktur, Kolorektalkarzinom) mit den Ergebnissen der Beobachtungsstudien übereinstimmten, wichen sie bezüglich der koronaren Herzkrankheit dramatisch davon ab: Statt der in den Beobachtungsstudien beobachteten Schutzwirkung zeigten sie ein erhöhtes Risiko.
Methodische Unterschiede
Die Diskrepanz im Ergebnis von Beobachtungsstudien und randomisierten kontrollierten Studien kann auf methodischen und biologischen Unterschieden beruhen. Folgende methodische Unterschiede sind denkbar:
- Die Hormonanwenderinnen waren aufgrund ihres Lebensstils gesünder.
- Da viele Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit noch unbekannt sind, konnten sie bei den Studien gar nicht berücksichtigt werden. Buring schätzt, dass bislang nur die Hälfte aller KHK-Erkrankungen durch bekannte Risikofaktoren erklärt werden kann.
- In den randomisierten kontrollierten Studien richtete die Hormontherapie im ersten Anwendungsjahr den größten Schaden an. Das lässt vermuten, dass in den Beobachtungsstudien viele Anwenderinnen nach einem Krankheitsereignis zu Nichtanwenderinnen wurden und im Fragebogen nach zwei Jahren als solche erfasst wurden, sodass sich der Anteil der Kranken bei den Nichtanwenderinnen erhöhte.
Teilnehmerinnen in Beobachtungsstudien jünger
Biologische Unterschiede der Studienteilnehmerinnen bestanden vor allem im Alter: Die Beobachtungsstudien erfassten viel jüngere (perimenopausale und initial postmenopausale) Teilnehmerinnen als die randomisierten kontrollierten Studien: Während 80% der Teilnehmerinnen der Nurses' Health Study die Hormoneinnahme innerhalb von zwei Jahren nach der Menopause begannen, lag bei den Teilnehmerinnen der WHI und HERS die Menopause bereits durchschnittlich zehn oder mehr Jahre zurück (Durchschnittsalter 63 bzw. 67 Jahre), sodass sie mehrheitlich in einem fortgeschrittenen Stadium der Atherosklerose waren und schon instabile atherosklerotische Plaques aufwiesen. Dies dürfte die Hauptursache für die unterschiedlichen Wirkungen der Estrogene auf die Atherosklerose sein: Es hat den Anschein,
- dass ihre günstigen Effekte auf Lipide und Endothel überwiegen, wenn sie in den ersten postmenopausalen Jahren supplementiert werden, und
- dass ihre prothrombotischen und entzündungsfördernden Effekte stärker zum Tragen kommen, wenn sie in höheren Lebensjahren supplementiert werden.
Fazit: Hormontherapie nicht nach der Postmenopause
Demnach sind also weder die Ergebnisse der Beobachtungsstudien noch der randomisierten kontrollierten Studien falsch. Die Studien betrachteten die Hormontherapie nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Die Beobachtungsstudien beschäftigten sich mit der Hormontherapie während der Wechseljahre, wobei die Hormone meistens kurzfristig bei Auftreten der Beschwerden eingesetzt werden. Dagegen nahmen an den randomisierten kontrollierten Studien, die in ihren Antworten prinzipiell genauer sind, überwiegend Frauen teil, die die Wechseljahre schon hinter sich hatten und in den Verumgruppen langfristig Hormone erhielten (gemäß der Indikation Osteoporoseprävention).
Der immer noch umstrittenen Frage, ob eine früh einsetzende Hormontherapie krankheitspräventiv wirkt, geht derzeit die randomisierte kontrollierte Kronos Early Estrogen Prevention Study (KEEPS) nach, die zugleich die Wirkungen unterschiedlicher Applikationswege der Hormone testet: 720 Frauen zwischen 42 und 58 Jahren, deren Menopause höchstens drei Jahre zurückliegt, erhalten entweder nur Plazebo oder Estrogen transdermal oder Estrogen oral und wenden an den letzten zehn Tagen des Zyklus ein Vaginalgel mit mikronisiertem Progesteron an. Mittels Ultraschall und Computertomographie wird beobachtet, ob frühe atherosklerotische Läsionen der Carotis- und Koronararterien auftreten. Diese Veränderungen, die an sich nicht klinisch relevant sind, aber häufig im Zusammenhang mit einer KHK auftreten, sollen als Surrogatparameter für die präventive Wirkung der Hormontherapie dienen.
Dr. Susanne Wasielewski
Quelle
Prof. Dr. Julie E. Buring, Boston, „Discre- pant results between observational studies and randomized trials“, Vortrag auf der
20. Internationalen Epidemiologischen Sommerakademie am 12. Juli 2005 in Münster/Westf.
Epidemiologische Studien
Beschreibende Studien Ökologische Studien Fallberichte Querschnittsstudien
Analytische Studien
Beobachtungsstudien:
■ Fall-Kontroll-Studien
■ Kohortenstudien
Interventionsstudien, z. B.:
■ randomisierte kontrollierte (klinische) Studien
Vgl.: www.degam.de/leitlinien_ gestalt/S5_am2studt.html
Glossar
Beobachtungsstudie: Studie, in der Untersuchungen, aber keine Inter- ventionen durchgeführt werden. Dazu zählen Kohorten- und Fall-Kontroll- Studien.
Interventionsstudie: Im Gegensatz zur Beobachtungsstudie wird ein Studienkollektiv nicht nur beobachtet, sondern es wird eine Intervention durchgeführt.
Bias: Systematischer Fehler; die Studienergebnisse tendieren dazu, systematisch von den „wahren“ Ergebnissen abzuweichen. Die Ursachen liegen im Design der Studie (z. B. nicht zufällige Auslese der Vergleichs- gruppen = Selektions-Bias).
Confounding: Scheinbeziehung: Ein Faktor, der nicht direkt Unter- suchungsgegenstand ist, ist sowohl mit der Exposition als auch mit der Zielgröße verknüpft.
Menopause: Die letzte (genauer: für mindestens ein Jahr letzte) Regel- blutung einer Frau.
Klimakterium, Wechseljahre der Frau: Altersbedingter Übergangszeit- raum von der vollen zur eingeschränkten Geschlechtlichkeit (oder von der Fruchtbarkeit zur Unfruchtbarkeit). Durchschnittlich zehn bis zwölf Jahre. Meist zwischen dem 45. und dem 65. Lebensjahr.
Perimenopause: Frühe Phase der Wechseljahre, etwa ein bis zwei Jahre vor und nach der Menopause.
Postmenopause: Die letzte Phase der Wechseljahre nach Prä- und Perimenopause. Meist zwischen 55. und 65. Lebensjahr.
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