Arzneimittel und Therapie

Was tun gegen die Resistenzentwicklung bei Antibiotika?

In DAZ 2004, Nr. 42 wurde ein Statement der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) mit dem Titel "Werden wir in zehn Jahren wieder an einfachen Infektionen sterben?" veröffentlicht. Aus diesem Anlass sprach die DAZ mit Frau Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Präsidentin der DPhG und Mitautorin dieses Statements, unter anderem darüber, welchen Beitrag die Beratung in der Apotheke zur Verhinderung von Resistenzen leisten kann.

 

DAZ

Frau Professor Holzgrabe, welche Aussagen wurden auf der 43. "Interscience Conference of Antimicrobial Agents and Chemotherapy" in Chicago und der "World Conference on Dosing of Antiinfectives" in Nürnberg zur Resistenzlage in Europa gemacht?

 

Holzgrabe:

Weltweit nehmen Antibiotikaresistenzen zu, nicht zuletzt, weil Bakterien immer neue Resistenz-Mechanismen entwickeln. Insbesondere das epidemische Auftreten von Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA), einer Resistenz gegen fast alle Antibiotika außer Vancomycin, ist international ein wachsendes Problem. In der jüngsten Studie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft wurde in Deutschland gerade die 20%-Marke überschritten, wobei es lokal erhebliche Unterschiede gibt. Auf Grund des wachsenden Einsatzes von Vancomycin wird seit kurzem immer häufiger von Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) berichtet, und weltweit schon 21-mal von Vancomycin-intermediär-resistenten Staphylococcus aureus (VISA). Infektionen mit diesen Bakterien sind damit kaum mehr beherrschbar.

 

DAZ

Im Gegensatz zu einigen süd- und westeuropäischen Nachbarn unterliegen Antibiotika zur oralen Anwendung in Deutschland der Verschreibungspflicht. Ist dies einer der Gründe für die noch relativ gute Resistenzlage bei uns?

 

Holzgrabe:

Diese Frage ist klar mit "ja" zu beantworten. Es bedarf der richtigen Diagnose durch einen Arzt, um das richtige Antibiotikum gezielt und in der richtigen Dosis einzusetzen. Die Apotheker können durch die Beratung in Bezug auf Einnahmehinweise (vor/nach dem Essen, mit viel Flüssigkeit, etc.) und Einnahmehäufigkeit die Compliance steigern und damit den Therapieerfolg sichern.

 

DAZ

Durch welche Maßnahmen bei der Anwendung von Antibiotika kann der zunehmenden Resistenzentwicklung begegnet werden?

 

Holzgrabe:

Eigentlich sollten Antibiotika erst eingesetzt werden, wenn man die Erreger einer Infektion mit Hilfe eines Antibiogramms bestimmt hat, damit man gezielt die Bakterien tötet. Da die Erregerbestimmung aber eine gewisse Zeit dauert, wird zuerst ein Breitbandantibiotikum angewendet. Wird damit die Infektion nicht geheilt, muss im zweiten Schritt ein für den Erreger spezifisches Antibiotikum eingesetzt werden. Wichtig ist vor allem, dass die Antibiotika genügend lange und in ausreichender Dosierung eingesetzt werden.

Vorzeitiger Therapieabbruch führt schnell zur Ausbildung von Resistenzen. Das wird uns eindrucksvoll am Beispiel der Tuberkulose in den GUS-Staaten vor Augen geführt. Da die Arzneimittelversorgung in diesen Staaten nicht immer gesichert ist, wird die zwei bis drei Jahre dauernde Therapie der Tuberkulose immer wieder unterbrochen. Auf Grund der intermittierenden Therapie gesunden die Kranken nicht nur nicht, im Gegenteil, sie entwickeln Resistenzen, die kaum mehr in den Griff zu bekommen sind. Tuberkulose-kranke Aussiedler aus diesen Gebieten werden in Deutschland im ehemaligen Gefängnis von Parsberg weggesperrt, damit sie andere Leute nicht infizieren können.

 

DAZ

Eltern von Kindern, denen der Arzt ein Antibiotikum verordnet hat, stellen oft die Frage, ob denn eine solche "chemische Keule" notwendig sei. Was kann ihnen in der Beratung entgegnet werden?

 

Holzgrabe:

Wenn ein Antibiotikum wirklich indiziert ist, sollte es auch unbedingt eingenommen werden. Wir dürfen nicht verkennen, dass Infektionen lebensgefährliche Erkrankungen sind, mit denen nicht zu spaßen ist. Mit anderen Worten, durch die Verweigerung von Antibiotika kann man ein Menschenleben gefährden. Ja, selbst unter einer Antibiotikatherapie kann es passieren, dass man eine Infektion nicht überlebt, und das passiert häufiger als gemeinhin angenommen wird. Bedauerlicherweise neigen einige Ärzte dazu, zu schnell – z. B. bei einem einfachen Schnupfen – ein Antibiotikum zu verordnen. Hier kann der Apotheker durch ein Gespräch mit dem Arzt versuchen, Aufklärungsarbeit zu leisten. Dort, wo Ärzte und Apotheker zusammen in Qualitätszirkeln sitzen oder gemeinsam die Patientenbetreuung organisieren, ist dies sicher möglich.

 

DAZ

Welche Abgabehinweise halten Sie weiterhin für sinnvoll?

 

Holzgrabe:

Das Wichtigste ist, den Patienten klar zu machen, dass das Antibiotikum nur hilft, wenn es genügend lange in der richtigen Dosierung regelmäßig eingenommen wird. Stimmt die Compliance nicht, dann hilft das Antibiotikum nicht nur nicht, sondern man züchtet Resistenzen, die – bei fortbestehender Erkrankung – das Ausweichen auf andere Antibiotika notwendig machen. Aufflammen von Rezidiven ist häufig die Folge, die dann immer schlechter behandelt werden können.

 

DAZ

Sehen Sie eine Gefahr durch desinfizierende Substanzen in Haushaltsreinigern?

 

Holzgrabe:

Wir neigen häufig zu einer übertriebenen Sauberkeit. Toiletten und Küche müssen nicht desinfiziert werden, wenn kein infektiöser Mensch im Haushalt lebt. Im Gegenteil, die natürliche Keimbesiedlung stärkt unsere Immunabwehr. Das Robert-Koch Institut hat bereits vor der Gefahr der Resistenz-Initiierung bei Gebrauch von Haushaltsreinigern gewarnt.

 

DAZ

Wo findet man die aktuellsten Empfehlungen zur rationalen Antibiotikatherapie?

 

Holzgrabe:

Die Paul-Ehrlich-Gesellschaft bemüht sich permanent um Aktualisierung der Empfehlungen zur Antibiotikatherapie. Auf ihrer Website können Antibiotika-Art und entsprechende Dosierungen für gegebene Infektionserkrankungen nachgesehen werden (www.p-e-g.de). Aber auch andere Gesellschaften arbeiten Therapieempfehlungen aus, z. B. die International Society of Anti-Infective Pharmacology (ISAP). Auf der Webseite www.isap.org können außerdem Vorträge zu aktuellen Themen der Antibiotikatherapie herunter geladen werden. Ein Besuch lohnt sich immer, da es hier auch interessante Links gibt.

Auch das Robert-Koch Institut (www.rki.de) hält stets Informationen zu Infektionen, Epidemiologie und Therapie bereit. Einige Themenhefte der "Pharmazie in unserer Zeit" befassen sich ebenso mit Antibiotikagruppen (Link über www.dphg.de). Valide Informationen werden also von vielen Seiten zur Verfügung gestellt. Wichtig ist nur, dass man sich der Aktualität der Informationen versichert, da nichts stärker im Fluss ist als die Resistenzlage und die Änderungen von Therapieregimen gegen Infektionserkrankungen.

 

DAZ

Frau Professor Holzgrabe, vielen Dank für das Gespräch!

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