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Die Vogelgrippe – was haben wir zu befürchten? (DAZ-Interview)

ilm | Die Vogelgrippe gehört derzeit zu den Spitzenthemen in den Medien. Die Beiträge schwanken zwischen sachlicher Aufklärung und leichter Panikmache. Hühner, Enten und Gänse müssen eingesperrt werden, in der Apotheke beobachten wir Hamsterkäufe von Grippemitteln. Wie groß ist die Gefahr für uns in Deutschland tatsächlich? Wir sprachen mit der Professorin Christel Hülße, langjährige Direktorin des Landesgesundheitsamtes Mecklenburg-Vorpommern, Mitglied der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut und Leiterin der Sektion Infektionskrankheiten und Impfschutz im Deutschen Grünen Kreuz e. V.
Foto: DGK

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Das Vogelgrippe-Virus hat die ersten europäischen Länder erreicht, die Angst davor aber bereits die ganze Republik. Wie groß ist die Gefahr für uns denn tatsächlich?

Hülße:

Im Moment ist das Risiko für den Menschen nicht als groß einzustufen. Das Virus ist bisher nur bei sehr engem Kontakt zwischen Mensch und Geflügel übertragen worden. Gefährdet sind also vor allem diejenigen, die beruflich mit Geflügel (z.B. in Hühnerfarmen) zu tun haben.

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Sind auch bei uns die Gefügelbestände gefährdet?

Hülße:

Wenn das besonders aggressive Vogelgrippevirus H5N1 hier zirkulieren sollte, ja. Zugvögel, die oftmals gar nicht erkranken, könnten das Virus einschleppen. Hühner und Puten haben ein besonders hohes Erkrankungsrisiko. Maßnahmen wie Stallpflicht oder das Verbot von Geflügelmärkten, wie sie derzeit diskutiert bzw. durchgeführt werden, können das Übertragungsrisiko senken.

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Und wann sind wir Menschen gefährdet?

Hülße:

Wenn sich das Vogelgrippevirus in einem "mixing vessel" – das kann ein Tier, aber auch ein Mensch sein – mit einem zweiten Grippevirus mischt, d.h. die Erbsubstanz ausgetauscht wird, dann könnte ein völlig neuer Subtyp entstehen. Wenn dieser von Mensch zu Mensch übertragbar ist, ist die Bevölkerung sehr gefährdet, denn sie hat gegen dieses neue Virus vermutlich keinerlei Immunität. Eine Pandemie ist in diesem Fall sehr wahrscheinlich. Aber wie gesagt, so weit ist es noch nicht.

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Aber wir hören ständig von möglicherweise enormen Todesziffern.

Hülße:

Um die Relationen zu verdeutlichen: An der Influenza sind im vergangenen Winter allein in Deutschland zwischen 15.000 und 20.000 Menschen gestorben, vor allem Ältere und Patienten mit chronischen Erkrankungen. An der Vogelgrippe sind bislang weltweit 60 Todesopfer zu beklagen.

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Nicht nur Grenzen überfliegende Vögel sind ein Problem, auch reisende Menschen. Was muss in Ländern, in denen H5N1 vorkommt, berücksichtigt werden, oder sollte man diese Länder besser überhaupt meiden?

Hülße:

Ein Reiseverbot ist sicher nicht nötig. Das Auswärtige Amt sieht zurzeit keinen Anlass, von Reisen in Länder wie China, Indonesien, Japan, Kambodscha, Laos, Südkorea, Thailand, Malaysia, Vietnam, inzwischen auch Griechenland oder die Türkei abzuraten. Natürlich sind Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. So sollte der Kontakt mit lebendem oder totem Geflügel vermieden werden, z. B. ist von dem Besuch von Vogel- oder Geflügelmärkten abzuraten. Das Mitbringen von Vogelprodukten (einschließlich Federn) aus betroffenen Ländern in die EU ist ohnehin verboten.
 

Tab.: Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Influenza-Impfung 
2005 für folgende Risikogruppen

Influenza-ImpfungEmpfohlen für
Standardimpfung

Personen über 60 Jahre

Indikationsimpfung

Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit 
erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge 
eines Grundleidens wie 

  • chronische Erkrankungen der/des Lungen- 
    (incl. Asthma und COPD), des Herz-Kreislauf- 
    Systems, der Leber und der Nieren
  • Diabetes andere Stoffwechselkrankheiten
  • Multiple Sklerose mit durch Infektionen 
    getriggerten Schüben
  • angeborene oder erworbene Immundefekte
  • HIV-Infektion

Bewohner von Alten- und Pflegeheimen 
Wenn eine intensive Epidemie aufgrund von 
Erfahrungen in anderen Ländern droht oder 
nach deutlicher Antigendrift bzw. einer Antigenshift zu erwarten ist und der Impfstoff die neue Variante enthält (entsprechend den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden)

Impfung aufgrund beruflichen Risikos bzw. Indikation zum Schutz Dritter

Personen mit erhöhter Gefährdung, 
z. B. medizinisches Personal 

Personen mit umfangreichem Publikumsverkehr

Personen, die mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute ungeimpfte Risikopersonen 
sein können

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Kann das Virus auch durch den Verzehr von Eiern oder Geflügelfleisch übertragen werden?

Hülße:

Wenn diese Lebensmittel nicht oder unzureichend gekocht oder gebraten werden, ist dies möglich. Der Verzehr von Geflügelfleisch oder Eiern ist nach derzeitigem Wissensstand jedoch unbedenklich, wenn diese gut gekocht sind.

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Was ist eigentlich der Unterschied der Grippe der Vögel und der des Menschen?

Hülße:

Die Vogelgrippe betrifft nur Geflügel, in erster Linie Hühner und Puten, auch Vögel (Zugvögel) erkranken, die Infektion verläuft jedoch meistens symptomlos. Erkrankungen an Virusgrippe oder besser Influenza werden dagegen nur beim Menschen beobachtet. Die beim Menschen auftretende Influenza wird durch die Viren Influenza A, Subtypen H1, H2 und H3 verursacht, außerdem durch den Influenzatyp B. Bei der Vogelgrippe, die man bereits seit 100 Jahren kennt, gibt es 16 verschiedene Subtypen, einer davon ist der gerade zirkulierende H5N1. Beiden Erkrankungen gemeinsam ist, dass sie von Influenza-A-Viren verursacht werden. Diese Viren zeichnen sich durch starke Antigenveränderungen aus (Shift), so dass es zu völlig neuen (gefährlichen) Subtypen kommen kann.

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Meist werden Grippe und grippaler Infekt verwechselt. Was sind die Symptome der "richtigen" (Virus-)Grippe?

Hülße:

Ganz typisch ist der schlagartige Krankheitsbeginn aus völliger Gesundheit heraus. Hohes Fieber, heftige Kopf- und Gliederschmerzen und trockener Husten sind charakteristische Symptome. Im Gegensatz dazu beginnt ein grippaler Infekt meist langsamer mit Schnupfen und Halsschmerzen. Erst später kommen Kopfschmerzen und leichtes Fieber dazu. Charakteristisch für eine Influenza ist außerdem die lange Rekonvaleszenzzeit, die mehrere Wochen dauern kann.

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Und wie kommt es zu den hohen Todesraten?

Hülße:

Die Übersterblichkeit, die in Nicht-Epidemiejahren bei 5000 bis 8000 Todesfällen liegt, betrifft vor allem Menschen, deren Immunabwehr, z.B. aufgrund des Alters oder wegen chronischer Vorerkrankungen, geschwächt ist. Häufig sind dann bakterielle Superinfektionen, in erster Linie in Form von Pneumonien, zu beobachten. Kommt es jedoch zu einer Epidemie, dann ist die Übersterblichkeit deutlich höher: 1995/96 lag sie bei 30.000 Todesfällen, 2004/05 starben, wie schon gesagt, zwischen 15.000 bis 20.000 Menschen.

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Und wie verläuft im Vergleich mit der Influenza die Vogelgrippe beim Menschen?

Hülße:

Sehr ähnlich. Die Symptome ähneln denen einer schweren Influenza mit hohem Fieber, Kopf- und Halsschmerzen, Husten, Gliederschmerzen und Lungenentzündung. Als Komplikation tritt jedoch häufig ein Lungenversagen auf, von den 117 Erkrankten (WHO, Stand vom 11. Oktober 2005) sind 60 gestorben.

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Schützt die jährlich empfohlene Influenza-Impfung auch vor der Vogelgrippe?

Hülße:

Die derzeit eingesetzten Influenza-Impfstoffe, die der Prophylaxe der menschlichen Grippe dienen, schützen nicht vor Vogelgrippe und höchstwahrscheinlich auch nicht vor einem neuen Pandemievirus. Dennoch ist die Impfung zu empfehlen: Einmal, um die Übersterblichkeit in den Risikogruppen zu vermeiden, zum anderen, um zu verhindern, dass es gleichzeitig zu einer Infektion mit menschlichen und tierischen Influenza-Viren und damit zur Entwicklung eines neuen Virus kommt, das dann zu einer Pandemie führen könnte. An einem neuen, auch gegen Vogelgrippe wirksamen Impfstoff für den Menschen wird intensiv gearbeitet.

DAZ

Kann die Vogelgrippe, wenn man sie nun bekommen sollte, medikamentös behandelt werden?

Hülße:

Wenn die Influenza frühzeitig erkannt wird, können Neuraminidasehemmer den Krankheitsverlauf abkürzen und die Symptome mildern. Diese Medikamente wirken gegen Influenza A und B des Menschen ebenso wie gegen Vogelgrippe. Voraussetzung ist allerdings, dass man innerhalb von 48 Stunden nach Krankheitsbeginn mit der Therapie beginnt.

DAZ

Frau Hülße, wir danken für dieses Gespräch.

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