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Arzneimittelkontrolle
Reimporte und Parallelimporte
Die Aussage der Bundesregierung (s. Kasten "Keine Fälschungen bekannt") war entweder von Unkenntnis geprägt oder sollte – allerdings von einer Regierung kaum vorstellbar – das Problem verharmlosen, um eine politisch gewollte Linie nicht zu diskreditieren. Durch eine einfache Internet-Recherche hätte der Regierung damals mindestens die offizielle Einstellung einer Apothekerkammer zu diesem Problem bekannt sein müssen (s. Kasten "Gegen das Gewissen").
Keine Fälschungen bekannt
Frage: Hat die Bundesregierung besondere Maßnahmen ergriffen, um Medikamentenfälschungen, die durch Erhöhung der Importquote und die dadurch verursachte Verpackungsvielfalt erleichtert werden, zu verhindern, und wenn ja, welche?
Antwort: Nach den Erkenntnissen der Bundesregierung hat es seit der Markteinführung von Importarzneimitteln keinen Fall gegeben, in dem ein Importeur Arzneimittel mit gefälschtem Inhalt in Verkehr gebracht hat.
Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur "Rolle von Importarzneimitteln in der Arzneimittelversorgung" und Antwort der Bundesregierung, 16. 7. 20033
Gegen das Gewissen
Die Krankenkassen haben es geschafft, die gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe billiger Importe einzuführen. Die Apotheker müssen ab 1. April eine Importquote von 5,5% vorweisen. Sollten sie diese Quote nicht erreichen, werden sie von den Krankenkassen zur Kasse gebeten. Mit dem pharmazeutischen Gewissen sei das kaum vereinbar, so Karin Wahl, Präsidentin der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg4 .
Aus: Diabetes News vom 8. 2. 2002
Fälschungs-Alltag
Hätte die Regierung ernsthaft über Re- und Parallelimporte recherchiert, hätte sie z. B. folgende Nachrichten finden können:
- 1998: Gefälschtes Losec wurde parallelimportiert und durch den Parallelimporteur auf den Markt gebracht. Etwa 6000 Packungen hatte ein lizenzierter Großhändler in Italien erworben5.
- 2002: Bei einer Routinekontrolle stießen die schweizerischen Zollbehörden auf eine Sendung Viagra. Sie enthielt 22.000 Tabletten in Blistern, aber ohne Umverpackung. Swissmedic beschlagnahmte die gesamte Sendung, weil sie nach den vorliegenden Erkenntnissen für den illegalen Export in andere europäische Länder bestimmt war6.
- 2002: Für Afrika bestimmte Aids-Medikamente wurden über Frankreich und Belgien nach Deutschland und in die Niederlande illegal reimportiert. Es handelte sich um die Präparate Trizivir, Combivir und Epivir, die von gsk zu Vorzugspreisen an Entwicklungsländer geliefert wurden7,8.
Auch danach wurden Arzneimittelfälschungen bei Re- und Parallelimporten aufgedeckt. Der erste der im Folgenden genannten Fälle stellt einen "Übergangsfall" zur Internethandelsproblematik dar:
- 2003: Laut FDA bestellte ein amerikanischer Patient von einer Internetseite, die "kanadische Arzneimittel, hergestellt in den USA" versprach, Gabapentin. Er erhielt "Gabantin", hergestellt in Indien mit unbekanntem Inhaltsstoff9.
- 2004: Ein angesehenes niederländisches Pharmazeutisches Journal berichtete, dass gefälschte Arzneimittel, die in den legalen Vertriebsketten gefunden wurden, durch Parallelimporteure in diese hineingekommen waren10.
Schweiz und USA haben gehandelt
Welche Lehre ist aus diesen Fällen für den weiteren Umgang mit Parallelimporten zu ziehen? In der Schweiz hat die Heilmittelbehörde Swissmedic gehandelt, indem sie durch strenge Auflagen die Parallelimporte praktisch untersagte11, und in den USA hat die FDA öffentlich gegen Reimporte Stellung bezogen (s. Kasten). Im Übrigen klärt die FDA über MedWatch13 sowohl Fachleute als auch Laien über entdeckte Fälschungen auf14. Ein vergleichbares System fehlt in Deutschland leider.
Das Problem aus Sicht der FDA
The FDA agrees that liberalizing the protections governing reimportation of prescription drugs will threaten the safety of the American public and the nation's prescription drug supply12.
Wie groß aber ist das wahre Problem? Da es bekanntlich keinen "Verband der Arzneimittelfälscher" gibt, ist man hier auf plausible Schätzungen auf Grund der wenigen aufgedeckten Fälle angewiesen. Geht man von üblichen Werten in der Kriminalstatistik aus, ist eine 5- bis 20-mal so hohe Dunkelziffer anzunehmen15. Diese dürfte hier eher noch größer sein, weil Vigilanzfälle regelhaft dem Hersteller, nicht dem Importeur gemeldet werden16.
Die Dunkelziffer sagt aber noch nichts über die Zahl der betroffenen Patienten aus. In bekannt gewordenen anderen Fälschungsfällen waren bis zu 1,3 Mio. Tabletten gefälscht bzw. bis 100.000 Menschen betroffen1. Es wäre unseriös, die Zahlen hochzurechnen, aber die Zahlen zeigen, dass das Problem erheblich sein kann.
Nutzen-Risiko-Abwägung
Die wesentlichste Aufgabe, der man sich meiner Meinung nach stellen muss, ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Drastisch gesagt: Wie viel Einsparung durch Parallelimport in der GKV ist das Risiko wert, dass Menschen durch gefälschte Produkte, die über diesen Weg in den Markt kommen, Schaden nehmen? In den USA hat die FDA die Frage beantwortet (s. o.). Wie sieht die ökonomische Seite in Deutschland aus?
Von 1998 bis 2003 ist der Marktanteil der parallel importierten Arzneimittel im Apothekenmarkt von weniger als zwei Prozent auf rund sieben Prozent gestiegen. Insbesondere in den Jahren 2000 bis 2003 wuchsen die Parallelimporte aufgrund der staatlichen Förderung deutlich über dem Marktdurchschnitt. Die Einführung einer Mindestpreisdifferenz zwischen importierten Produkten und Originalen im Jahr 2004 hat diese Entwicklung teilweise wieder korrigiert. 2004 erzielten die Importeure einen Umsatz von knapp einer Milliarde Euro17.
Die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung werden im Gesamtjahr 2005 rund 23 Mrd. Euro betragen. 2003 waren es 24,2 Mrd. Euro, 2004 waren es – bedingt durch die staatlichen Maßnahmen – rund 21 Mrd. Euro18. Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass ein nicht unerheblicher Teil der Parallelimporte privat bezahlt wird (die ersten Parallelimporte waren die "Pille"), so ist doch mit einem Anteil von 4 bis 5% an den GKV-Ausgaben zu rechnen. Damit verbietet sich wohl von selbst, ein vollständiges Verbot des Parallelimports aus "Gründen der Volksgesundheit" in Abwägung mit einem nicht bezifferbaren Risiko in Betracht zu ziehen.
Künftige Anforderungen an Importarzneimittel
Allerdings bin ich sehr wohl der Meinung, dass der Staat auf Grund der vorgekommenen Fälle von Fälschungen im Parallelimport berechtigt und sogar verpflichtet ist, dem Importeur Sicherungsmaßnahmen seiner Produkte, wie sie auch sonst für Fertigarzneimittel üblich sind, abzuverlangen. Demnach müssten Re- oder Parallelimportarzneimittel künftig eine eigene Chargennummer aufweisen, was derzeit nach § 10 Abs. 8 AMG Satz 2 nicht erforderlich ist. So kommt es heute vor, dass eine Packung Blister ohne Chargennummer oder Blister mit mehreren Chargennummern verschiedener Ursprungspackungen enthält.
Art und Qualität der Verpackung müssten einer "good packing practice" entsprechen und eine eindeutige Rückverfolgung zum Inhaber der Parallelimportzulassung ermöglichen. Das kann in besonderen Fällen bedeuten, dass der Importeur das Arzneimittel (im Rahmen der für ihn ohnehin erforderlichen "kleinen Herstellungserlaubnis") vollständig neu verpackt ("repacking"), im Zweifelsfall bis zur Neuverblisterung.
Als einfache Lösung wäre für mich auch eine verschweißte teiltransparente Kunststoffhülle denkbar, die das unveränderte Originalprodukt und den deutschen Beipackzettel enthält und auf der alle weiteren erforderlichen Angaben aufgedruckt sind. Und wer jetzt sagt "das ist zu teuer, damit lohnt sich der Parallelimport nicht mehr", hat sich aus ökonomischen Gründen gegen die Patientensicherheit entschieden.
Zweifelhafte Urteile des EuGH
Allerdings steht dem ein Urteil des EuGH vom 23. April 2002 aus markenschutzrechtlichen Gründen – die nach meiner Ansicht allerdings im Lichte des "risk to public health" gegenstandslos sein müssten19 – entgegen: Englische Parallelimporteure hatten die Originalpackungen überklebt, die Faltschachteln durch eigene Packungen mit ihrem Design ersetzt und dabei teilweise auch noch die Markennamen durch die Wirkstoffbezeichnungen (INN) ausgetauscht. Der EuGH widersprach diesen Praktiken unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung, weil die Präparate nicht ohne Zustimmung des Markeninhabers von Dritten manipuliert werden dürften20.
In einem Urteil vom 1. April 2004 hat der EuGH m. E. die Aspekte des Patientenschutzes dem Ideal des freien Warenverkehrs geopfert21, was sich aus meiner Sicht wie ein roter Faden durch das EU-Recht zieht und seinen Ursprung in der Fehlkonstruktion hat, die Zuständigkeit für Arzneimittel bei der Europäischen Kommission in der Generaldirektion Unternehmen (Enterprise) und nicht in der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz (Sanco) anzusiedeln. Die vom EuGH zu entscheidende Frage lautete (wörtlich zitiert, weil so typisch):
"Ist es durch Artikel 30 EG oder nach sonstigem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt, wenn die zuständige deutsche Behörde den Parallelimport eines Arzneimittels durch Verweigerung der Zulassung im vereinfachten Verfahren entgegen Artikel 28 EG behindert, obwohl sie einerseits davon ausgeht, dass das einzuführende, in Italien für die Firma Chiesi Farmaceutici SpA zugelassene Arzneimittel ("Jumex") in Bezug auf den arzneilich wirksamen Bestandteil "Selegilinhydrochlorid" identisch mit dem in Deutschland im Verkehr befindlichen Arzneimittel ("Movergan") der deutschen Zulassungsinhaberin Firma Orion Pharma GmbH ist, wobei der arzneilich wirksame Bestandteil von der in Ungarn ansässigen Herstellerfirma an die italienische Firma aufgrund eines Lizenzvertrags, an die deutsche Firma jedoch allein aufgrund eines Liefervertrags (supply agreement) mit der Orion Corp. Finnland – sei es unmittelbar, sei es über Finnland – geliefert wird, wenn die deutsche Behörde andererseits weder hinsichtlich des arzneilich wirksamen Bestandteils noch hinsichtlich der Hilfsstoffe, die sich nach Auffassung der Behörde im vorliegenden Fall qualitativ und quantitativ unterscheiden, substantiiert geltend macht, dass die beiden Arzneimittel nicht gleich seien, insbesondere nicht nach der gleichen Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt würden oder unterschiedliche therapeutische Wirkung hätten?" (Haben Sie die Frage verstanden?)
Die Lösung des Problems
Der EuGH hat aber im selben Urteil auch die Basis zur Lösung unseres Problems aufgezeigt: "Es ist darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung der Zulassungserteilung für ein aus einem anderen Mitgliedstaat importiertes Arzneimittel, in dem es zugelassen ist, eine Beschränkung des freien Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten darstellt und dass eine solche Beschränkung Artikel 28 EG widerspricht, sofern sie nicht durch zwingende Erfordernisse, insbesondere solche des Schutzes der Gesundheit, gerechtfertigt ist.
Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden, vor der Erteilung von Zulassungen das wesentliche Ziel dieser Gemeinschaftsregelung – den Schutz der öffentlichen Gesundheit – strikt zu beachten." Auf Letzteres müssen wir abheben und entsprechende gesetzliche Maßnahmen fordern.
In den USA hat der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudi Giuliani in die politische Debatte um die zunehmenden Reimporte von Arzneimitteln eingegriffen, indem er im April 2004 die Studie "Examination and Assessment of Prescription Drug Importation from Foreign Sources to the United States" vorgelegt hat (kurz: "Giuliani Report"). Darin heißt es:
"Prescription medicines are a key component to this nation's healthcare system. As new medicines are developed, people are living longer, healthier lives. And because it is literally a matter of life and death, every effort must be made to protect this nation's medicine supply. To that end, a comprehensive system has been implemented at the federal and state levels to ensure that the medicines that are approved are safe and effective and that the processes for their manufacture, distribution and sale are as tightly controlled as possible in order to keep them safe and effective."22
Aus meiner Sicht ist dem auch für Deutschland nichts hinzuzufügen. Alle Gesundheitsberufler sollten sich selbst und die Öffentlichkeit besser informieren. Und der neugewählte Gesetzgeber sollte in dieser Legislaturperiode auf die Herausforderungen durch die Arzneimittelfälscher reagieren.
Prof. Dr. Harald G. Schweim
Literatur
1 H.G. Schweim: Arzneimittelfälschungen global und in Deutschland. Dtsch. Apoth. Ztg. 145 (32), 4390 – 4397 (2005).
2 Fälschungen keine Chance lassen. Pharm. Ztg. 41/2004.
3 Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1431 vom 16. 7. 2003.
4 www.diabetes-news.de/apotheke/nachrichten/pa020208.htm.
5 Graham Satchwell: A Sick Business. Stockholm Network, 2004, p. 49.
6 www.swissmedic.ch/Archiv/Viagra-d.pdf.
7 Dtsch. Apoth. Ztg. 41/2002, S. 4922.
8 www.i-base.info/pub/htb/vol3/htb3-9/#Profiteers.
9 www.house.gov/commerce_democrats/press/108st63.shtml.
10 Julian Mount: Safer Pharmaceutical Distribution in Europe, in: Progressions. The Ernst & Young Global Pharmaceutical
Report 2005, p. 15.
11 (aal): Gesundheitsbehörde blockiert Arzneimittel-Importe. Dtsch. Apoth. Ztg. 24/2004.
12 www.fda.gov/oc/initiatives/counterfeit/report02_04.html.
13 www.fda.gov/medwatch.
14 www.fda.gov/oc/initiatives/counterfeit/photo2.html.
15 http://lexikon.freenet.de/Dunkelziffer.
16 H.A. Katrup: Parallel Trade in Europe: Repacking and Relabelling Issues / Trade barriers. London 2003.
17 www.vfa.de/de/wirtschaft/statcharts/arzneimittelmarkt/ ?ADDPUBLIKATIONEN_ID=37.
18 www.vfa.de/de/wirtschaft/aktuellwi.
19 www.efpia.org/4_pos/sci_regu/publichealth.pdf.
20 Aktenzeichen C 143/00. AZ 19/2002.
21 Aktenzeichen C 112/02. http://lexetius.com/2004,343.
22 www.fda.gov/ohrms/dockets/dockets/04n0115/04N-0115_ emc_000013-02.pdf.
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