Selbstmedikation

Erbrechen – wenn alles wieder hoch kommt

"Ich brauche etwas gegen Erbrechen". So oder ähnlich werden Antiemetika üblicherweise in der Apotheke verlangt. Schließlich ist die Behandlung von Erbrechen eine Domäne der Selbstmedikation. Doch bei diesem Thema reicht kein 08/15-Handverkaufsgespräch. Vielmehr geht es darum, differenziert abzuklären, um welche Art von Erbrechen es sich handelt, ob im jeweiligen Fall eine Selbstmedikation überhaupt vertretbar ist und welche Medikamente dann empfohlen werden können.

Erbrechen (Emesis, Vomitus) ist an sich keine Krankheit, sondern ein Symptom, das eine Warn- und Schutzfunktion für den Körper besitzt. Erbrechen wird reflektorisch ausgelöst. Auslösende Reize sind z.B. starke Dehnung oder Reizung der Magenwand. Auch üble Gerüche, ekelige Anblicke oder allein deren Vorstellungen sowie eine Reizung des Gleichgewichtsorgans aktivieren über afferente Nervenfasern das Brechzentrum in der Medulla oblongata. Aber auch starke Schmerzen, Überanstrengung, erhöhter Hirndruck, Strahlenbelastung, Medikamente, Toxine oder hormonelle Veränderungen können zu Erbrechen führen.

Meist geht dem eigentlichen Brechvorgang ein Übelkeitsgefühl, verstärkte Speichel- und Schweißsekretion und eine verlangsamte, tiefe Atmung voraus. Bei verschlossenem Kehlkopfeingang und erschlafften Ösophagussphinktern wird der Mageninhalt dann nach tiefem Einatmen durch unwillkürliche Kontraktion von Zwerchfell und Bauchmuskulatur stoßweise nach oben befördert.

Das gilt es zunächst abzuklären

Zunächst gilt es in der Apotheke zu erfragen, wie häufig der Betroffene schon erbrochen hat und wie lange der Zustand bereits anhält. Während einmaliges oder vereinzeltes Erbrechen für einen an sich gesunden Organismus praktisch folgenlos bleibt, kann anhaltendes, schweres Erbrechen gravierende Konsequenzen haben. Dazu zählen Störungen im Wasser- und Elektrolythaushalt sowie pH-Verschiebungen mit hypochlorämischer Alkalose, Exsikkose, Temperaturanstieg, körperlicher Schwäche und Benommenheit bis hin zum Koma. Während akute Fälle mit täglich bis zu drei oder vier Brechepisoden über maximal zwei Tage selbstmedikationsfähig sind, müssen Patienten, die länger und häufiger intensiv erbrechen, umgehend einer ärztlichen Diagnose zugeführt werden. Gleiches gilt für Kinder unter zwei Jahren, Schwangere sowie Personen mit schlechtem Allgemeinzustand.

Nach Begleitsymptomen fragen

Ein Warnsignal, das im Beratungsgespräch immer zum Arztbesuch führen sollte, ist, wenn Erbrechen mit hohem Fieber (> 39 °C) einhergeht. Dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine ernst zu nehmende Infektion des Gastrointestinaltrakts z.B. mit Salmonellen oder Campylobacter handelt, die antibiotisch behandelt werden muss. Starke Krämpfe und kolikartige Schmerzen, aber auch Erbrechen von Essen des Vortags deuten auf therapiebedürftige Obstruktionen im Magen-Darm-Trakt hin (z.B. Ulcus, Stenose, Tumor). Plötzliches Nüchternerbrechen ohne vorangehende Nausea kann das erste Symptom einer zerebralen Raumforderung sein. Hier können eine Gehirnerschütterung, Hirnödeme oder -tumore als Ursache dahinter stecken. Die Alarmglocken sollten in der Beratung ebenfalls läuten, wenn der Patient gleichzeitig von respiratorischen Infekten, Herzbeschwerden, Nasenbluten oder entgleistem Diabetes mellitus berichtet.

Morgendliches Nüchternerbrechen ist typisch für Intoxikationen (z.B. nach Alkoholabusus) oder Stoffwechselentgleisungen und tritt auch in der Frühschwangerschaft auf. Erbricht ein Patient vorwiegend zu Beginn oder nach einer Mahlzeit, kann es sich auch um eine psychogen bedingte Form handeln. In all diesen Fällen kommt eine Selbstmedikation nicht mehr in Betracht.

Sind andere Arzneimittel schuld?

Viele Medikamente können als unerwünschten Begleiteffekt Magen-Darm-Störungen mit Übelkeit und Erbrechen verursachen. Die Arzneimittel-Anamnese eines Kunden, der in der Apotheke ein Antiemetikum verlangt, kann daher durchaus aufschlussreich sein. Nicht nur Chemotherapeutika, auch die häufig verordneten nicht-steroidalen Antirheumatika sowie zentral wirksame Analgetika rufen gelegentlich Erbrechen hervor. Bekannt ist diese Nebenwirkung außerdem z.B. bei Amiodaron, Baclofen, Barbituraten (vor allem zu Therapiebeginn), Expektoranzien, Bromocriptin, Carbamazepin, den meisten Antibiotika, Codein, Cumarinen, Eisenverbindungen, Ovulationshemmern, Digitaloiden, Röntgenkontrastmitteln, Sulpirid, Tamoxifen, Theophyllin und anderen. Die Frage nach verordneten Medikamenten kann im Beratungsgespräch außerdem Aufschluss darüber geben, ob der Patient möglicherweise ein Grundleiden hat, in dessen Zusammenhang das Erbrechen aufgetreten sein könnte, wie z.B. Gastritis, Vertigo, Migräne oder eine Hepatitis. Wenn ja, sollte dem Patienten in der Apotheke kein Mittel zur Selbstmedikation, sondern der dringende Rat gegeben werden, Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten.

 

ERBRECHEN IST EIN SYMPTOM, das eine Warn- und Schutzfunktion für den Körper besitzt. Geht es mit hohem Fieber einher, so sollte immer zu einem Arztbesuch geraten werden. 
(Quelle: Selbstmedikation für die Kitteltasche, Deutscher Apotheker Verlag, 2004)
 

Wenn's am Essen lag

Eine Nahrungsunverträglichkeit oder eine Lebensmittelvergiftung äußert sich in starker Übelkeit mit Erbrechen nach dem Konsum verdorbener oder unverträglicher Nahrung sowie nach übermäßigem Genuss von Speisen und Getränken. Diese Fälle lassen sich in der Apotheke gut abklären, denn der Auslöser ist dem Betroffenen dann meist selbst bekannt (oft Alkohol). Das Erbrechen tritt hier in der Regel innerhalb weniger Stunden nach Aufnahme des Auslösers ein. Eine akute Gastroenteritis ist ebenfalls durch einen plötzlichen Beschwerdebeginn gekennzeichnet und geht häufig mit Durchfall und Darmkrämpfen einher. Sie ist selbstlimitierend und dauert nur wenige Tage. Patienten mit Nahrungsunverträglichkeit oder einer akuten Gastroenteritis kann in der Apotheke weitergeholfen werden. Dazu sollte man dem Betroffenen Hinweise zur magenschonenden Ernährung geben. Dabei gilt: Nahrungskarenz oder nur leicht verdauliche Kost nach individueller Verträglichkeit zu sich nehmen, unverträgliche Speisen meiden, jedoch reichlich warme Flüssigkeit zuführen. Mit eintretender Besserung sollte zunächst mit kleinen, dafür häufigeren Mahlzeiten begonnen werden.
 

Sonderfall Reisekrankheit 

Werden von den Sinnesorganen (Gleichgewichtsorgan, Augen) unterschiedliche Meldungen über die passive Bewegung des Körpers ans Gehirn geleitet, kann es zur Kinetose mit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen kommen. Für prädisponierte Personen ist daher die prophylaktische Einnahme eines Antihistaminikums ca. eine halbe Stunde vor Reiseantritt sinnvoll. In Form von wirkstoffhaltigen Kaugummis (Dimenhydrinat, Superpep®-Reise-Kaugummi-Dragees) tritt ihre Wirkung rascher ein. Bonbonlutschen und Kaugummikauen sollen schon an sich einen leichten brechreizhemmenden Effekt haben. Auch die antiemetische Wirkung von Ingwerwurzel (z.B. in Zintona®) kann man sich hier zu Nutze machen. Empfehlenswert ist außerdem, eine kleine leichte Mahlzeit einzunehmen, bevor die Reise losgeht.

Während der Fahrt sollten empfindliche Personen keinesfalls lesen, sondern möglichst aufmerksam am Reisegeschehen teilnehmen und beim Hinausschauen einen festen Punkt am Horizont suchen. Die günstigsten Plätze sind im Auto auf dem Beifahrersitz, im Bus hinter der Vorderachse, auf dem Schiff in der Mitte des Rumpfes und im Flugzeug auf Höhe der Tragflächen.

Geeignete Präparate-Empfehlungen

Um übermäßigen Brechreiz unter Kontrolle zu bringen, sind in der Selbstmedikation H1-Antihistaminika wie Diphenhydramin (z.B. Emesan®), Dimenhydrinat (z.B. Vomex®, Vomacur®) die Mittel der Wahl. Sie unterdrücken über zentrale H1-Rezeptoren die Auslösung des Brechreizes in der Medulla oblongata. Bei starkem Erbrechen bietet sich die Abgabe von Suppositorien an, um die Resorption zu gewährleisten. Der Patient sollte auf jeden Fall auf die sedierende Nebenwirkung dieser Wirkstoffe vorbereitet werden, die auch mit Fahruntauglichkeit verbunden sein kann. Außerdem treten manchmal Mundtrockenheit und Miktionsstörungen auf. Kontraindiziert sind diese Präparate bei Glaukompatienten, Epileptikern, Personen mit Prostataadenom und akuten Asthmaproblemen. Bei gleichzeitiger Einnahme von zentral dämpfenden Wirkstoffen, Aminoglykosid-Antibiotika, trizyclischen Antidepressiva und Anticholinergika sind die Interaktionsmöglichkeiten zu beachten. Geht das Erbrechen mit starker Magenübersäuerung einher, bringen auch Antazida wie Maaloxan® oder Talcid® Linderung.

Phytos & Co.

Großen Stellenwert haben in der Selbstmedikation von Erbrechen die pflanzlichen Prokinetika. Sie sollen beruhigend auf den Magen-Darm-Trakt wirken und die Peristaltik normalisieren. Bewährt haben sich Iberis amaris und Schöllkraut (z.B. in Iberogast®), Carminativum®-Hetterich (Auszug aus Kamillenblüten, Pfefferminzblättern, Fenchel, Kümmel, Pomeranzenschalen), Pfefferminzöl und Kümmelöl z.B. im Enteroplant®). Für Personen mit Gallensteinleiden sind sie jedoch nicht geeignet. Bei nur leichter Brechneigung hilft manchem auch schon ein Tropfen Pfefferminzöl, den man langsam auf der Zunge zergehen lässt.

Ist der Betroffene offen für alternative Therapiemethoden, bieten sich im Handverkauf ebenfalls gute Empfehlungsmöglichkeiten, so z.B. das anthroposophische Komplexmittel Digestodoron®. Liegt die Ursache des Erbrechens in Nahrungsmittelunverträglichkeit, Genussmittelmissbrauch oder psychischem Stress, sollte man an das homöopathische Einzelmittel Nux vomica denken. Tritt die Emesis als Begleiterscheinung anderer Beschwerden auf und wird aus leerem Magen erbrochen, ist Ipecacuanha das Mittel der Wahl. Reagiert der Betroffene sehr empfindlich auf Gerüche und ekelt sich vor Speisen, liegt ein Fall für Colchicum vor.

Flüssigkeitsdefizit ausgleichen

Infolge des Wasser- und Elektrolytverlusts hat intensives Erbrechen oft große körperliche Schwäche zur Folge. Insbesondere wenn Durchfall mit im Spiel ist, sollte der Patient daher auf die Notwendigkeit einer oralen Rehydratation hingewiesen werden. Hierzu eignen sich bei milden Verläufen stilles Mineralwasser, Tee oder verdünnte Obstsäfte. In schwereren Formen sind bilanzierte Glucose-Natrium- und Kaliumchlorid-Kombipräparate (z.B. Elotrans®, Oralpädon®) indiziert. Dabei wird der Inhalt eines Beutels in möglichst genau 200 ml Trinkwasser aufgelöst und unmittelbar danach schluckweise (!) getrunken.

Zu guter Letzt...

Abrunden kann man ein Beratungsgespräch zum Thema Erbrechen gekonnt mit einem Arzneitee als Ergänzungsempfehlung. Damit lässt sich nicht nur der gesteigerte Flüssigkeitsbedarf decken. Kamillenblüten, Melissenblätter oder Fenchel leisten mit ihren karminativen, magenberuhigenden Inhaltsstoffen auch einen eigenen Beitrag zum schnelleren Behandlungserfolg.

Apothekerin Christiane Weber

Quelle 
Lennecke, K.: Selbstmedikation für die Kitteltasche, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart (2004).

 

Literaturtipp 

Bagatelle oder schwerwiegende Erkrankung? Durch gezielte Fragen klären Apotheker und PTA Möglichkeiten und Grenzen der Selbstmedikation ab. Der große Erfolg der ersten Auflage zeigt, dass die Frage- und Empfehlungsschemata zu 100 Indikationen der Selbstmedikation ihren festen Platz im Beratungsgespräch gefunden haben. Die zweite Auflage reagiert auf die Veränderungen im Arzneimittelmarkt. Basisinformationen zu Arzneistoffen, Präparatebeispiele und Zusatztipps: alle auf aktuellem Stand! Ein "Muss" für jede Apotheke, die Standards in der Beratung setzen will.

Lennecke, Kirsten; Hagel, Kirsten; Przondziono, Klaus Selbstmedikation für die Kitteltasche Leitlinien zur pharmazeutischen Beratung 2. Auflage 2004. 254 S. Kartoniert. 19,50 Euro. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart. ISBN 3-7692-3488-X

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