Praxis aktuell

Von Saugwürmern und (Zeitungs-)Enten

Der Bodensee ist mit seiner internationalen Lage zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz ein beliebtes Ziel der Touristen, aber auch ein wichtiger Trinkwasserspeicher, der zuletzt im November 2005 Ziel eines Giftanschlags mit Pflanzenschutzmitteln war. Im Hochsommer 2005 trübten Meldungen über zunehmende Infektionen von Badegästen mit Saugwurmlarven den Optimismus der Tourismusbranche. Ein Landtagsabgeordneter meinte, sich medizinisch-pharmazeutisch einschalten zu müssen, bejubelt von einer fachlich ahnungslosen Lokalpresse.

 

Ente – Schnecke – Badegast

Das Grundproblem ist weder neu, noch auf den Bodensee beschränkt: Besonders in den Flachwasserzonen von Gewässern mit hoher Entendichte gedeihen Saugwürmer aus der Familie der Schistosomatidae. Ihre Larven (Zerkarien) entwickeln sich in Wasserschnecken als Zwischenwirten. Bei ansteigenden Wassertemperaturen, besonders in den Morgenstunden heißer Tage, werden die Parasiten freigesetzt und suchen sich einen geeigneten "Gastgeber" – in der Regel eine Ente, manchmal auch einen Menschen.

Die bissigen Zerkarien dringen innerhalb weniger Minuten durch die Haut, was zu einem stark juckenden Hautausschlag führt, der auch als Bade- oder Zerkariendermatitis – im Volksmund "Entenpocken" – bezeichnet wird. Im Gegensatz zu den durch tropische Verwandte verursachten Bilharziose überleben die einheimischen Zerkarien im menschlichen Fehlwirt nur bis zu zwei Wochen und sterben dann ab. Kommt es in dieser Zeit zu einer immunologischen Sensibilisierung, treten die Dermatitis-Symptome erst ein bis zwei Wochen nach dem Bad auf. Bei Sensibilisierten werden die Zerkarien durch die Körperabwehr innerhalb von drei Tagen abgetötet. Zur Behandlung der Symptome einer Badedermatitis werden in erster Linie topische Antihistaminika und Glucocorticoide eingesetzt.

Lösung Niclosamid?

Natürlich blieb auch der Bodensee nicht von diesem Phänomen verschont, auch wenn es nur wenige Wochen lang im Jahr akut wurde. Als Retter des bedrohten Tourismus pries die Lokalpresse ("Südkurier") den Landtagsabgeordneten Andreas Hoffmann, gelernter Sozialversicherungsfachangestellter und tourismus-politischer Sprecher seiner Partei. Dieser habe bestehende bürokratischen Hemmnisse durch eine Flut von Schreiben an Apothekerkammer, Ministerien und andere Behörden aus dem Weg geräumt. Die Lösung aller Probleme biete der Wirkstoff Niclosamid in Form einer an der Universität Erlangen entwickelten Schutzcreme.

Doch zurück zu den eher ernüchternden Fakten: Es gibt nach wie vor keine Arzneimittelzulassung für eine Niclosamid-Zubereitung zur topischen Prophylaxe der Badedermatitis. Der im zugelassenen Hundebandwurmmittel Yomesan® mit 500 mg je Tablette enthaltene Wirkstoff ist nicht in der für die Rezepturherstellung erforderlichen Qualität mit Prüfzertifikat verfügbar. Die von den Erlanger "Forschern" in ihrer garantiert nicht GCP-konformen Studie verwendete Grundlage "Ombia Sun-Sonnenmilch" von ALDI ist galenisch sowie im Hinblick auf die erforderliche Prüfung des Ausgangsstoffs von fragwürdigem Wert.

Aufregend neu sind die Erlanger Erkenntnisse im Übrigen nicht. Leser der Pharmazeutischen Zeitung fanden bereits in Heft Nr. 4/1990 einen zusammengefassten Beitrag aus Science (Vol. 246, 1989, S. 1242-1243), der Forschungsergebnisse des amerikanischen Walter Reed Army Instituts zum Einsatz einer Niclosamid-Lotion gegen Bilharziose präsentierte.

NRF-Rezepturhinweis

Warum nicht einfach eine Yomesan®-Tablette zermörsern und daraus eine 0,05 bis 0,1 %ige wasserfeste Einreibung auf der Basis einer hydrophoben Grundlage herstellen? Die auf Rezepturprobleme spezialisierten Experten des Neuen Rezeptur Formulariums (NRF) stellten fest, dass das Bandwurmmittel als Hilfsstoff das Tensid Natriumdodecylsulfat enthält, welches dazu beiträgt, dass die Einreibung beim Baden beschleunigt abgespült würde. Die notwendige Isolierung des in Wasser praktisch unlöslichen und in Ethanol, Chloroform oder Ether nur wenig löslichen Niclosamid verursacht erheblichen Aufwand. Die realen Kosten für die Herstellung übersteigen die von der Lokalpresse genannten acht Euro für 100 Gramm Creme erheblich. Als geeignete Grundlagen nennt der NRF-Rezepturhinweis die Lipidphase der Hydrophoben Basiscreme DAC (Lipophile Cremegrundlage, NRF 11.104) oder Emulgierende Augensalbe DAC.

Juristische Fallen

Eine Zerkarienschutzcreme ist nach deutschem Recht ein Arzneimittel, kein Kosmetikum. Niclosamid-haltige Zubereitungen unterliegen in Deutschland nicht der Verschreibungspflicht. Dies bedeutet nicht, dass damit der Weg für eine unkritische Rezepturherstellung von Badedermatitis-Badecremes in Apotheken frei wäre. Eine Apotheke, die derartige Zubereitungen anbietet, bringt Fertigarzneimittel in den Verkehr. Fertigarzneimittel erfordern grundsätzlich eine Zulassung – das Fehlen einer Zulassung wird als Straftat geahndet. Ohne Zulassung erlaubt sind die individuelle Ad-hoc-Herstellung in jedem Einzelfall oder die Abgabe auf ärztliche Verordnung. Liegen nachweislich häufige ärztliche Verordnungen vor, ist – innerhalb vorgegebener Produktionsgrenzen – eine gewisse Bevorratung mit einem nicht zugelassenen Rezeptur- oder Defekturarzneimittel möglich. Aufgrund der dünnen Datenlage zu möglichen Risiken einer großflächigen Anwendung von Niclosamid-Zubereitungen, insbesondere bei Kindern, ist Apotheken zu empfehlen, auf der Vorlage einer ärztlichen Verschreibung zu bestehen.

Bei Apothekenrevisionen werden sich die Pharmazieräte die Bevorratung sowie die Dokumentation der gemäß Apothekenbetriebsordnung (§ 11) erforderlichen Prüfung der Ausgangsstoffe sehr genau ansehen. Bei Beanstandungen drohen hohe Bußgelder. Gleiches gilt für den Fall, dass bei der Untersuchung amtlich erhobener Proben von Niclosamid-Cremes qualitative Mängel festgestellt werden sollten.

Und das Trinkwasser?

Eher stiefmütterlich wurde bislang in der auf bedrohte Badefreuden reduzierten Diskussion der ökotoxikologische Aspekt einer massenweisen Eintragung von Niclosamid in einen Trinkwasserspeicher behandelt. Die Sensibilität gegenüber Gewässerbelastungen durch Arzneimittelrückstände hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

Zwar geht das Seenforschungsinstitut in Langenargen, so betont der Politiker, nicht von negativen Auswirkungen auf die Fauna und Flora am See aus. Ob diese Annahme auf soliden wissenschaftlichen Daten zur Abbaubarkeit von Niclosamid beruht, muss bezweifelt werden.

Fazit

Auch wenn sich Laienpresse und Landespolitiker für den Einsatz unzureichend geprüfter, nicht als Arzneimittel zugelassener Niclosamid-Zubereitungen gegen Badedermatitis stark machen, sind die Besonnenheit und der Sachverstand der Apotheken gefragt. Ein unkritischer Massenverkauf birgt toxikologische und ökotoxikologische Risiken – zu den eifrigsten Anklägern werden Medien und Politiker mit Gedächtnislücken gehören. Eine arzneimittelrechtlich und galenisch einwandfreie Herstellung ist für Schnäppchenpreise nicht zu haben. Zu den erforderlichen nachhaltigen Maßnahmen gegen die Zerkarienplage gehört neben der Vermeidung gemischter Badestellen für Wasservögel und Menschen die Reduktion einer Überpopulation der Enten. Vielleicht könnte die hysterisch kommentierte Vogelgrippe regulierend wirken. Leider tötet sie keine Zeitungsenten.

Michael Schmidt

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