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Arzneimittel und Therapie
Kopf-Hals-Tumoren: Therapiestandards und neue Behandlungsansätze
Ungefähr 5% aller malignen Neuerkrankungen betreffen den Kopf-Hals-Bereich, wobei man zwischen Lippen-, Zungen-, Mundboden-, Nasopharynx-, Pharynx- und Kehlkopfkarzinomen unterscheidet. Über 90% sind Plattenepithelkarzinome, das heißt, sie gehen von einer Schleimhautschicht aus. Sie metastasieren relativ schnell und infiltrieren umliegendes Gewebe frühzeitig. Bei Diagnosestellung sind bereits mehr als die Hälfte aller Tumore fortgeschritten und in der Regel nicht mehr heilbar. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt im frühen Stadium zwischen 75 und 90%, im weit fortgeschrittenen Stadium nur noch bei 10 bis 30%.
Mit rund 14.000 Neuerkrankungen pro Jahr sind Kopf-Hals-Tumoren die fünfhäufigste Krebsart in Deutschland. Männer sind rund viermal häufiger betroffen als Frauen, der Altersgipfel der Erkrankung liegt zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr. Bekannte Risikofaktoren sind Tabakrauch, Alkohol (als Lösungsmittel für Tabakkarzinogene), chronische Entzündungen, chemische Noxen wie Asbest, Nickel, Kokereigase, Holzstaub sowie onkogene Viren (HPV 16 und HPV 18).
Symptome von Kopf-Hals-Tumoren
- Fremdkörpergefühl
- Schluckbeschwerden
- Schmerzen (insbesondere Ohrenschmerzen)
- Heiserkeit
- Atemnot
- Blutungen
- Schwellung der Halslymphknoten
- sensorische Veränderungen (Verlust des Riechvermögens, einseitige Schwerhörigkeit)
- kosmetische Veränderungen (Verhärtungen, Schwellungen)
- Geschwüre im Mundbereich
Standardtherapien
Kleine Tumoren ohne Lymphknotenmetastasen werden entweder operiert oder bestrahlt, wobei die Heilungschancen bei beiden Vorgehensweisen relativ gut sind. Die Strahlentherapie ist bei kleineren Tumoren sehr effektiv, führt aber bei nicht resektablen Tumoren nur noch zu unbefriedigenden Ergebnissen. Bei größeren Tumoren wird in der Regel zuerst operiert und dann bestrahlt. Je nach Tumorstadium erfolgt nach der Operation eine kombinierte Chemo- und Strahlentherapie. Der Nutzen neoadjuvanter Chemotherapien sowie der simultanen Strahlen-Chemotherapie werden derzeit untersucht.
Rezidive oder Fernmetastasen werden chemotherapeutisch behandelt. Mit einer Heilung ist in diesen Stadien nicht mehr zu rechnen, das heißt, die Therapie wird palliativ durchgeführt. Das derzeit am häufigsten eingesetzte Therapieregime ist die Kombination aus Cisplatin und 5-Fluorouracil, ferner spielen die Taxane Paclitaxel und Docetaxel, Bleomycin, Carboplatin sowie Methotrexat eine Rolle. Mit den Standardtherapien werden Remissionsraten zwischen 20 und 30% erzielt. Die durchschnittliche Überlebenszeit im fortgeschrittenen Stadium liegt zwischen fünf und sechs Monaten; mit Taxan-haltigen Kombinationen kann die mittlere Überlebenszeit möglicherweise auf sechs bis acht Monate verlängert werden. Tritt nach einer platinbasierten Therapie ein Progress ein, beträgt das durchschnittliche Gesamtüberleben trotz weiterer Chemo- und Radiotherapien nur noch 3,4 Monate. Durch einen neuen Therapieansatz – die Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper Cetuximab (Erbitux®) – kann diese kurze Überlebenszeit um einige Monate verlängert werden.
Definition
Mit dem Begriff Kopf-Hals-Tumoren werden eine Vielzahl bösartiger Tumoren im Bereich des Kopfes unter Ausschluss des Gehirns und der Schilddrüse bezeichnet. Dazu gezählt werden Krebserkrankungen von:
- Lippen
- Mundboden
- Mundhöhle
- Zahnfleisch
- Zunge
- Gaumen
- Speicheldrüsen
- Rachen
- Nasenhöhle und Nasennebenhöhle
- Kehlkopf
- Mittelohr
Zielgerichtete Therapie mit Cetuximab
Bei Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich werden in einem hohen Ausmaß EGF-Rezeptoren (EGFR = Epidermal Growth Factor Receptor) überexprimiert. Diese hohe Expressionsrate korreliert mit gehäuftem Zellwachstum, Invasion und Metastasierung. Aufgrund dieser Tatsachen wurde die Wirkung von Cetuximab, einem monoklonalen Antikörper gegen EGFR, bei fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren in mehreren klinischen Studien untersucht.
In einer internationalen Phase-III-Studie mit 424 Patienten konnte gezeigt werden, dass die zusätzliche Gabe von Cetuximab gegenüber der alleinigen Bestrahlung bei lokal fortgeschrittenen Hals-Kopf-Tumoren in der Lage ist, die mittlere Überlebenszeit von 28 Monaten auf 54 Monate fast zu verdoppeln. Neben der Gesamtüberlebenszeit wurde auch die lokoregionale Tumorkontrolle durch die zusätzliche Gabe von Cetuximab signifikant verbessert.
Zulassungsstatus von Cetuximab
Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse hat der Hersteller von Cetuximab (Erbitux®) Merck Pharma, im August dieses Jahres bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA und der SwissMedic den Antrag auf eine Indikationserweiterung für Cetuximab zur Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren eingereicht. Dieser sieht die Anwendung von Cetuximab in Kombination mit einer Strahlentherapie für lokal fortgeschrittene Plattenepithelkarzinome des Kopfes und des Halses und als Monotherapie bei Patienten mit Rezidiv und/oder Metastasen vor, bei denen eine vorherige Chemotherapie erfolglos war.
In Deutschland ist Cetuximab bislang für die Kombinationsbehandlung mit Irinotecan bei Patienten mit EGFR-exprimierendem, metastasierendem kolorektalem Karzinom zugelassen, nachdem eine zuvor erfolgte Therapie mit Irinotecan versagt hat.
Vorteil bei Mono- und Kombinationstherapie
In einer weiteren Phase-II-Studie erhielten 103 Patienten, die auf eine vorangegangene platinhaltige Chemotherapie nicht mehr ansprachen, Cetuximab als Monotherapie. In dieser Patientenpopulation, bei der der Tumor rezidiviert und/oder metastasiert war, lag die mittlere Überlebenszeit bei 5,9 Monaten im Vergleich zu 3,4 Monaten in einer analogen Patientenpopulation (retrospektive Analyse).
Zur Erst-Linien-Therapie bei metastasierenden Kopf-Hals-Tumoren liegt eine randomisierte Phase-III-Studie mit 115 Patienten vor. Hier wurde die Kombination aus Cetuximab und Cisplatin mit einer platinhaltigen Chemotherapie ohne monoklonalen Antikörper verglichen. Mit einer Ansprechrate von 26% im Kombinationsarm im Vergleich zu 10% in der Cisplatin-Gruppe zeigte diese Studie ebenfalls einen signifikanten Vorteil für die Kombinationstherapie.
Bislang wurde Cetuximab als Zweit-Linien-Therapie in Kombination mit einer platinhaltigen Chemotherapie in drei Phase-II-Studien untersucht. Es konnten Ansprechraten von 10 bis 12% ermittelt werden; unter konventionellen Therapien werden Ansprechraten von rund 3% erzielt.
Derzeit wird eine multizentrische, randomisierte Phase-III-Studie durchgeführt (EXTREME-Studie), in der Patienten mit rezidivierendem und/oder metastasierendem Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereichs neben einer platinhaltigen Chemotherapie und 5-Fluorouracil zusätzlich Cetuximab in der Erst-Linien-Therapie erhalten.
Apothekerin Dr. Petra Jungmayr
Quelle
Priv.-Doz. Dr. T. K. Hoffmann, Düsseldorf, Prof. Dr. W. Budach, Düsseldorf; Prof. Dr. H. Wilke, Essen: „START 2 Kopf-Hals-Tumoren. Eine interdisziplinäre Herausforderung. Therapiestandards und neue Perspektiven“. Essen, 26. Oktober 2005; veranstaltet von Merck Pharma, Darmstadt.
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