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Arzneimittel und Therapie
Strahlen- und Chemotherapie: Palifermin vermindert Häufigkeit einer Mukositis
Palifermin ist ein rekombinanter humaner Keratinozytenwachstumsfaktor (fHuKGF), der an spezifische Oberflächenrezeptoren der Epithelzellen bindet und deren Proliferation und Differenzierung induziert. So stimuliert er das Wachstum der Epithelzellen im Mund, Magen und Darm. Das Protein besteht aus 140 Aminosäuren und unterscheidet sich vom endogenen humanen Keratinozytenwachstumsfaktor durch Deletion von 23 N-terminalen Aminosäuren, wodurch die Stabilität erhöht wird.
Anwendung bei Stammzelltransplantation
Palifermin ist EU-weit für Patienten mit hämatologischen Krebsformen zugelassen, wenn sie myeloablative Therapien erhalten, die häufig schwere Mukositiden hervorrufen und den Einsatz autologer hämatopoetischer Stammzellen erfordern. Zur Konditionierung vor Stammzelltransplantationen erhalten die Patienten eine hochdosierte Chemo- und Strahlentherapie, die nicht nur alle blutbildenden Zellen vernichtet, sondern auch die epithelialen Zellen des gesamten Gastrointestinaltraktes schwer in Mitleidenschaft zieht.
In Deutschland wird jährlich bei etwa 4500 Patienten eine Transplantation peripherer Stammzellen vorgenommen. Die früher verbreitete Stammzellentnahme aus dem Knochenmark wird zunehmend durch die Gewinnung aus peripherem Blut ersetzt. Bei autologen Übertragungen werden die Stammzellen bereits in etwa 99% der Fälle aus dem Blut entnommen. Etwa zwei Drittel der Betroffenen erhalten autologe Stammzelltransplantationen, die übrigen erhalten Stammzellen von Spendern.
Nach der Zerstörung des Knochenmarks durch Chemotherapie oder Bestrahlung müssen die Patienten etwa drei Wochen in einer sterilen Umgebung verbringen, bis die übertragenen Stammzellen eine ausreichende Menge Blutzellen produzieren. In dieser Zeit leiden die Patienten zudem unter den weiteren Folgen der myeloablativen Therapie. Dazu gehören vielfach schmerzhafte Entzündungen oder Geschwüre im Mund, bei denen sich die Zähne lockern können. Bei einer Mukositis vom Schweregrad 3 können die Patienten nicht mehr essen, bei Grad 4 auch nicht trinken. Risikofaktoren für das Auftreten einer Mukositis sind schlechter Zahnzustand, schlechte Ernährung, hohes Alter und vorherige Mukositiden. Außer bei myeloablativen Therapien werden Mukositiden auch bei schnell aufeinander folgenden Chemotherapien mit mukotoxischen Substanzen wie Methotrexat, nach großflächiger Bestrahlung und bei gastrointestinalen Tumoren vermehrt beobachtet.
Gute Wirksamkeit und Verträglichkeit
Die Wirksamkeit von Palifermin bei hämatologischen Krebsformen wurde in vier klinischen Studien mit insgesamt 650 Patienten nachgewiesen. In einer Studie mit 212 Patienten senkte Palifermin im Vergleich zur besten pflegerischen Behandlung die Inzidenz der oralen Mukositis vom Grad 3 oder 4 von 98% auf 63%. Für die Patienten relevanter dürfte die von durchschnittlich neun auf drei Tage verkürzte Dauer der schweren Mukositis sein. Opioide wurden durchschnittlich nur an sieben statt an elf Tagen benötigt.
Palifermin wurde dabei an jeweils drei Tagen vor und nach einer myelotoxischen Therapie in einer Dosis von täglich 60 µg pro kg Körpergewicht intravenös verabreicht und erwies sich als gut verträglich. Nebenwirkungen wie Hautausschlag, Juckreiz, Fieber, Muskelschmerzen und Beschwerden im Mundraum waren reversibel und vorwiegend mild bis moderat, sie dürften zu einem beträchtlichen Teil auch durch die myelotoxische Therapie bedingt sein. Ein Beginn der Therapie mit Palifermin nach Auftreten einer schweren Mukositis verspricht keinen Erfolg, auch die lokale Anwendung des Wachstumsfaktors in Spülungen hat sich als wirkungslos erwiesen. Gefährdete Patienten sollten daher vorab identifiziert werden.
Möglicher Überlebensvorteil
Wie bei der Verabreichung anderer Wachstumsfaktoren an Tumorpatienten stellt sich die Frage, ob eine solche Therapie möglicherweise das Tumorwachstum fördern könnte. Dafür wurden jedoch keinerlei Anhaltspunkte gefunden. Im Gegenteil - die Therapie mit Palifermin könnte neben der Lebensqualität auch das Gesamtüberleben der Patienten günstig beeinflussen. Denn die Läsionen im Mundraum bilden eine bevorzugte Eintrittspforte für Erreger, die die immunsupprimierten Patienten stark gefährden. So zeigte sich in einer Studie eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit für Patienten mit schwächerer Mukositis. Diese Korrelation könnte einen kausalen Zusammenhang darstellen, weil bei Patienten, die nach einer Hochdosistherapie an Sepsis verstarben, Übereinstimmungen zwischen den tödlichen Erregern und dem Keimspektrum im Mund der Patienten gefunden wurden. Die Verminderung der Wunden im Mundraum könnte daher das Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen der Hochdosistherapie verringern. Diesen Zusammenhang nachzuweisen, ist ein wesentliches Ziel der weiteren Forschung mit Palifermin.
Palifermin (Kepivance®) ist ein humaner Keratinocyten-Wachstumsfaktor (KGF), der mit Hilfe rekombinanter DNA-Technologie in Escherichia coli hergestellt wird. Der Keratinocyten-Wachstumsfaktor ist ein Protein, welches durch Bindung an spezifische Oberflächenrezeptoren der Epithelzellen die Proliferation, Differenzierung und Hochregulierung von zytoprotektiven Mechanismen, z. B. Induktion von Antioxidationsenzymen, stimuliert. Endogener KGF ist ein spezifischer Wachstumsfaktor für Epithelzellen, der von mesenchymalen Zellen produziert und als Antwort auf eine Verletzung der Epithelzellen hochreguliert wird. So können die Häufigkeit und die Dauer einer schweren Mukositis unter einer Zytostatika-Therapie erheblich gesenkt werden.
Palifermin sollte nicht innerhalb von 24 Stunden vor, während oder innerhalb von 24 Stunden nach Anwendung eines zytotoxischen Chemotherapeutikums angewendet werden. In einer klinischen Studie hatte die Anwendung von Kepivance innerhalb von 24 Stunden vor oder nach Chemotherapie eine Erhöhung von Schweregrad und Dauer der oralen Mukositis zur Folge.
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