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Geht es Ihnen auch so? Ich bekomme in der Apotheke zunehmend Anfragen und Anrufe von Patienten und Ärzten, die ich enttäuschen muss. Ihr Anliegen: Der Patient möchte auch nach Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetzes (AVWG) sein gewohntes Original oder Generikum, er ist auch bereit, die Differenz zuzuzahlen, wenn der Arzt ihm nur ein preiswerteres Generikum verordnet, weil dieser (eingeschüchtert durch die unselige Bonus-Malus-Regelung) einen Regress befürchtet. Der Arzt will dem Patienten helfen, schlägt vor, um uns sein Einverständnis zu signalisieren, dass er ein Kassenrezept über das für ihn ungefährliche niedrigpreisige Generikum ausstellt und zusätzlich ein Privatrezept oder ein Grünes Rezept über das wirkstoffidentische, vom Patienten gewünschte Arzneimittel. Die gut gemeinte Idee: Die Apotheke rechnet das preiswerte Präparat mit der Kasse ab, der Patient erhält das gewünschte (teurere) Präparat, bezahlt ggf. die für das preiswerte Präparat fällige Zuzahlung und übernimmt die Mehrkosten, d.h. die Preisdifferenz zwischen dem erhaltenen und dem abgerechneten Präparat. Und alle sind glücklich?

Weit gefehlt! Es ist Betrug, sich darauf einzulassen. Die Betrogenen sind dabei die Generikahersteller. Nach § 130 a Abs. 3 b SGB V müssen die pharmazeutischen Unternehmen für alle ihre zu Lasten der GKV abgerechneten Präparate, für die es wirkstoffidentische Konkurrenz gibt, einen 10%igen Generikarabatt an die Krankenkassen abführen. Dass sie dazu nur bereit sind, wenn ihre Präparate nicht nur abgerechnet, sondern auch abgegeben wurden, ist verständlich. Rabatt abzuführen, ohne Umsatz gemacht zu haben – das ist natürlich unzumutbar. Auch aus Gründen der Arzneimittelsicherheit (Rückverfolgbarkeit, wer welches Arzneimittel erhalten hat) ist nicht zu verantworten, das abgegebene Arzneimittel nicht auf dem Rezept zu vermerken.

Und dennoch: Das Anliegen der Patienten und Ärzte bleibt verständlich. Nach Recht und Gesetz bleibt ihnen derzeit oft nur die Wahl, ein eigentlich ungewünschtes Arzneimittel zu akzeptieren, von dem der Arzt meint, es ohne Regressgefahr zu Lasten der GKV-Kassen verordnen zu können; oder der Patient muss das gewünschte Arzneimittel auf Privatrezept voll zu bezahlen. Das ist – gelinde gesagt – unbefriedigend, der Patient wird unnötig gegängelt. Vor dem Hintergrund, dass Festbeträge eigentlich Erstattungsobergrenzen festlegen sollen (und nicht mehr), sollte man über eine angemessenere Lösung nachdenken. "Wir bezahlen den VW, wenn der Patient einen Mercedes will, kann er ja die Differenz zuzahlen" – Norbert Blüm, in dessen Ära die Festbeträge eingeführt wurden, hat dies sinngemäß immer wieder so gesagt. Aber gestimmt hat es nie. Dieses bescheidene Stückchen Autonomie wurde den Patienten nie wirklich eingeräumt.

Wie ließe sich Blüms Versprechen heute (endlich) einlösen? Die Voraussetzungen, dies durch die Apotheker erledigen zu lassen, sind besser denn je. Den Apothekern kann inzwischen nicht mehr unterstellt werden, sie seien bevorzugt an der Abgabe hochpreisiger(er) Arzneimittel interessiert. Die neue Arzneimittelpreisverordnung (Fixzuschläge mit nur noch minimaler prozentualer Komponente) und die egalisierenden, radikalen Rabattbeschränkungen im Gefolge des AVWG haben dem ein Ende bereitet.

Wenn der Arzt Substitution durch Setzen eines Kreuzes nicht ausgeschlossen hat, ist der Apotheker schon nach alter Rechtslage ermächtigt, (ggf. neben dem namentlich verordneten Arzneimittel) eines der drei preisgünstigsten aus der Gruppe der vergleichbaren Arzneimittel abzugeben; und er ist verpflichtet, das abgegebene Arzneimittel zu taxieren und damit zu dokumentieren.

Neu zu regeln wäre nur, dass der Apotheker auf Wunsch des Patienten und seines Arztes auch ein höherpreisiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben darf (bis hin zum "Original"). Der Patient muss dann allerdings bereit sein, die Mehrkosten zu übernehmen (Differenz zwischen dem Preis des abgegebenen und quittierten Arzneimittels zum drittgünstigsten Arzneimittel). Hinzu kommt für den Patienten ggf. noch die Selbstbeteiligung, die für das drittgünstigste Arzneimittel fällig wird (je nach Preis zwischen 5 und 10 Euro).

Eine solche Lösung tariert die Interessen und Wünsche der Beteiligten hinreichend aus. Auch der Apotheker könnte mit einer solchen Regelung leben; sie ist für ihn weitgehend ertragsneutral, fordert aber seinen pharmazeutischen Sachverstand bei der Frage, in welchen Fällen Substitution problematisch und wann sie unbedenklich ist.

Das bekannte Problem, dass fiktive Billigangebote ohne Marktbedeutung (die evtl. überhaupt nicht verfügbar sind) zu Versorgungsengpässen führen könnten, wenn man sie nicht ausschließt, lässt sich in einer aus dem SGB V bekannten Weise lösen: Bei der Ermittlung der drei günstigsten Arzneimittel dürften danach nur Präparate berücksichtigt werden, die verfügbar sind und mindestens einen Marktanteil von z. B. 5% haben.

Die Umsetzung der ursprünglichen Festbetragsidee – Festbeträge definieren Erstattungsobergrenzen – könnte auch für die Politik entlastend sein. Sie kann das Misstrauen, das sie durch die Bonus-Malus-Regelung gesät hat, abmildern. Wir werden sehen, ob die Rede von mehr Wahlfreiheit mehr ist als eine unverbindliche Parole.

Klaus G. Brauer

VW oder Mercedes?

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