DAZ Feuilleton

Ausstellung: Lockenpracht und Herrschermacht

"Lockenpracht und Herrschermacht" heißt eine Sonderausstellung, die bis zum 30. Juli im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig zu sehen ist. Anhand von mehr als 150 Expo–naten rund um das Thema "Perücke" werden zeremonielle Kon–ventionen und damit verbundene Machtansprüche, aber auch Dienstpflichten der Herrscher dargestellt.

Wenn König Karl XII. von Schweden (reg. 1697–1718) inkognito reiste, "tarnte" er sich mit einer Perücke, während er am Hofe auf die offenbar als lästig empfundene Lockenpracht lieber verzichtete. Damit verstieß der Herrscher gegen die Etikette seiner Zeit. Im Barock und Rokoko galt wallendes Haar nämlich als Symbol für Macht und Autorität. König Ludwig XIII. von Frankreich hatte 1629 erstmals Haare tressieren und ondulieren lassen, um sein Haupt damit zu schmücken. Als sein Sohn, der Sonnenkönig, Vorbild für Europas Regenten wurde, verbreitete sich der Perückenkult flugs an allen Adelshöfen und bald darauf auch im Bürgertum.

Haarige Kunstwerke

In der hochkarätigen Ausstellung ist die Perücke des schwedischen Monarchen nur eine von insgesamt 23 haarigen Kopfbedeckungen aus den Nachlässen adeliger Herren. Darüber hinaus wird ein Einblick in das Perückenmacherhandwerk gewährt. Grafiken von William Hogarth und filigrane Porzellangruppen belegen, dass Männer mit künstlichem Haarschmuck nicht nur bewundert, sondern insgeheim auch belächelt und zuweilen sogar verspottet wurden.

Die Damen begannen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts Pe–rücken zu tragen. Wie heute den Starcoiffeuren und -stylisten war schon damals den Perückenmachern jedes nur erdenkliche Mittel recht, um auf den Köpfen ihrer Auftraggeberinnen regelrecht haarige Kunstwerke zu kreieren.

Von Schminkutensilien bis zur Flohfalle

Eine nachgestellte Toiletteszene setzt noch eins drauf: Mit Schminke aus Bleiweiß, Schönheitspflästerchen und anderen kosmetischen Utensilien inszenierten höfische Damen – häufig in Gegenwart von Gästen – ein aufwändiges Verschönerungszeremoniell". Kostbare Kostüme, Schuhe, Fächer und andere Accessoires sowie Kuriositäten – unter anderem eine Flohfalle – versetzen den Besucher in eine Epoche, deren Hygienevorstellungen so anders waren als die heutigen.

Zeitgenössische Quellen belegen, dass besonders unter katholischen Theologen der künstliche Kopfschmuck anfangs sehr umstritten gewesen ist. Schließlich beugten sich aber sowohl die Vertreter der Kirchen als auch die Gelehrten, Künstler und Bürger dem Diktat der Mode. Und in den Tagebüchern eines englischen Höflings ist sogar zu lesen, dass das Tragen von Perücken als Verbesserung der Hygiene empfunden wurde. Seinerzeit war ja der Gebrauch von Wasser bei der Toilette nicht schicklich. Einen Haarersatz konnte man indessen abnehmen und beim Coiffeur reinigen und frisieren lassen.

Fertigungstechniken

Die Perücke im weiteren Sinne war keine Erfindung des 17. Jahrhunderts. Schon im Reich der Pharaonen und in der klassischen Antike sind Zweitfrisuren getragen worden. Im Mittelalter kaschierten Herren den Verlust ihres natürlichen Kopfschmucks mit Lederkappen, auf die man Haare genäht hatte.

Später wurden die Fertigungstechniken verfeinert: Die Perückenmacher verfertigten bandartige Tressen, indem sie Seidenfäden in einen Webrahmen spannten und Bündel von Menschenhaaren, mitunter aber auch Ross- oder Ziegenhaar, hineinwebten; dann nähten sie die Tressen zu einer individuell gestalteten Perücke zusammen. Das verwendete Haar wurde zuvor gereinigt und mit den trockenen Fruchtständen der Karde (Dipsacus) oder einem metallenen Ersatz zu Bündeln "kartätscht".

Die Haarbündel wurden sortiert, auf Lockenhölzer gewickelt und in Wasser erhitzt. Wenn die gelockte Haarpracht wieder trocken war, schlug der Perückenmacher sie in Teig ein und ließ diesen beim Bäcker aufbacken. Auf diese Weise blieben die Locken ein für alle Mal stabil.

Aufwändige Prozedur

Nach dem Tragen mussten die Perücken "accomodiert" werden: Die Haare wurden mit Pomade behandelt und die Locken wieder in Form gebracht. Ab den 30er-Jahren des 18. Jahrhunderts wurde es auch üblich, die Perücken mit Puder zu bestäuben.

War bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts die schulterlange Allongeperücke ein beliebtes Statussymbol gewesen, wurden später Knotenperücken und Zopfperücken getragen.

Danach wurde mit der Hinwendung zur Natur (Rousseau) allmählich der natürliche Haarschmuck wieder salonfähig. Man(n) puderte nun das eigene Haar – sofern vorhanden – und band es am Hinterkopf zusammen. Mit der Französischen Revolution wurde dann der "alte Zopf" buchstäblich abgeschnitten. Allenfalls Bedienstete trugen noch bis Mitte des 19. Jahr–hunderts zur Livree gepuderte Zopfperücken.

In Großbritannien halten es die Juristen hingegen heute noch mit der Tradition: Vor Gericht ist das Tragen einer Perücke als Amtssymbol obligatorisch.

Ausstellung

Herzog Anton Ulrich-Museum, Museumstr. 1, 38100 Braunschweig Tel. (05 31) 1 22 50, Fax 12 25 24 08 www.museum-braunschweig.de

Geöffnet: dienstags bis sonntags u. Pfingst–montag von 10 bis 17 Uhr, mittwochs von 13 bis 20 Uhr, Pfingstsonntag geschlossen

Katalog: 256 S., ca. 220 Abb., meist farbig, 29,90 • ISBN: 978-7338-0344-5 / 3-7338-0344-2

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