Arzneimittel und Therapie

Interview: Impfung bietet keinen absoluten Schutz vor Zervixkarzinomen

Gebärmutterhalskrebs ist bei Frauen in Europa der zweithäufigste bösartige Tumor zwischen dem 15. und 45. Lebensjahr. Für großen Optimismus sorgt derzeit eine Impfung, die in Kürze auf den Markt kommen soll und wahrscheinlich einen Großteil der Zervixkarzinome verhindern kann. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Karl Ulrich Petry, leitender Arzt der Klinik für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und Gynäkologische Onkologie am Klinikum Wolfsburg, über die Erfolgschancen dieser Impfung.

Nach Expertenschätzung erkranken in Europa jedes Jahr rund 34.000 Frauen an einem Zervixkarzinom und rund 15.000 Frauen sterben pro Jahr daran. Da die große Mehrheit der Zervixkarzinome von Papillomaviren des Subtyps 16 und 18 entscheidend mit verursacht wird, ruhen derzeit große Hoffnungen auf entsprechenden Impfungen, die den Krebs massiv zurückdrängen sollen. Ein erster Impfstoff der Sanofi Pasteur MSD unter dem Namen Gardasil® hat in den USA die Zulassung erhalten, die europäische Zulassung wurde im Dezember 2005 bereits beantragt. Ein zweiter Impfstoff soll schließlich von GlaxoSmithKline unter dem Namen Cervarix® folgen, für den die Zulassung ebenfalls schon beantragt wurde.

d:

Herr Professor Petry, bald kommt die erste Impfung gegen Zervixkarzinome auf den Markt. Wird diese Krebserkrankung dann endgültig "besiegt" sein?

Petry:

Wahrscheinlich wird die Impfung gegen Papillomaviren wesentlich dazu beitragen, dass Zervixkarzinome in Europa auf lange Sicht fast vollständig verschwinden. Denn die Impfung bietet bei rechtzeitiger Gabe einen extrem hohen Schutz von annähernd 100% vor den HPV-Typen 16 und 18, die für etwa 70% der Zervixkarzinome verantwortlich sind. Allerdings werden die Impferfolge erst in 20 bis 30 Jahren wirklich spürbar sein, da vom Zeitpunkt der HPV-Infektion bis zur Entwicklung eines Zervixkarzinoms mindestens acht bis zehn Jahre vergehen – in den meisten Fällen sogar mehr als 20 Jahre. Kurzfristige Erfolge werden eher durch den vermehrten Einsatz moderner HPV-Vorsorgetests zu erwarten sein, die bereits heute eine sehr zuverlässige Früherkennung von Zervixkarzinomen erlauben. Allerdings werden sich die Impf–erfolge nicht nur auf den Rückgang von Zervixkarzinomen beschränken. Massiv abnehmen werden auch die entsprechenden Zervixkarzinomvorstufen, die jedes Jahr eine enorm hohe Zahl chirurgischer Eingriffe am Muttermund nach sich ziehen. Der Rückgang chirurgischer Interventionen wird wiederum zu einer signifikanten Verringerung von Frühgeburten, Aborten und intensivpflichtigen Neugeborenen führen, da solche Eingriffe die Muttermundfunktion stark vermindern können und die OPs zu einem Großteil bei jungen Frauen vor dem Abschluss der Familiengründung stattfinden.

d:

Wie viele Frauen werden sich nach Ihrer Einschätzung für die Impfung entscheiden?

Petry:

Die Akzeptanz der Impfung wird wesentlich vom Preis abhängen bzw. von der Frage, wer die Kosten der Impfung trägt, was bislang noch nicht geklärt ist. Wenn die Kosten von den Versicherungen übernommen werden und Frauen nicht selbst dafür aufkommen müssen, wird die Durchimpfungsrate wahrscheinlich wie bei anderen guten Impfstoffen im Bereich von 80% liegen.

d:

Letztendlich handelt es sich um eine Impfung gegen eine sexuell übertragbare Infektion. Wird das die Akzeptanz der Impfung verringern?

Petry:

Im europäischen Kulturkreis wird es bei der Mehrheit sicherlich keine Akzeptanzprobleme geben, aber vielleicht wird man hin und wieder darauf hinweisen müssen, dass es sich nicht um eine Impfung gegen eine Geschlechtskrankheit im klassischen Sinne handelt, die auf ein riskantes Sexualleben zurückzuführen ist. Selbst mit einem ganz durchschnittlichen Sexualverhalten ist eine HPV-Infektion nichts Ungewöhnliches. Wer in seinem Leben drei bis fünf verschiedene Sexualpartner hat, was heute als Durchschnitt gilt, besitzt bereits eine Wahrscheinlichkeit von über 50%, sich irgendwann einmal mit HPV auseinander zu setzen. Selbst eine monogam lebende Frau, die mit 25 Jahren ihren Partner kennen lernt, der zuvor nicht monogam war, hat ein 20-prozentiges Expositionsrisiko für eine HPV-Infektion. Eine HPV-Infektion ist also nicht auf einen besonderen Lebensstil zurückzuführen und darf deshalb auch nicht stigmatisiert werden, zumal Unberührtheit in unserer Gesellschaft keinen besonderen Stellenwert hat.

d:

Sollen sich auch Männer impfen lassen?

Petry:

Ob auch Männer bzw. Jungen geimpft werden sollen, wird derzeit heftig diskutiert. Etwa die Hälfte der Experten verneint dies. Man solle sich lieber auf die Impfung von Frauen alleine konzentrieren. Allerdings ist von anderen Impfprogrammen bekannt, dass eine komplette Durchimpfung zum Beispiel aller 20- bis 30-jährigen Menschen eine Infektionskette vollständig unterbrechen kann und sich damit die Übertragung auf alle nachfolgenden Altersgruppen stoppen lässt. Grundsätzlich wäre also auch die Impfung von Männern wünschenswert, soweit sich das in der Praxis realisieren lässt. Nicht zu vergessen ist, dass Männer auch selbst von einer solchen Impfung profitieren können, wenn von den beiden im Zulassungsprozess befindlichen Impfstoffen der so genannte quadrivalente Impfstoff verwendet wird, der sich nicht nur gegen die beiden krebsverursachenden HPV-Typen 16 und 18 richtet, sondern auch gegen die Typen 6 und 11. HPV 6 und 11 können zu äußerst unangenehmen Genitalwarzen führen, die sowohl Frauen als auch Männer befallen und in Europa jedes Jahr wahrscheinlich einige hunderttausend Menschen betreffen. Die Behandlung ist oft extrem aufwändig und mit hohen Kosten verbunden.

d:

Nach wie vielen Jahren ist eine Auffrischungsimpfung erforderlich?

Petry:

Zur Grundimmunisierung sind drei Injektionen über einen Zeitraum von sechs Monaten vorgesehen. Ob später Auffrischungsimpfungen zum Beispiel nach zehn Jahren notwendig sind, ist noch völlig offen. Bewiesen ist bislang nur, dass der Impfschutz mindestens fünf Jahre anhält. Allerdings spricht vieles dafür, dass der Schutz weit darüber hinausgehen wird.

Diese Unklarheiten hat es am Anfang übrigens auch bei anderen Impfungen gegeben. Bei der Hepatitis-Impfung hieß es in den achtziger Jahren zum Beispiel, dass wahrscheinlich nach fünf Jahren eine Auffrischungsimpfung erforderlich sei. Dann war von zehn Jahren die Rede. Und heute weiß man, dass selbst nach 20 Jahren ohne Auffrischungsimpfung noch ein ausreichender Impfschutz bestehen kann. Ob das bei der HPV-Impfung ähnlich ist, bleibt abzuwarten.

d:

In welchem Alter sollte am besten geimpft werden?

Petry:

Ideal ist das Alter von neun bis 13 Jahren, also bevor Frauen sexuell aktiv werden. Vorher erscheint die Impfung derzeit nicht sinnvoll. Denn bislang wissen wir nicht, wie lange der Impfschutz anhält. Würde man Neugeborene impfen, könnte der Impfschutz bis zum Beginn der sexuellen Aktivität theoretisch schon verschwunden sein. Davon abgesehen ist der Impfstoff bei Babys nicht erprobt. Welches Alter als Obergrenze anzusehen ist, muss sich in Zukunft erst noch zeigen.

d:

Ist eine Impfung gegen HPV auch erforderlich, wenn Kondome benutzt werden?

Petry:

Kondome bieten – wenn überhaupt – nur einen minimalen Schutz vor Papillomaviren und entsprechenden Dysplasien am Muttermund. Denn im Gegensatz zu den klassischen Geschlechtskrankheiten wie etwa Aids oder Gonorrhö werden Papillomaviren nicht mit der Samenflüssigkeit oder dem Vaginalsekret übertragen, sondern in Form von abgeschilferten Hautzellen. Bei penetrierendem Geschlechtsverkehr können die Viren, die sich durch Genitalkontakt im Scheideneingangsbereich aufhalten, dann in die Tiefe zum Muttermund vordringen und dort zum gefürchteten Zervixkarzinom führen. d Müssen Frauen, die sich gegen HPV impfen lassen, trotzdem weiterhin zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung?

Petry:

Die Impfung gegen Papillomaviren bietet zwar einen hohen, aber keinen absoluten Schutz vor Zervixkarzinomen, da es noch weitere HPV-Typen gibt, die nicht von der Impfung erfasst werden. Insgesamt ist bei einer rechtzeitigen Impfung mit einer Risikoreduktion um etwa 75% zu rechnen, sodass Vorsorgeuntersuchungen auch in Zukunft grundsätzlich sinnvoll bleiben. Allerdings wird man mit Sicherheit den zeitlichen Abstand zwischen den Vorsorgeuntersuchungen erhöhen können, zumal bereits heute hervorragende Testmethoden zum HPV-Nachweis zur Verfügung stehen, die deutlich höhere Abstände zwischen den Untersuchungen erlauben als herkömmliche Abstriche mit lichtmikroskopischer Auswertung. Neue Daten zeigen zum Beispiel, dass Frauen bei einem negativen HPV-Test für mindestens fünf Jahre kein Zervixkarzinom bekommen können, was übrigens auch bestätigt, dass vom Zeitpunkt der HPV-Infektion bis zum Auftreten des Karzinoms viele Jahre vergehen.

d:

Herr Professor Petry, herzlichen Dank für das Gespräch! 

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