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Gesundheitsreform: Apotheker sollen 500 Millionen Euro sparen
Das Rätselraten hat ein Ende. Am Nachmittag des 4. Juli – nach Redaktionsschluss der DAZ – stellten die Parteichefs Angela Merkel, Edmund Stoiber und Kurt Beck gemeinsam mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller ihr Eckpunktepapier der Öffentlichkeit vor. Grundlage war das von der Reformarbeitsgruppe in der Woche zuvor fertig gestellte 56-seitige Konzept. Dieses wurde nach der Sitzung des Koalitionsausschusses am Abend des 2. Juli nochmals überarbeitet. Am Montag segneten die Parteivorstände und -präsidien die Einigung ab, am Dienstag wurde sie den Fraktionen vorgelegt.
Gesundheitsfonds kommt Wie erwartet haben sich Union und SPD darauf geeinigt, einen Gesundheitsfonds einzuführen. Dieser wird sich aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen sowie einem "aufwachsenden" Steueranteil speisen. Anders als zuletzt spekuliert, wird es zu diesem Zweck keine Steuererhöhung geben – statt dessen sollen die gesetzlichen Kassen Anfang 2007 ihre Beiträge um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte anheben. Hierdurch, sowie durch die beschlossenen Strukturmaßnahmen, soll das 2007 drohende Kassendefizit von sieben Mrd. Euro ausgeglichen werden. Anfang 2008 sollen dann sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmer–beitrag "fixiert" werden. Die Union sieht ihr Ziel, die Gesundheits- von den Arbeitskosten zu entkoppeln, auf diese Weise erreicht.
Die Krankenversicherung der Kinder soll schrittweise aus dem Steuertopf finanziert werden. 2008 sollen hierfür erstmalig 1,5 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden, 2009 soll sich dieser Betrag verdoppeln – wann und auf welche Weise die Regierung die tatsächlich benötigten 16 Mrd. Euro zusammen bekommen will, ohne dazu die Steuern zu erhöhen, wurde zu Wochenbeginn nicht genauer erläutert. Dafür konnte man eine Einigung im Streit um die "kleine Pauschale" präsentieren, die die Krankenkassen erheben können, wenn ihnen der aus dem Fonds zugewiesene Einheitsbeitrag pro Versichertem nicht ausreicht: Die Kassen sollen selbst entscheiden, ob sie eine feste Prämie erheben, oder aber einen einkommensabhängigen prozentualen Zusatzbeitrag. Damit die Versicherten nicht über Gebühr zu Mehrzahlungen herangezogen werden, wird festgelegt, dass die Finanzierung der Gesundheitsausgaben zu mindestens 95 Prozent aus dem Fonds erfolgt.
Strukturreformen sollen drei Mrd. Euro einsparen Nachdem sich das Interesse der Medien in den vergangenen Wochen vor allem um die künftige Finanzierung des Gesundheitssystems rankte, gerieten die bereits im Mai verhandelten Strukturreformen ein wenig aus dem Blickfeld. Da nutzte es kaum, dass die Politik immer wieder darauf verwies, dass Maßnahmen auf der Ausgabenseite der erste und wichtigste Schritt für eine nachhaltige und umfassende Reform seien. Anknüpfungspunkt ist dabei das GKV-Modernisierungsgesetz. Schon bei dieser letzten größeren Reform hatten sich Union und SPD – damals noch gemeinsam mit den Grünen – im Finden von Kompromissen geübt.
Dass man diesen eingeschlagenen Weg weiter gehen will, hatte die große Koalition bereits mehrfach betont. Insbesondere soll die Integrierte Versorgung weiter ausgebaut und die Zusammenarbeit des ambulanten mit dem stationären Sektor verbessert werden. Keine Überraschung ist es zudem, dass die ärztliche Vergütung neu geregelt und die Organisationsstrukturen der Kassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigungen modernisiert werden sollen. Nicht zuletzt soll wiederum bei der Arzneimittelversorgung gespart werden – dieser Bereich ist von jeher ein beliebtes Feld der Reformer. Die große Koalition setzt hier insbesondere auf "flexible Preisvereinbarungen". Insgesamt sollen die Strukturmaßnahmen Einsparungen von drei Mrd. Euro realisieren, erklärte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Allerdings geht dies nicht von heute auf morgen – für 2007 kann die GKV noch nicht mit einer deutlichen Entlastung rechnen.
Festpreise sollen Höchstpreisen weichen Klar berechnet ist allerdings schon die Einsparsumme, die die Apotheker im kommenden Jahr aufbringen müssen: Sie liegt bei 500 Mio. Euro. Möglich machen soll dies die Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung von Festpreisen auf Höchstpreise. Nachdem das AVWG bereits den Weg für abweichende Preisvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Herstellern geebnet hat, sollen nun auch die Apotheken beim Bezug von Arzneimitteln niedrigere Preise vereinbaren können. Diese Preisvorteile müssen sodann "in angemessener Höhe" an die Kunden bzw. die Krankenkassen weitergegeben werden. Sollten die Preisvereinbarungen zwischen Apotheken und Kassen 2007 das anvisierte Einsparvolumen von 500 Mio. Euro nicht erreichen, so sollen die Apotheken den Differenzbetrag durch einen entsprechend erhöhten Kassenrabatt tragen. Damit soll ein wirtschaftlicher Anreiz für flächendeckende Preisverhandlungen gesetzt werden, heißt es in dem Eckpunktepapier der Reform-Arbeitsgruppe.
Darüber hinaus sollen die Arzneilieferverträge der Verbände und die bundeseinheitlichen Preisvereinbarungen für Rezepturen im Einzelfall für abweichende Preisgestaltungen geöffnet werden. Die Beteiligung der Apotheken soll dabei jedoch freiwillig erfolgen. "Wie bisher erfolgt in der Regelversorgung keine Zuweisung von Versicherten zu Apotheken durch die Krankenkasse. Die freie Wahl der Apotheke bleibt erhalten", heißt es in dem Beschlussvorschlag der Reform-Arbeitsgruppe. Ausnahmen gibt es schon jetzt im Rahmen der Integrierten Versorgung. Nach zwei Jahren soll überprüft werden, wie sich die gesamte Preisentwicklung darstellt und ob die Festbetragsregelung unterlaufen wird. Weiterhin sollen Krankenkassen die Möglichkeit erhalten, Arzneimittel auszuschreiben. Dabei sollen abweichende Preisgestaltungen aber nur für einzelne Präparate und Wirkstoffe, nicht aber für Listen und gesamte Sortimente von Pharmaunternehmen möglich sein.
Erleichterte Auseinzelung Erleichtert werden soll zudem die Abgabe einzelner Tabletten durch Apotheken. Schon jetzt können Apotheken Einzelmengen aus einer Packung abgeben, wenn ein Arzt dies verordnet. Doch diese Praxis bereitet Probleme. Zum einen ist der Abgabepreis dieser Einzelmengen nicht geregelt, zum anderen wird die angebrochene Packung nicht immer aufgebraucht. Zudem muss stets eine Kopie der Gebrauchsinformation an den Patienten ausgegeben werden. Nach dem Beschlussvorschlag der Reform-Arbeitsgruppe soll Pharmaunternehmen daher die Möglichkeit eingeräumt werden, Bulkware an Apotheken zu liefern. Aus Haftungsgründen wäre für eine solche Maßnahme eine Änderung des Arzneimittelgesetzes nötig.
Außerdem soll eine Ersatzregelung für die Patienteninformation gefunden werden, sodass einem Patienten lediglich bei der ersten Abgabe einer Einzelmenge eine vollständige Information ausgehändigt werden muss. Damit tatsächlich gespart werden kann, sollen zudem für Ärzte Anreize geschaffen werden, Einzelmengen zu verordnen.
Die Kosten-Nutzen-Bewertung kommt Weiterhin sieht das Eckpunktepapier die Einführung der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen vor. Sie soll durch "sachgerechte Vergleiche nicht nur mit anderen Arzneimitteln, sondern auch mit anderen Behandlungsformen" erfolgen. Die zentrale Entscheidungsbefugnis verbleibt dabei beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Die hierfür nötige Verfahrensordnung werde internationalem Standard auf hohem Niveau entsprechen, heißt es in dem Papier. Insbesondere seien eine hohe Transparenz und eine angemessene Beteiligung externen medizinischen Sachverstandes, der Patienten und der Industrie zu gewährleisten. Eine "Vierte Hürde" soll die Kosten-Nutzen-Bewertung nicht werden. Es bleibt dabei, dass neue Arzneimittel nach ihrer Zulassung zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind.
Weiterhin haben sich Union und SPD da–rauf geeinigt, dass besonders hochpreisige Arzneimittel künftig nur noch verordnet werden dürfen, wenn die Zweitmeinung eines fachlich besonders ausgewiesenen Arztes eingeholt wurde. Außerdem soll die Möglichkeit geschaffen werden, nicht genutzte Arzneimittel von Gemeinschaftseinrichtungen – z. B. Hospizen oder Pflegeheimen –, die Arzneimittel zentral bevorraten, bei anderen Patienten zu verwenden.
ABDA will sich zur Wehr setzen Bei der ABDA stößt vor allem der von den Apothekern eingeforderte Sparbetrag auf Widerspruch. ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf kritisierte, dass die Apotheker das volle Risiko der Preisverhandlungen tragen sollen: "Kommen die willkürlich festgelegten 500 Millionen Euro nicht zusammen, zahlen Apotheker den Restbetrag aus eigener Tasche. Die Krankenkassen profitieren in jedem Fall, da sie sich der halben Milliarde Euro sicher sein dürfen." Den Apothekern drohe hingegen ein "enteignungsgleicher Eingriff ins Privatvermögen". Wolf kündigte an, sich gegen dieses "absurde Vorhaben" zur Wehr zu setzen.
Auch beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat man kein Verständnis für die Regelung: Dass man den Apothekern in die Tasche greifen will, wenn das Einsparziel nicht erreicht wird, sei "ein höchst zweifelhafter Eingriff in das Marktgeschehen und konterkariert den Wettbewerbsanspruch der Bundesregierung", sagte der BPI-Vorsitzende Bernd Wegener. Mit der Einführung von Höchstpreisen werde zudem "der unsinnige Weg der Kostendämpfung fortgesetzt". Dies sei "nichts anderes als eine Arzneimittel-Budgetierung, die zu Rationierung von Leistungen führen wird", so Wegener.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) wies darauf hin, dass bei der vorgesehenen Umstellung auf Höchstpreise "offensichtlich Widersprüche zum AVWG bestehen, die aufgeklärt werden müssen". So habe das Bundesgesundheitsministerium bisher die Auffassung vertreten, dass pharmazeutische Unternehmer ihren Herstellerabgabepreis nicht durch Rabatte unterschreiten dürften. Auch bei den für die Krankenkassen zukünftig möglichen Ausschreibungen von Arzneimitteln stelle sich die Frage, ob dies im Rahmen der schon bestehenden gesetzlichen Bestimmungen vollzogen würde oder ob sich hier neue Wege für die Krankenkassen eröffnen. Insgesamt blieben im Arzneimittelbereich mehr ungeklärte Fragen, als dass Klarheit geschaffen worden sei, hieß es beim BAH.
Beinbruch statt Durchbruch Die Opposition übte ebenfalls heftige Kritik an den Beschlüssen der großen Koalition – vor allem hinsichtlich der geplanten Finanzreform. "Die Entscheidung von gestern ist die Steuererhöhung von morgen", erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Daniel Bahr. Für FDP-Parteichef Guido Westerwelle steht die schwarz-rote Regierung "vor einem Scherbenhaufen". Der vereinbarte Gesund–heits–fonds sei "Kassensozialismus und Planwirtschaft". Westerwelle: "Das ist pure Umverteilung und hat mit einem freiheitlichen gesundheitspolitischen Modell nichts mehr zu tun". Die beste Lösung für Deutschland ist aus seiner Sicht "ein vorzeitiges Ende dieser Regierung". Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast nannte die Eckpunkte "ein Dokument der Mutlosigkeit". Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer sagte: "Das ist kein Durchbruch, eher ein Beinbruch".
Die Eckpunkte für die Gesundheitsreform sind beschlossen. Kanzlerin Merkel spricht von einem "wirklichen Durchbruch". Oppo–sition und Verbände üben dagegen scharfe Kritik, auch bei der ABDA ist man entsetzt: Den Apotheken drohen erhöhte Kassenrabatte, wenn sie 2007 ein Einsparvolumen von 500 Mio. Euro nicht realisieren können.
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