Arzneimittel und Therapie

Interview: Keine gefäßprotektive Wirkung von Folsäure

Nachdem es in der Vergangenheit Hinweise gegeben hat, dass Folsäure vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt, mehren sich nun Meldungen, denen zufolge Folsäure weit überschätzt wurde. Für Enttäuschung unter den Vitaminbefürwortern sorgt nun die HOPE-2-Studie (siehe S. 30), die keine klare gefäßprotektive Wirkung von Folsäure, Vitamin B6 und Vitamin B12 erkennen lässt. Wir sprachen mit Prof. Dr. Thomas F. Lüscher, Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich, welche Bedeutung die Mega-Untersuchung für die Praxis hat.

DAZ:

Herr Professor Lüscher, was ist die Kernaussage der HOPE-2-Studie?

Lüscher:

Die HOPE-2-Studie zeigt eindrücklich, dass Folsäure, Vitamin B6 und Vitamin B12 nicht zur Reduktion von Herzinfarkten, Schlaganfällen und der kardiovaskulären Mortalität führen, obwohl diese Vitaminkombination den Homocysteinspiegel im Blut signifikant senkt.

DAZ:

Was stimmt mit früheren Studien überein?

Lüscher:

Erst kürzlich hatte die ebenfalls sehr große NORVIT-Studie gezeigt, dass Folsäure und Vitamin B6 bei Herzinfarktpatienten weder Herzinfarktrezidive noch Schlaganfälle verhindern können. Dieses Ergebnis wurde allerdings noch von verschiedenen Seiten angezweifelt.

DAZ:

Was ist neu bei der jetzt veröffentlichten Studie?

Lüscher:

Bei der HOPE-2-Studie handelt es sich um die bislang größte randomisiert prospektiv durchgeführte Folsäure-Studie mit der längsten Beobachtungsdauer auf dem Gebiet der Herzkreislaufforschung. Insgesamt waren 5522 Patienten eingeschlossen. Die Untersuchungsdauer betrug fünf Jahre.

DAZ:

Welche Widersprüchlichkeiten gibt es in der Studie?

Lüscher:

Zwar zeigt die Gesamtauswertung, dass die Vitamingabe keinen statistisch signifikanten Einfluss auf den gemeinsamen Endpunkt aus Herzinfarkten, Schlaganfällen und kardiovaskulärer Mortalität hat, eine nachträgliche Subgruppenanalyse ergab jedoch, dass unter der Vitamingabe weniger Schlaganfälle auftraten als unter Placebo. Da es sich bei diesem Punkt allerdings um eine retrospektive Auswertung handelt, liegt die Vermutung nahe, dass dies zufallsbedingt war. Dieser Verdacht wird von zwei weiteren großen Studien bekräftigt, die ebenfalls keine Schlaganfallreduktion für die Vitamineinnahme zeigen konnten. Um auch die allerletzten Zweifel auszuräumen, müssten zukünftige Studien eventuell noch einmal explizit bestätigen, dass der Zusammenhang zwischen der Vitamineinnahme und der Schlaganfallreduktion zufällig erfolgte.

DAZ:

Was ist das Fazit für die Praxis?

Lüscher:

Mit dieser Studie dürfte nun endgültig klar sein, dass Folsäure, Vitamin B6 und Vit–amin B12 keine Gefäßerkrankungen verhindern können und die Gabe entsprechender Vitamintabletten somit nicht indiziert ist. Frühere Überlegungen, Trinkwasser oder Brot mit Folsäure anzureichern, können jetzt beiseite gelegt werden.

Zudem sollte man sich von der These verabschieden, dass ein hoher Homocysteinspiegel im Blut einen eigenständigen Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen darstellt. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass Folsäure trotz dieser enttäuschenden Studienergebnisse nicht generell wertlos ist. Unbestritten bleibt der Nutzen nach wie vor in der Schwangerschaft, um Neuralrohrdefekte zu verhindern.

DAZ:

Herr Professor Lüscher, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Das Interview führte Dr. med. Karl Eberius

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