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Apothekenalltag mit dem AVWG: Viele Fragen und wenige zuzahlungsfreie Arzneimitt
Bei unserer Umfrage haben wir in Apotheken nachgefragt, ob die zuzahlungsfreien Arzneimittel in der EDV rechtzeitig gekennzeichnet wurden, ob sich die Patienten nach diesen Produkten erkundigen und ob die betreffenden Generika vermehrt verordnet werden.
Wegen der geringen Zahl der befragten Apotheken erhebt die Umfrage keinen Anspruch auf repräsentative Ergebnisse.
Szene-Mittel zuzahlungsfrei Apotheker Andreas Kersten aus der Undine-Apotheke in Berlin-Neukölln ist zufrieden mit seiner Software. Sie zeigt ihm problemlos an, welche Arzneimittel von der Zuzahlungsbefreiung betroffen sind. Allerdings hat er das bislang vor allem durch eigenes Ausprobieren festgestellt – bis Anfang dieser Woche hatte er lediglich drei zuzahlungsbefreite Rezepte zu bedienen – und eines davon war zu Kerstens Verwunderung ausgerechnet das "Szene-Medikament" Tilidin, das immer wieder im Zusammenhang mit Rezeptfälschungen auftaucht. Dass sie nun nicht mehr zuzahlen mussten, kam für alle drei Kunden überraschend: "Ich glaube, es ist bei den Patienten noch nicht angekommen, dass nun einige Arzneimittel von der Zuzahlung befreit sind", sagt Kersten. Aus eigenem Antrieb hat bei ihm noch niemand nach einem zuzahlungsfreien Präparat gefragt.
Ähnlich sieht es in der Apotheke zum goldenen Löwen in Berlin Neukölln aus: "Die Software ist kein Problem", sagt Apothekerin Britta Wunderlich. Doch obwohl einige Arztpraxen in ihrer Umgebung liegen, kam ihr weder ein Rezept mit einer zuzahlungsbefreiten Verordnung unter, noch fragte ein Kunde aktiv nach solchen Präparaten.
Software – teilweise problematisch Bei Apotheker Hans-Peter Hartwig von der Apotheke am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg läuft es mit der Software noch nicht ganz so glatt. Zwar kann auch er herausfinden, welche Arzneimittel betroffen sind – allerdings ist dies etwas umständlich. Sein Softwarehaus will bis zum 15. Juli das noch erforderliche Update liefern. Da er bislang erst mit einer einzigen zuzahlungsbefreiten Verordnung konfrontiert war, ist dies zu verkraften. Zudem kann er auf die verfügbaren Listen der Hersteller zurückgreifen. Hartwig will auch bemerkt haben, dass einige Ärzte verstärkt besonders preiswert verordnen: "Allerdings nicht seit Anfang Juli, sondern bereits seit Ende Mai, als die ersten Preissenkungen angekündigt wurden".
Apotheker Thomas Meyer-Weymann von der Falken-Apotheke in Berlin-Kreuzberg wartet ebenfalls noch auf ein Software-Update, kann aber auch schon jetzt relativ problemlos mit seinem Programm arbeiten. Lediglich eine der vier befragten Berliner Apotheken hatte die Patientenbroschüre der ABDA zur Zuzahlungsbefreiung offen ausliegen. So lange keine Nachfrage besteht, sieht man sich nicht veranlasst, mit den Patienten über die Neuerung zu diskutieren. Sämtliche Apotheken sahen sich jedoch in der Lage, die Patienten im Fall der Fälle beraten zu können. Für Irritationen sorgte es allerdings, dass in einigen Wirkstoffgruppen nur bestimmte Darreichungsformen oder Wirkstärken von der Zuzahlungsbefreiung betroffen sind. So machte es Meyer-Weymann beispielsweise stutzig, dass das Antibiotikum Amoxicillin nur als Trockensaft oder Suspension zuzahlungsfrei ist – also in Darreichungsformen, die in erster Linie Kindern verordnet werden, die ohnehin keine Zuzahlung leisten müssen.
Alles reibungslos mit der Software-Umstellung verlief in der Apotheke am Bahnhof, Herrenberg. Dr. Monika Rönfeldt-Büttel: "Ja, die Daten zur Zuzahlungsbefreiung wurden pünktlich zum 1. Juli in unsere Apothekensoftware eingespielt. Sie lassen sich über den Rezeptstatus abfragen. Es ist für uns also kein Problem zu erkennen, welche Arzneimittel von der Zuzahlung befreit sind und welche nicht." Von ihren Kunden wurde sie allerdings bislang nicht nach zuzahlungsfreien Arzneimitteln gefragt. Dafür erhielt sie viele Anfragen von Ärzten.
Schwierigkeiten im Detail Apotheker Thomas Müller, Rats-Apotheke, Marlow, erläutert eine Übergangslösung, mit der sich die Kunden eines Softwarehauses vorläufig behelfen müssen. Bis zum Update am 15. Juli können die zuzahlungsfreien Arzneimittel an der Kasse identifiziert werden, sind aber in der Arzneimittelliste noch nicht gekennzeichnet. Bis zum Update müssen andere Listen helfen. Mit gedruckten Listen hat der Apotheker in dem mecklenburgischen Dorf auch die umliegenden Ärzte ausgestattet, denn "die Ärzte haben sonst gar nichts". Angesichts der guten persönlichen Kontakte im ländlichen Raum gelinge diese Zusammenarbeit sehr gut.
Bei der Umsetzung in der EDV scheint es aber auch Unterschiede zwischen verschiedenen Systemen des gleichen Anbieters zu geben. So berichtet eine Apothekerin aus dem südlichen Schleswig-Holstein über Probleme mit ihrem System, bei dem die neuen Daten erst nach einer Woche aufgespielt wurden und die kompletten Funktionen erst nach dem Update zur Monatsmitte verfügbar sein sollen. Dagegen haben anderen Kollegen mit der EDV des gleichen Anbieters keine Probleme.
Viele Fragen – wenige Verordnungen ohne Zuzahlung Insgesamt kommen die zuzahlungsfreien Arzneimittel seltener vor, als viele dies erwartet haben. Sogar in einer stark frequentierten Hamburger Innenstadtapotheke wird ein Patient mit einer solchen Verordnung vom Apothekenteam noch als Besonderheit wahrgenommen. Fragen nach zuzahlungsfreien Arzneimitteln sind dagegen hier häufiger.
Apotheker Matthias Loa, Mitarbeiter in der Klindwort-Apotheke Rathausgasse, Bad Schwartau, hat einige Kundennachfragen pro Tag. Manche Kunden haben auch nach einer Liste der zuzahlungsfreien Produkte gefragt. Loa erwartet, dass die Patienten wegen der zunehmenden Werbung für zuzahlungsfreie Generika künftig noch aufmerksamer werden.
Allerdings seien nur sehr wenige Verordnungen jetzt zuzahlungsfrei, er habe bisher nur einen Fall erlebt, in dem ein Arzt wegen der neuen Regelung eine Verordnung umgestellt hat.
Enttäuschungen – und Erklärungen "Wir haben keinerlei Probleme mit unserer EDV, aber das Problem, dass die Leute reihenweise enttäuscht sind, weil sie meinen, sie müssten für Generika nun nichts mehr bezahlen", beschreibt Dr. Roswitha Borchert-Bremer, Post-Apotheke in Lübeck-Kücknitz, ihre Erfahrungen. Nur bei wenigen Patienten falle keine Zuzahlung an, denn "der Teufel steckt im Detail". So seien bei manchen Wirkstoffen gerade die in der Praxis häufigsten Stärken nicht zuzahlungsfrei erhältlich, beispielsweise Furosemid 40 mg und Morphin 10 mg unretardiert, während die neue Regel nur für die selteneren Konzentrationen gilt. Dies enttäusche viele Patienten ebenso wie manche anderen missverständlichen Formulierungen in den kursierenden Präparatelisten. Dort seien teilweise Präparate zum Festbetrag ohne zusätzliche Aufzahlung aufgelistet, die die Patienten mit Arzneimitteln ohne Zuzahlung verwechseln.
Diese Erfahrung aus einem Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit scheint keineswegs repräsentativ für alle Apotheke zu sein. So berichtet Gerhard Carstens, Inhaber der St. Bernward-Apotheke in einem eher kleinstädtisch geprägten Vorort von Hannover, dass Patienten und Ärzte nur sehr wenig nach zuzahlungsfreien Arzneimitteln fragen, und erklärt sich dies so: "Den Leuten ist so viel zugemutet worden, dass sie frustriert sind und alles hinnehmen."
Apotheker Klaus Rabe, Raben-Apotheke, Kronshagen bei Kiel, sieht in der neuen Regelung "viel Aufwand für erschreckend wenig Effekt". Bis zum Zeitpunkt dieser Umfrage hat er noch keine Frage eines Patienten nach zuzahlungsfreien Produkten erlebt – mit Ausnahme einer Kundin, die meinte, nun seien alle Arzneimittel zuzahlungsfrei. Auch die Ärzte hätten die neuen Regeln noch kaum realisiert. Zudem fürchtet er, dass die Festbeträge im nächsten Jahr weiter sinken. Wenn die jetzt zuzahlungsfreien Arzneimittel dann vielleicht wieder zuzahlungspflichtig würden, stünden neue Probleme in der Kommunikation mit den Patienten bevor.
Wie ein "Naturereignis" Ebenfalls kritische Stimmen kommen aus Bayern. Peter Vanselow aus der Apotheke Vanselow im unterfränkischen Werneck kommentiert die Regelung so: "Technisch haben wir keine Probleme mit der neuen Regelung. Sie ist gut zu handeln. Die Patienten aber scheint das Ganze wenig zu interessieren. Wir haben kaum Nachfragen. Das Thema geht total unter, die Leute nehmen es hin wie ein Naturereignis. Meiner Meinung nach bringt die neue Regelung nichts!"
Für Ursula Bockhorni-Imhoff, Ludwigs-Apotheke in Garmisch-Partenkirchen, hat diese neue Regelung nur wenig Bedeutung: "Die Firma Hexal hat Probleme, ihre Präparate in die Liste zu bringen. Ansonsten gibt es keine technischen Probleme. Bei uns fragen viele Kunden nach Medikamenten ohne Zuzahlung! Ich finde, dass die ganze Regelung eine Seifenblase ist, eine Augenwischerei. Die Industrie hat clever gehandelt, befreit nur wenige und selten verschriebene Artikel von der Zuzahlung – die Sache hat keine Relevanz."
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