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- DAZ 29/2006
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Die Seite 3
Ein Aufschrei der Entrüstung hallt bundesweit durch die Pharmazeutenwelt. Die Erteilung einer Betriebserlaubnis an eine niederländische AG (DocMorris) zum Betreiben einer Apotheke auf deutschem Grund (Saarbrücken) durch den saarländischen Justizminister Hecken hinterlässt bei vielen Ratlosigkeit, Frust und Unverständnis. Zahlreiche Anrufe, Faxe und E-Mails erreichten die DAZ-Redaktion, aus allen spricht Empörung, Verzweiflung und Aufruf zum Protest. Wie kann ein CDU-Minister eines Bundeslandes so dreist sein und sich über geltendes Recht hinwegsetzen? Zählen in diesem Land keine Gesetze mehr? Reicht es, wenn man sich auf ein geheimes, der Öffentlichkeit nicht zugängliches Rechtsgutachten eines Europarechtlers stützt (siehe auch unsere letzte Apotheker Zeitung), um bundesdeutsche Gesetze auszuhebeln?
Wie von Kammern, Verbänden und Rechtsanwälten zu erfahren war, wird allerdings bereits mit Hochdruck an einer Klage gearbeitet, findige Anwälte sind dabei, die Quelle des ominösen Rechtsgutachtens zu orten - ich gehe davon aus, dass in wenigen Tagen die ersten rechtlichen Schritte eingeleitet werden.
Wie schwer und langsam juristische Mühlen mahlen, zeigt das Beispiel eines Kollegen, der von sich aus Strafanzeige gegen Bedienstete des saarländischen Ministeriums für Justiz, Gesundheit und Soziales wegen Erteilung einer Apothekenbetriebserlaubnis für die DocMorris AG gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft schrieb ihm zurück, dass im vorliegenden Fall kein Verdacht einer verfolgbaren Straftat besteht. Im Übrigen, so ließ die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ihn wissen, "wäre es gegebenenfalls Aufgabe der Fachgerichte und nicht der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob die Betriebsgenehmigung für die DocMorris AG zu Recht erteilt worden ist." Auch die weiteren Ausführungen der Staatsanwaltschaft lesen sich interessant: "Verwaltungsbeamte können bei der Erteilung der Betriebsgenehmigung für eine Apotheke den Tatbestand der Rechtsbeugung nicht erfüllen, weil diese Strafbestimmung auf Richter und Amtsträger in vergleichbarer Funktion beschränkt ist." Ja, das ist Juristerei in ihrer feinsten Form. Aber irgendwie muss einem Minister, der sich nicht an Recht und Gesetz hält, doch beizukommen sein. Oder gibt es in Saabrücken mittlerweile ein Lex Hecken? Dann kann man nur jedem Unternehmer aus der Pharmabranche raten: Wenn Sie etwas Neues ausprobieren wollen, das eigentlich gegen geltendes Recht verstößt, dann gehen Sie ins Saarland! Versprechen Sie dem Minister 200 bis 300 neue Arbeitsplätze, besorgen Sie sich ein europäisches Rechtsgutachten - und Sie erhalten umgehend die Erlaubnis für Ihr Vorhaben, egal ob Sie eine ausländische Versandapotheke betreiben wollen, Kettenapotheken aufziehen oder im großen Stil verblistern wollen. Das Saarland ist Deutschlands Experimentierfeld - oder schlichter: der wilde Westen.
Ich bin gespannt, was passiert, wenn die Versandapotheke Europa-Apotheek aus Venlo ihre Betriebserlaubnis für eine Niederlassung im Saarland stellt. Wie wär's mit einer weiteren Zweigniederlassung der Schweizerischen Zur Rose AG? Vielleicht reicht ja das Versandlager in Halle bald nicht mehr aus? War es in Sachsen-Anhalt schon einfach, die Betriebserlaubnis zu bekommen, so geht es im Saarland noch unproblematischer. Was ist, wenn die im Tschechischen ansässige VfG-Versandapotheke (www.vfg.ag) mit Postadresse Leipzig auf den Gedanken kommt, ins Saarland zu wechseln - bequemer hätte sie es allemal. Oder was passiert, wenn ein Versender oder Kettenapotheker aus England mitbekommt, dass das Saarland hier gerne - der Arbeitsplätze wegen - Betriebserlaubnisse auch für Ketten- und Fremdbesitzapotheken erteilt? Immerhin, vor dem Stuttgarter Celesio-Chef Oesterle, der in England bereits über tausend Apotheken betreibt und zu dessen Unternehmen auch die deutsche Gehe gehört, müssen wir nach eigener Aussage keine Angst haben. Der jetzige "Liberalisierungsprozess", wie er im Saarland abläuft, fällt auch für ihn unter Wild-West-Methoden. Auf diese Abenteuer wolle er sich nicht einlassen, gestand er in einem Gespräch mit der FAZ (siehe auch DAZ Nr. 28. S. 24). Erst wenn das Umfeld "verlässlich und attraktiv" sei, könne eine Entscheidung über den Eintritt in den deutschen Apothekenmarkt fallen. Und das könne natürlich prinzipiell schon passieren... Wie lange also hält das deutsche Fremd- und Mehrbesitzverbot noch? Lesen Sie unsere Umfragen unter Vertretern von Kammern, Verbänden und einem Rechtsanwalt auf Seite 67.
Neuigkeiten gibt es auch von Deutschlands beliebter Sanicare-Apotheke. Hier können Patienten ihre komplette Arzneimittelzuzahlung sparen! Und das geht so: Patienten fordern bei ihrer Krankenkasse Gutscheine (keine Mengenbegrenzung) an, die sie dann mit dem Rezept an die Sanicare-Apotheke einschicken. Die Versandapotheke mit Sitz in Bad Laer hat nach eigenen Angaben mit zwei IKKs und einigen BKKs bereits dieses Kooperationsmodell geschlossen, angeboten wurde es allen Krankenkassen. Was wäre, wenn morgen alle bundesdeutschen Apotheken auf die Zuzahlung ihrer Patienten verzichten? Oder Fünf-Euro-Gutscheine austeilen? Rutscht Deutschlands gesamtes Apothekenwesen in Richtung wilder Westen, schlittert es in die Anarchie? Danke an Schröders rotgrüne Regierung und Merkels große Koalition.
Peter Ditzel
Der wilde Westen
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