Analytik

A. SinzMassenspektrometrie in der Proteomik –

Proteomik ist die Analyse der zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden Proteine eines Organismus, einer Zelle oder einer Körperflüssigkeit. Sie hat in den letzten Jahren eine -enorme Bedeutung für die medizinische Grundlagenforschung erlangt und wirkt sich bereits auf die diagnostische und therapeutische Praxis aus. Mit Hilfe der Proteomik lassen sich biochemische Signaltransduktionswege aufklären, die molekularen Ursachen von Krankheiten verstehen, neue Targets für Diagnostika und Arzneistoffe entdecken sowie Wirkungsmechanismen bereits bekannter Arzneistoffe erkennen. Die enormen Fortschritte in der Massenspektrometrie haben ganz wesentlich zur heutigen Bedeutung der Proteomik beigetragen.

Proteomanalyse Der Begriff "Proteom" wurde 1994 von den australischen Forschern Keith Williams und Marc Wilkins als "das Proteinäquivalent zu einem Genom" geprägt [1]. Im Unterschied zum Genom ist das Proteom innerhalb eines Organismus nicht statisch, was der Vergleich von Schmetterling und Raupe eindrucksvoll beweist (Abb. 1): Obwohl die Genome eines Schmetterlings und einer Raupe derselben Art identisch sind, können Unterschiede in der Proteinsynthese zu völlig verschiedenen Phänotypen führen. Dies macht deutlich, dass die Sequenzierung von Genomen und die Kartierung der Gene nicht ausreichen, um einen Organismus zu beschreiben und zu verstehen.

Zwischen Genom und Proteom liegt das Transkriptom, das die Gesamtheit der mRNA umfasst. Auch auf dieser Ebene lassen sich nicht alle Zusammenhänge erklären, die den spezifischen Zustand einer Zelle oder eines Gewebes ausmachen. Oft bestimmen erst posttranslationale Modifikationen, Prozessierungen sowie Abbau- und Transportphänomene eines Proteins dessen spezielle Funktion. Die Quantifizierung aller zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter exakt definierten Bedingungen in einem Organismus, einer Zelle, einer Organelle oder einer Körperflüssigkeit vorhandenen Proteine ist somit für die Aufklärung komplexer biochemischer Prozesse unabdingbar [2].

Der Vergleich von Proteomen gesunder und pathologisch veränderter Gewebe kann wichtige Anhaltspunkte für die molekularen Ursachen von Krankheiten liefern und somit Ausgangspunkt zur Entwicklung neuer Therapien sein [3]. Durch vergleichende Untersuchung klinischer Materialien (Serum, Gewebe, Urin, Synovialflüssigkeit, Liquor) von Kranken und Gesunden können Veränderungen identifiziert und näher charakterisiert werden, die für die Ursache der Erkrankung von Bedeutung sind und sich eventuell als Biomarker eignen. Auch bei der Erforschung des Wirkmechanismus von Arzneistoffen hat die Proteomik eine große Bedeutung erlangt.

Trennung und Spaltung der Proteine Um das Proteom klinischer Materialien zu untersuchen, ist zunächst eine Auftrennung der hochkomplexen Proteingemische notwendig. Eines der zurzeit besten und kostengünstigsten Verfahren ist die zweidimensionale Gelelektrophorese; sie trennt die Proteine in der ersten Dimension nach ihrem isoelektrischen Punkt und in der zweiten Dimension nach ihrer Größe (Molekülmasse) und erlaubt die Separierung von Tausenden von Proteinen in einem Experiment [1]. In jüngster Zeit kommt allerdings den flüssigkeitschromatographischen Trennmethoden eine immer wichtigere Rolle zu.

Nach dem Färben des Gels werden die Flecken, die im Idealfall ein einziges Protein enthalten, herausgeschnitten; dann wird das Protein direkt im Gel durch eine Protease in Peptide gespalten (Abb. 2). Häufig wird Trypsin verwendet, welches an der Cµterminalen Seite von Arginin- und Lysin-Resten angreift. Wegen der Sequenzspezifität der verwendeten Protease ergibt sich ein charakteristisches Peptidgemisch, das einem Fingerabdruck vergleichbar ist. Daher wird diese Analyse als Peptide Mass Fingerprint (PMF) bezeichnet.

Für eine massenspektrometrische Analyse der erhaltenen Peptidgemische werden vornehmlich die "sanften" Ionisationsmethoden MALDI (Matrix-unterstützte Laser-Desorption/Ionisation) [4] und ESI (Elektrospray-Ionisation) [5] verwendet. Mit den erhaltenen Massenspektren werden Proteindatenbanken wie z.B. die SwissProt (www.expasy.ch) computergestützt durchsucht. Anhand der Übereinstimmung zwischen den experimentell erhaltenen und den theoretisch ("in silico") ermittelten Peptidmassen wird das Protein mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit identifiziert (Abb. 2).

Grundlagen der Massenspektrometrie (MS) Die Massenspektrometrie (MS) ist knapp hundert Jahre alt, jedoch gelang ihr der Durchbruch als wichtige Analysenmethode in der organischen Chemie erst um 1960 [6]. Kurz darauf entstand die noch heute gültige Definition:

"Das Grundprinzip der Massenspektrometrie (MS) ist es, Ionen von anorganischen oder organischen Verbindungen durch eine geeignete Methode zu generieren, diese Ionen anhand ihres Masse-zu-Ladung-Verhältnisses (m/z) zu trennen und sie qualitativ und quantitativ mittels ihrer jeweiligen m/z-Werte und Häufigkeit zu detektieren. Der Analyt kann dabei thermisch, durch elektrische Felder oder durch Beschuss mit energiereichen Elektronen, Ionen oder Photonen ionisiert werden. Die [...] Ionen können einfach geladene Atome, Cluster, Moleküle oder deren Fragmente oder Assoziate sein. Die Ionentrennung wird durch statische oder dynamische, elektrische oder magnetische Felder beeinflusst." [7]

Alle MS-Methoden beruhen auf der Messung des Einflusses von elektrischen oder magnetischen Feldern oder einer Kombination beider auf die Bewegung von gasförmigen Ionen im Hochvakuum. Große polare, organische Moleküle zerfallen, wenn sie mit den klassischen, für kleine Moleküle idealen Methoden wie Elektronenstoß-Ionisation (EI) [8] oder Chemische Ionisation (CI) ionisiert werden [9]. Erst Ende der 80er-Jahre wurden die für Peptide und andere Biopolymere geeigneten Ionisationstechniken MALDI und ESI eingeführt.

Matrix-unterstützte Laser-Desorption/Ionisation (MALDI) Bei der MALDI werden die Analytmoleküle mit einer bedeutend größeren Anzahl von Matrixmolekülen kokristallisiert. Die Laserenergie versetzt den Kokristall in einen angeregten Zustand, und die äußeren Matrix- und Analytmoleküle verdampfen (Abb. 3). Die Ionisation erfolgt wahrscheinlich durch Photoionisation der Matrixmoleküle und anschließenden Protonentransfer auf die Analytmoleküle; der genaue Prozess ist allerdings noch nicht geklärt. Mit MALDI können Verbindungen mit Molekülmassen bis circa 106 ionisiert werden, wobei fast ausschließlich einfach geladene Ionen entstehen.

Als Matrixmoleküle werden unter anderem Cyano-4-hydroxyzimtsäure (für Peptide), trans-3,5-Dimethoxy-4-hydroxyzimtsäure (Sinapinsäure, vor allem für Peptide und Proteine), 2,5-Dihydroxybenzoesäure (für Peptide, Proteine, Glykoproteine, Kohlenhydrate und Lipide) sowie Pikolinsäure und 3-Hydroxypikolinsäure (beide vor allem für Nucleinsäuren) verwendet.

Elektrospray-Ionisation (ESI) Bei der Elektrospray-Ionisation (ESI) befindet sich eine Analytlösung in einer Kapillaren von ca. 200 µm Durchmesser. Zwischen der Kapillarspitze und einer Gegenelektrode am Eingang des Massenspektrometers wird ein starkes elektrisches Feld angelegt. Die hohe Potenzialdifferenz (2-6 kV) bewirkt eine teilweise Trennung positiv und negativ geladener Ionen in der Lösung: Im positiven Messmodus sammeln sich die Kationen in einem Flüssigkeitskegel (Taylor-Konus) an der Kapillarspitze, wohingegen die Anionen zur Kapillarwand wandern, wo sie sich oxidativ entladen (Abb. 4).

Unter der Einwirkung des elektrischen Feldes werden aus dem Taylor-Konus - bei atmosphärischem Druck! - kontinuierlich Tropfen ausgestoßen. Während das Lösungsmittel durch einen geheizten Trockengasstrom (200-300 °C) verdampft und die Tropfen sich bis zu einem Durchmesser von etwa 1 µm verkleinern, erhöht sich ihre Oberflächenladung, bis die elektrostatische Abstoßung der Ionen die kohärente Oberflächenspannung des Tropfens übersteigt (Rayleigh-Limit). Dann erfolgt die Ejektion kleinerer Tropfen (Coulomb-Explosion), die wiederum desolvatisieren, bis sie ihr Rayleigh-Limit erreichen und explodieren. Der Prozess setzt sich kaskadenartig fort, bis Nanotropfen mit einem Radius von wenigen Nanometern entstehen. Schließlich verdampfen auch die Nanotropfen, sodass die Ionen übrig bleiben (Charged Residue Model) [10], oder die Ionen werden schon vorher aufgrund der Feldspannung aus den Nanotropfen emittiert (Ion Evaporation Model) [11]. Die ionisierten Analytmoleküle bilden sich also vor dem MS-Eingang durch die kontinuierliche Verdampfung unter schonenden Bedingungen.

Charakteristisch für ESI ist die Übertragung mehrerer Ladungen auf Proteine, wobei im positiven Messmodus u.a. die Anzahl leicht protonierbarer funktioneller Gruppen (z.B. Aminogruppen in Lysin, Arginin und Histidin) und der pH-Wert der Lösung eine Rolle spielen. So können auch hochmolekulare Verbindungen im m/z-Bereich von 400 bis 2000 analysiert werden. Eine Umrechnung der Signale in einfache geladene Ionen (Dekonvolution) ist anhand der Isotopenpeaks möglich [12].

Nano-Elektrospray Die Nano-Elektrospray-Technik unterscheidet sich hinsichtlich des Ionisationsprozesses nicht von der ESI, sondern stellt im Wesentlichen deren Miniaturisierung dar. Durch die Verwendung fein ausgezogener Glaskapillaren mit Spitzendurchmessern im Bereich zwischen 1 µm und 20 µm bilden sich Tropfen mit 100- bis 1000-mal kleineren Radien als bei der konventionellen ESI, die in der Regel nur ein Analytmolekül enthalten (bei einer Konzentration von ca. 1 pmol/µl) [13]. Die dadurch viel effizientere Ionisation erlaubt die Analyse geringster Probenkonzentrationen. Ein weiterer Vorteil ist eine Flussgeschwindigkeit von unter 1 µl/min, was die Analyse biologischer Proben in kleinsten Volumina erlaubt.

MS-Analysatoren Alle MS-Analysatoren unterscheiden Ionen entsprechend ihres Masse-zu-Ladung-Verhältnisses (m/z). Dabei bestimmt das jeweils angewandte physikalische Prinzip die Sensitivität und Auflösung, den Massenbereich und die Kompatibilität mit verschiedenen Ionisationsmethoden [14]. Der Quadrupol stellt den zurzeit am häufigsten verwendeten MS-Analysatorentyp dar. Er besteht aus vier parallel zur Flugrichtung der Ionen angeordneten Stäben, wobei das Anlegen von Spannungen bestimmter Höhe und Frequenz jeweils nur den Durchtritt von Ionen eines bestimmten m/z-Wertes zum Detektor erlaubt. Somit wirkt der Quadrupol als Massenfilter; durch Variieren des elektrischen Feldes zwischen den Stäben wird ein bestimmter m/z-Bereich gescannt, und der m/z-Wert eines detektierten Ions kann aus dem gerade anliegenden Feld berechnet werden.

Nach demselben Prinzip wie der Quadrupol arbeitet die Ionenfalle, die noch ein zweites elektrisches Feld besitzt und die Ionen "einfängt" [14]. Dies erhöht die Sensitivität und ermöglicht es, MSn-Experimente (mehrfache Fragmentierungen von Molekülen) durchzuführen. Flugzeitanalysatoren (Time-of-Flight, TOF) arbeiten diskontinuierlich und werden vor allem in Verbindung mit MALDI eingesetzt [14]. Bei dem relativ einfachen, schon 1946 eingeführten Prinzip werden die Ionen in einem elektrischen Feld beschleunigt. Da alle Ionen mit demselben Energiebetrag angeregt werden, ist die Geschwindigkeit, mit der sie in dem sich anschließenden feldfreien Raum zum Detektor fliegen, ausschließlich von ihrem m/z-Wert abhängig, der aufgrund der Zeitmessung bestimmt werden kann. Ein TOF bietet im Gegensatz zu scannenden Techniken, wie Sektorfeld-MS oder Quadrupol-MS, die Möglichkeit, alle Ionen, die durch einen Laserpuls gebildet werden, simultan zu analysieren, wodurch eine sehr hohe Empfindlichkeit erreicht werden kann. Der größte Vorteil der TOF-Analyse besteht in der Möglichkeit, einen nahezu unbegrenzten Massenbereich abzudecken (sogar m/z > 106).

Die zweifellos materialaufwändigste und teuerste Analysenmethode stellt die Fourier-Transformation-Ionen-Zyklotron-Resonanz-MS (FTICR-MS) dar [15]. Eine von anderen Methoden unerreichte Auflösung (bis zu 106) und Massengenauigkeit, die Abdeckung eines breiten Massenbereiches und die Kompatibilität mit nahezu allen Ionisationstechniken rechtfertigen allerdings in vielen Fällen diesen Aufwand.

Kopplung der MS mit chromatographischen Methoden Eine flüssigkeitschromatographische Trennung (Liquid Chromatography, LC) kann der MS-Analyse vorgeschaltet werden und in diesem Fall direkt mit der ESI-Quelle gekoppelt werden. Bei der LC wird eine Substanzmischung während des Flusses durch eine Säule auf Grund der Wechselwirkung mit einem festen Trägermaterial (stationäre Phase) und dem Lösungsmittel (mobile Phase) in ihre Komponenten getrennt. Mit speziellen Kombinationen von stationärer und mobiler Phase können verschiedene Eigenschaften des Analyten zur Trennung genutzt werden.

Für die Trennung von Peptiden wird bevorzugt ein Verfahren eingesetzt, bei dem zuerst die hydrophilen Substanzen eluieren (Umkehrphasenchromatographie, Reversed Phase, RP). Als stationäre Phase dienen Kieselgele, deren freie Hydroxylgruppen mit Alkyldimethylchlorsilan verethert sind; der Alkylrest ist meist eine Octadecyl- oder Octyl-Gruppe. Die mobile Phase besteht aus Wasser, einem Ionenpaarreagenz oder einem Puffer und einem organischen Lösungsmittel. Während der Trennung wird der Anteil des organischen Lösungsmittels meist linear erhöht [16].

Während die RP-LC-Trennung einer Peptidmischung ohne Druckeinwirkung mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann, dauert sie bei hohen Drücken bis etwa 400 bar (Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie, High Performance Liquid Chromatography, HPLC) und Gradientenelution nur wenige Minuten.

Miniaturisierte LC-Säulen mit Innendurchmessern von 75 µm führten zur Nano-RP-HPLC, die bei Flussraten von 200 nl/min bereits Probenmengen von wenigen Nanogramm einer Analyse zugänglich macht [2].

Multidimensionale chromatographische Methoden verbinden zwei oder mehrere Trennschritte miteinander. Hierbei werden meist die Trennung auf einer Ionenaustauscherphase und die Trennung auf einer Umkehrphase kombiniert. Alternativ dazu kommt die eindimensionale Kapillar-RP-LC mit Peakkapazitäten von � für globale Proteomikstudien zum Einsatz.

Ausblick Die heutige Bedeutung der Proteomik beruht nicht zuletzt auf den sich ständig verbessernden proteinchemischen Analysenmethoden; insbesondere die Fortschritte in der Anwendung der Massenspektrometrie haben einen erheblichen Beitrag zur automatisierten Durchführung komplexer Analysen geleistet.

Das Gebiet der klinischen Proteomik steht allerdings noch immer am Anfang und ist abhängig von den Entwicklungen in den anderen Omik-Disziplinen der Metabolomik, Genomik und Transkriptomik sowie auch in der Bioinformatik.

Proteomik ist die Analyse der zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden Proteine eines Organismus, einer Zelle oder einer Körperflüssigkeit. Sie hat in den letzten Jahren eine enorme Bedeutung für die medizinische Grundlagenforschung erlangt, dank der Massenspektrometrie und anderer moderner Analysentechniken. Mit der Proteomik lassen sich biochemische Signaltransduktionswege aufklären, die molekularen Ursachen von Krankheiten verstehen, neue Targets für Diagnostika und Arzneistoffe entdecken sowie Wirkungsmechanismen bereits bekannter Arzneistoffe erkennen.

Die Autorin Dr. Andrea Sinz studierte von 1988 bis 1993 Pharmazie in Tübingen und erhielt 1994 die Approbation als Apothekerin. 1997 wurde sie in Marburg im Fach Pharmazeutische Chemie promoviert. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an den National Institutes of Health in den USA war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universitäten Gießen und Rostock. Seit 2001 ist sie Leiterin der Nachwuchsgruppe "Protein-Ligand-Wechselwirkung mittels Ionen-Cyclotron-Resonanz-Massen-spektrometrie" am Biotechnologisch-Biomedizini-schen Zentrum der Universität Leipzig. Im Dezember 2005 habilitierte sie sich dort an der Fakultät für Chemie und Mineralogie und erhielt die Lehrbefugnis für das Fach Bioanalytische Chemie.

Anschrift: PD Dr. Andrea Sinz, Biotechnologisch-Biomedizinisches Zentrum, Universität Leipzig, Linnéstr. 3, 04103 Leipzig sinz@chemie.uni-leipzig.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.