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- DAZ 29/2006
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Aus Kammern und Verbänden
Ohne Sie wird es nicht gehen – aber es wird gehen!" (LAV Baden-Württember
Die vollmundigen Ankündigungen beider politischer Lager, eine große Gesundheitsreform auf den Weg bringen zu wollen, standen von je her in einem erheblichen Dissens zum im Herbst des vergangenen Jahres geführten Wahlkampf, analysierte Becker. In nahezu keinem Politikbereich seien sich SPD und CDU so uneins gewesen, wie in der Frage der zukünftigen Finanzierung des Gesundheitssystems. Ein wirklicher Kompromiss, der die Einnahmesituation der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ins Visier genommen hätte, wäre nur für den Preis der politischen Selbstaufgabe zu erringen gewesen. Dass also das "Eckpunktepapier" eine Reform kennzeichnet, die diesen Namen nicht verdienen und die im Wesentlichen nichts weiter als ein gigantisches Spar- und Bürokratisierungsgesetz sein wird, wäre fast abzusehen gewesen. Es entstand ein Eckpunktepapier, das aus Sicht des LAV-Präsidenten dokumentiert, dass kein politisch gegebenes Wort noch Bestand hat. "Die erneut in diesem Prozess dokumentierte Wendehalsmentalität unserer politischen Kaste ist atemberaubend", ärgerte sich Becker. Den politischen und machtpolitischen Prozessen würden Grundhaltungen geopfert, deren Gültigkeit noch vor wenigen Wochen als verbrieft galten. "Nichts, aber auch gar nichts scheint in dieser Republik eine auch nur mittelfristige Gültigkeit zu haben", meinte Becker und stellte fest, dass politische Weitsicht den Modewörtern "Wettbewerb" und "Wachstum" gnadenlos geopfert würde. "Hier lernt man schnell: Vertrauen ist gut - aber vertrauen kannst du niemandem!"
Was kann die Apotheke dafür? In den Fokus seiner Kritik nahm Becker die Passagen des Eckpunktepapiers, die die Apotheke und die Arzneimittelversorgung zum Thema haben. Es sieht so aus, meinte der LAV-Präsident, als wolle man die Apotheke auf dem Altar des Wettbewerbs opfern und die Arzneimittelsicherheit gleich mit, "weil sie die großen, systemheilenden Sparbemühungen stört". So müsse man sich doch die Frage stellen, was denn eigentlich die Apotheken für den von der Großen Koalition festgestellten Kostenanstieg könne, der ursächlich vor allem durch die Verschreibung teurer Arzneimittel ohne nachgewiesenen therapeutischen Zusatznutzen gesehen wird. Die Belieferung dieser Verordnungen kann die Apotheke nicht verhindern, da die Produkte in aller Regel nicht aut-idem-fähig sind. "Ergo wären hier die Ärzte und die Pharmaindustrie der richtige Adressat für die Politik, nicht aber die Apotheken", folgert Becker.
Aber genau die werden ins Visier genommen - allem voran durch die Idee, die Arzneimittelpreisverordnung zu einer Höchstpreisverordnung umzubauen, in der die Apotheker ihre in Preisverhandlungen mit der Industrie erhaltenen Einkaufsvorteile an die Kassen und Patienten weitergeben sollen. "Das AVWG hat uns doch die Einkaufsvorteile genommen", schimpfte Becker und stellt dann nüchtern fest: "Diese Höchstpreisregelung steht im krassen Widerspruch zu den AVWG-Rabattregelungen. Ich kenne allerdings niemanden, der Ihnen diesen Widerspruch heute erklären könnte."
Illusorische Forderung Ebenfalls sieht Becker keine Erklärung für den vom Gesetzgeber vorgegebenen Einsparbetrag von 500 Millionen Euro, die die Apotheken aus Preisvereinbarungen mit der Industrie generieren und für die sie sogar die Haftung übernehmen sollen. Wie illusorisch diese Forderung ist, rechnete Becker vor: Vor dem AVWG hat die Apothekerschaft durch Rabatte ca. 180 Millionen Euro "geholt". Die Forderung des Gesetzgebers heute heißt, nun die fast dreifache Menge an Geld aus Rabatten und Preisnachlässen zu erhalten. "Was hätten Ihre Vorlieferanten Ihnen wohl gesagt, wenn Sie damals Rabattierungen in der fast dreifachen Höhe verlangt hätten", fragte Becker achselzuckend die Teilnehmer der Mitgliederversammlung.
Die Haftung für 500 Millionen Euro könnten die Apotheker also nicht übernehmen, folgert Becker. Auch aus singulärer wirtschaftlicher Betrachtung heraus sei dies nicht zu leisten. "Wir haben vor nicht einmal einem Jahr unter massivem Druck der Politik und der Medien auf 350 Millionen Euro verzichtet, die wir im ersten Jahr des GMG zuviel an Rabatten gezahlt hatten - durchschnittlich also auf knapp 17.000 Euro pro Apotheke", erinnerte Becker an den Beitrag der Apothekerschaft zur Konsolidierung der GKV. Rechne man die aus dem AVWG hinzukommenden Einbußen und die durchschnittlich über 23.000 Euro, die sich aus der 500-Millionen-Forderung ergeben hinzu, bliebe nur die traurige Folgerung: "Diese immensen Verluste in so kurzer Zeit werden viele unserer Kolleginnen und Kollegen nicht mehr durchhalten."
Gesundheitspolitische Schimäre Für die Kassen sei die Regelung natürlich prima. Hier könne man sich bequem zurücklehnen, denn ob mit oder ohne Verträge sei man am Ende dank der Apothekerschaft um 500 Millionen Euro reicher. Becker: "Das alles ist eine gesundheitspolitische Schimäre, die im Zusammenhang mit der Idee der Höchstpreisverordnung voll und ganz nach hinten losgehen wird. Wir können und wir werden uns das nicht gefallen lassen!"
Die Idee der Höchstpreisverordnung und die der Möglichkeit für die Kassen, einzelne Arzneimittelwirkstoffe ausschreiben zu dürfen, markieren für Becker zudem das "Ende des einheitlichen Apothekenabgabepreises" und den "Untergang der flächendeckenden Versorgung". Die Trümpfe würden in die Hände solcher Marktteilnehmer gespielt, die via Versandhandel vor allem planbare Medikation und damit die Rosinen aus dem Kuchen beliefern möchte.
Vehement wandte sich der LAV-Präsident auch gegen die im Eckpunktepapier formulierte Idee des Gesetzgebers, Arzneimittel aus speziellen Großpackungen und Bulkware auszueinzeln sowie gegen die Planung, dass Arzneimittel, die in Hospizen und Pflegeheimen nicht verbraucht wurden, zurückgegeben bzw. weiterverwendet werden sollen.
Kampf gegen Rechtsbrüche Auch die Empfehlungen der staatlichen Monopolkommission zur systematischen Umgestaltung der Apothekenlandschaft führte LAV-Präsident Becker ad absurdum. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf die Forderung der Kommission nach Einführung von Fremd- und unkontrolliertem Vielbesitz von Apotheken. Auch die illegale Gründung der DocMorris-Apotheke in Saarbrücken bezog Becker in diesen Gedanken ein. "Rechtsbruch bei der Zulassung von Apotheken, Systembruch bei den Regeln für die Arzneimittelabgabe, Qualitätsbruch und Verlust der Arzneimittelsicherheit bei der Patientenversorgung! Unsere Demokratie läuft im Gesundheitswesen wirklich zur Höchstform auf", fasste Becker die jüngsten Entwicklungen zusammen und kündigte ein unerbittliches Vorgehen und einen harten juristischen Kampf gegen die Saarländischen Rechtsbrüche an. Gleichzeitig forderte der Verbandspräsident seine Mitglieder auf, sich gegen die unsachlichen und unbegründbaren Forderungen nach Fremd- und Mehrbesitz zu wehren. "Kämpfen Sie gegen solche Forderungen und Behauptungen, wo immer sie Ihnen begegnen, kraftvoll an. Fordern sie Beweise für unlautere Behauptungen ein und entlarven Sie die Scharlatane."
Innere Geschlossenheit Zum Abschluss seiner Rede zeigte sich LAV-Präsident Becker kämpferisch und entschlossen. "Sie dürfen mir glauben, dass meine persönliche Enttäuschung und Frustration derzeit gigantisch ist", stellte Becker fest, "aber wenn die Politik ein Machtspiel haben will, dann soll sie dieses Machtspiel bekommen." Dabei setze er auf die Geschlossenheit und auf die gemeinsame Entschlossenheit des Berufsstandes: "Wenn es vielleicht nie nötig war, Mitglied in einem starken LAV zu sein, dann ist es jetzt nötig! Nur die innere Geschlossenheit von uns Apothekerinnen und Apothekern und unsere aktive Bereitschaft, sich dem Machtkampf zu stellen, wird uns die Macht verleihen, die wir brauchen. Ohne Sie persönlich wird es nicht gehen. Aber es wird gehen - da bin ich mir sicher!" lav
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