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Aus Kammern und Verbänden
Unterschätztes Europa (Bayerischer Apothekerverband)
Reichert forderte mehr Wirtschaftlichkeit durch ein verbessertes Aut-idem. Apotheker sollten bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln ohne Einschränkungen austauschen dürfen. Die Wirtschaftlichkeit der abgegebenen Arzneimittel werde dabei von den Apothekern garantiert und dem Patienten müsse bei der Wahl der Medikamente außerdem ein größeres Mitspracherecht eingeräumt werden.
Kritik übte der bayerische Verbandschef an der Arbeit der ABDA. Viele Apotheker würden sich, so Gerhard Reichert, durch den Bundesverband nicht vehement genug vertreten sehen. "Mit Duckmäuserei, nachgeben und Kopf-in-den-Sand-stecken, ist es vorbei, wir müssen kämpfen!", sagte Gerhard Reichert in Richtung ABDA.
Die von ihm vorgeschlagenen Resolutionen wurden einstimmig und unter großem Beifall verabschiedet. BAV-Geschäftsführer Dr. jur. Stefan Weber erläuterte in seinem Bericht, dass die Erteilung der Betriebserlaubnis für die saarländische DocMorris Apotheke geltendes Recht eklatant verletzt.
Die DAZ hat sich mit dem BAV-Vorsitzenden Gerhard Reichert unterhalten.
d:
Herr Reichert, auch wenn bis jetzt nur von "Eckpunkten einer Gesundheitsreform" zu sprechen ist, scheinen der deutschen Apothekerschaft große Veränderungen zu drohen. Wo werden Ihrer Meinung nach die größten Fehler gemacht?
Reichert:
Die größte Fehlentwicklung ist die vorgesehene Systemänderung. Es gibt für mich neben dem Fremdbesitzverbot zwei Dinge, die nicht verhandelbar sind. Das eine ist die Arzneimittelpreisverordnung. Das andere ist die Beibehaltung des Vertriebsweges Apotheke für Arzneimittel. Der eine Punkt wird de facto angegriffen. Man will die Arzneimittelpreisverordnung aufweichen. Es soll keine festen Preise mehr geben. Es sollen Einzelverträge kommen. Und diese Systemveränderung wird die Apotheke meines Erachtens nicht aushalten können. Des Weiteren sind die 500 Millionen Euro Einsparung bei den Apotheken nicht tragbar. Umgeschlagen auf die einzelne Apotheke bedeutet das de facto einen Verlust von über 23.000 Euro, also etwa den Verlust von einem Drittel des Ertrags aus GKV-Rezepten. Eine normale Apotheke wird da die gleiche Qualität wie bisher nicht mehr leisten können.
d:
Darf man hier nachhaken: 500 Millionen Euro an Einsparungen bei den GKV-Arzneimittelausgaben bedeuten doch nicht einen Ertragsverlust, sondern Umsatzausfall in dieser Höhe. Wie sieht denn hier Ihre konkrete Berechnung aus?
Reichert:
Es ist ausdrücklich geplant, dass Apotheken bei der Industrie Rabatte einsammeln sollen und an die Kassen weiterleiten müssen. Sollte uns das nicht gelingen, haften wir kollektiv. Das läuft dann auf einen erhöhten Kassenrabatt hinaus, da die Hersteller uns vermutlich diese Rabatte - wie im AVWG festgelegt - nicht geben werden. Wie die Ärzte verordnen werden, wissen wir ebenfalls nicht. Das Ganze ist noch sehr wenig ausgegoren.
d:
Das erst seit kurzem in Kraft getretene Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) verbietet den Apotheken im Bereich der verschreibungspflichtigen Medikamente Rabatte von der Industrie anzunehmen. Und nun sollen die Apotheker gerade auf diesem Weg einen Betrag von 500 Millionen Euro einsparen? Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?
Reichert:
Ich gehe davon aus, dass man sich im Ministerium erinnert hat, dass es ein Abkommen zwischen uns und der Politik gibt. Es geht um den Verzicht auf 350 Millionen Euro aus dem Ausgleich für die gesunkene Packungszahl 2002/2004. Diesen Kompromiss wollte man scheinbar halten. Und letztendlich wurde nun festgelegt, wir sollen uns das Geld woanders holen, obwohl man ganz genau weiß, dass das in Wirklichkeit nicht möglich ist.
d:
Sie werfen der großen Koalition also vor, dass sie von der Unmöglichkeit dieser 500-Millionen-Euro-Einsparung sehr wohl weiß. Sind auf dieser Basis konstruktive Gespräche mit den Politikern überhaupt noch möglich?
Reichert:
Gespräche müssen immer geführt werden. Ich hoffe, dass die Politik - gerade nach dem AVWG - Einsicht hat, dass also angesichts der Absenkung der Festbeträge und der zusätzlichen Absenkung zur Erlangung der Zuzahlungsfreiheit kein weiterer Spielraum mehr besteht. Es muss Platz für Verhandlungen sein. Aufgeben dürfen wir nie - im Gegenteil - jetzt muss gekämpft werden!
d:
Im Saarland wurde erstmals einer ausländischen Aktiengesellschaft die Betriebserlaubnis für eine Apotheke erteilt. Sind Ihnen zwischenzeitlich die Beweggründe des entsprechenden Ministeriums genauer bekannt?
Reichert:
Das ist ein ganz klarer Fall von Rechtsbeugung. Über die Beweggründe kann man nur spekulieren. Wir wissen seit langem, dass die Regierung des saarländischen Ministerpräsidenten auf der einen Seite sehr freundlich zu Aposys, Kohl und anderen ist und entsprechend auch eine Affinität zu DocMorris hat. Den Grund, dass damit 50 Arbeitsplätze geschaffen werden, mit der Endausbaustufe von 300, halte ich für an den Haaren herbeigezogen. Es ist sicherlich nicht so. Ich gehe davon aus, dass hier andere Argumente mit im Spiel sind.
d:
Die Monopolkommission empfiehlt Apothekenketten (siehe AZ Nr. 28). Gehen Sie davon aus, dass die inhabergeführte Individual-Apotheken die alleinige Berechtigung zur Abgabe von Arzneimitteln verlieren könnte?
Reichert:
Die Monopolkommission ist seit längerer Zeit als nicht besonders apothekenfreundlich aktiv. Wir dürfen aber momentan die Monopolkommission nicht überschätzen.
d:
Also doch keine Gefahr?
Reichert:
Die Gefahr einer Kettenbildung ist grundsätzlich da, insbesondere deswegen, weil es das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Italien gibt. Und bevor der EuGH diesen Fall nicht entschieden hat, weiß man nicht mit letzter Sicherheit, ob es zu einer Kettenbildung kommen kann oder nicht. Selbstverständlich lehnen wir Ketten nach wie vor strikt ab und hoffen, dass der EuGH gegen die Kette entscheidet.
d:
Die Monopolkommission behauptet auch, dass Apothekenketten zu einer Effizienzsteigerung und einer Wettbewerbsbelebung führen, obwohl in anderen Ländern - z. B. Norwegen - genau das Gegenteil passiert ist?
Reichert:
Nun, eine niedergelassene Apotheke schädigt niemanden. Wir schreiben keine Rezepte aus, wir verursachen keinen zusätzlichen Arzneimittelkonsum. Ich weiß aber, dass etliche Politiker sich vorstellen könnten, wenn denn die Apotheken als solche an weniger Standorten mehr Umsatz machen würden, dass dann Fixkosten eingespart werden könnten, die man den Apothekern wieder wegnehmen kann. Im Übrigen kann die Monopolkommission wohl von ihrem Grundverständnis her gar nicht anders, als weitestgehende Deregulierung zu fordern. Was in anderen Ländern passiert, dürfte für die Kommission wenig Bedeutung haben.
d:
Auch in anderen Ländern - wie z. B. Italien - stehen gravierende Änderungen im Apothekenrecht an. Glauben Sie, dass letztendlich die EU-Richtlinien die Veränderungen im deutschen Apothekenrecht bestimmen werden?
Reichert:
Ich glaube, dass wir Apotheker in Deutschland Europa unterschätzen. Die ganze Welt schaut nach Brüssel und Straßburg, und wir schauen nach Berlin. Das ist sicherlich ein Fehler. Ich habe auch das Gefühl, dass wir von unserer eigenen Standespolitik Europa kräftig unterschätzen. Die Entscheidungen in Brüssel und Straßburg werden für uns immer wichtiger werden, und ich denke, wir sollten uns intensiv um dieses Thema kümmern.
d:
Solch eine Aussage verwundert etwas. Sind Sie doch selbst seit über zehn Jahren auch auf Bundesebene in den Vorständen. Wie könnten die von Ihnen angesprochenen Fehler der Vergangenheit jetzt korrigiert werden?
Reichert:
Ich möchte hier nicht von Fehlern sprechen. Was mich stört, ist, man hört von den Apothekern nichts! Wir müssen unsere Mitglieder mit deutlichen Äußerungen informieren, wohin die Verhandlungen laufen sollen und unseren eindeutigen Protest gegen dieses Eckpunktepapier zum Ausdruck bringen.
d:
Obwohl alle Politiker in ihren öffentlichen Statements immer wieder betonen, dass sie an der Institution des freiberuflichen Apothekers und der inhabergeführten Apotheke festhalten wollen, scheint dies mit den Eckpunkten der Gesundheitsreform in Frage gestellt. Warum?
Reichert:
Ich habe das Gefühl, dass Politiker manchmal im Moment glauben, sie müssten Beifall erhaschen, denken aber in Wirklichkeit anders. Manchmal hat man das Gefühl, dass sich bei Politikern Realität und Wunschdenken etwas vermischen. Eine gehörige Portion Skepsis gehört auf jeden Fall dazu.
d:
Die Ärzte haben durch lang andauernde und harte Arbeitskämpfe Verbesserungen bei ihren Honoraren und Arbeitsbedingungen erkämpft. Welche Mittel empfehlen Sie den deutschen Apothekern, um ihren Anliegen bei der Politik Gehör zu verschaffen?
Reichert:
Bei uns sieht das so aus: In Diskussionen sagt die Hälfte bis drei Viertel Ja zu Streiks oder sonstigen Maßnahmen. Käme es wirklich dazu, so bin ich überzeugt, dass der größte Teil der Apothekerschaft nicht mitmachen würde. Es würde auch keinen Sinn machen. Ich bin überzeugt, dass das nicht die geeignete Maßnahme ist, unsere Interessen durchzusetzen. Was wäre denn die Folge? Die Krankenhausapotheken würden kurzfristig einspringen und Arzneimittel abgeben, möglicherweise auch Bundeswehrapotheken. Möglicherweise würde sogar ein Dispensierrecht der Ärzte forciert. Ich kann davor nur warnen.
d:
Die seit 1. Juli 2006 gültige Zuzahlungsbefreiung bei bestimmten Medikamentengruppen hat bei vielen Patienten einerseits Unsicherheit hervorgerufen, zum anderen Begehrlichkeiten geweckt. Halten Sie es für richtig, dass Absenkungen von Herstellerabgabepreisen für den Patienten einen finanziellen Vorteil bringen sollen?
Reichert:
Ich glaube, dass es keinen Sinn macht. Das ist zwar einerseits eine Ankurbelung des Wettbewerbs. Ich frage mich aber auf der anderen Seite, wie die pharmazeutische Industrie überhaupt in der Lage ist, zunächst mit den stark abgesenkten Festbeträgen fertig zu werden und dann diese noch einmal um 30 Prozent zu unterbieten. Man muss sich dann doch die Frage stellen, ob die Kalkulationen der Industrie die letzten Jahre über seriös war.
d:
Bei der Delegiertenwahl für die Bayerische Landesapothekerkammer 2006 sind im Bezirk Oberbayern viele Apotheker auf der Liste des Bayerischen Apothekerverbandes nicht mehr gewählt worden. Gibt es hier eine Unzufriedenheit bei der Basis hinsichtlich der Arbeit der Berufsorganisationen?
Reichert:
Stimmenverluste haben immer verschiedene Ursachen. Erst mal war der Zeitpunkt ausgesprochen unglücklich. Wir hatten gerade mit dem AVWG zu tun. In dieser Situation hatten sehr viele Leute Angst. Man war sich nicht darüber im Klaren, welche Erfolge Kammer und Verband einfahren würden. Dann kam zum ersten Mal eine neue Opposition, die mit einem Papier, in dem alles versprochen wurde, was im Zweifelsfall doch nicht zu halten war, die Leute geködert hat. Und dann kommt eine strukturelle Schwäche, die wir in Oberbayern haben. Um näher an unseren Mitgliedern zu sein, haben wir Oberbayern in vier BAV-Bezirke aufgeteilt. Wenn nun eine Opposition kommt, dann ergibt sich hieraus das Problem, dass z. B. die Kandidaten aus München, die ja auf einem Wahlvorschlag für ganz Oberbayern kandidieren müssen, die Kandidaten aus Garmisch nicht kennen, oder die Dachauer nicht die Kandidaten aus dem Reichenhaller Land. Durch diese Strukturschwäche haben wir festgestellt, dass ein strategischer Vorteil für die Opposition entstanden ist. Man merkt aber auch, dass das eine oberbayerische Zufälligkeit war. Auf der anderen Seite muss ich sagen, wir haben eine Mehrheit von 58 Prozent. Jede deutsche Partei wäre glücklich, wenn sie in einem Parlament über 58 Prozent verfügen würde.
d:
Herr Reichert, wir bedanken uns für das Gespräch.
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