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Gesundheitsreform: Ministerium und Krankenkassen im Clinch

BERLIN (ks). Die gesetzlichen Krankenkassen werden sich gründlich umstellen müssen, wenn die Eckpunkte zur Gesundheitsreform Gesetz werden. Da verwundert es nicht, dass ihre Funktionäre im Chor der Eckpunkt-Kritiker besonders laut zu hören sind. Sie werden nicht müde, den geplanten Gesundheitsfonds als überflüssig und hochgradig bürokratisch zu schelten. Zudem machen sich die Kassenverbände bereit für eine "Aufklärungskampagne" zur Reform. Aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) überschreiten die Kassen damit ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich.

Staatssekretär Klaus Theo Schröder forderte sie daher auf, ihre Agitationen einzustellen. Doch dieser Maulkorb treibt die Funktionäre nur noch höher auf die Palme.

Im BMG ist man über den Aufstand der Kassen nicht überrascht. Schon bevor die Eckpunkte offiziell beschlossen wurden, hatten ihre Verbände scharfe Kritik an den beabsich–tig–ten Maßnahmen geübt – schließlich rüttelt die Reform heftig an den eingefahrenen Strukturen. Leider werden die Kassen immer erst dann aktiv, wenn ihre institutionellen Interessen berührt sind, klagt manch einer im Ministerium. Die neue Reform soll künftig für mehr Bewegung in der Kassenlandschaft sorgen – nicht zuletzt durch einen erhöhten Druck aufs Kassenmanagement. So soll den Kassen durch den geplanten Gesundheitsfonds die Finanzhoheit über die Beiträge genommen werden. Künftig sollen sie nur noch eine Grundpauschale zuzüglich eines alters- und risikoadjustierten Zuschlags für jeden Versicherten erhalten. Wer mit dem Geld nicht auskommt, muss eine Zusatzprämie bzw. einen einkommensabhängigen Zusatzbeitrag von seinen Versicherten erheben. Auf diese Weise will man zum einen den alljährlichen Streit zwischen Geber- und Nehmerkasse im Risikostrukturausgleich beilegen. Zum anderen verspricht man sich einen stärkeren Wettbewerb unter den Kassen: Sie sollen angehalten werden, Zusatzbeiträge für ihre Versicherten zu vermeiden, indem sie eine gute Vertragspolitik betreiben. Zudem soll ein neuer Spitzenverband gegründet werden, der die Kassen in den Gremien der Selbstverwaltung vertritt.

Verdopplung der Verwaltungskosten Nachdem die Eckpunkte vom Kabinett beschlossen wurden, liefen die Kassen Sturm. Niemand brauche den "ökonomisch und sozialpolitisch unsinnigen" Gesundheitsfonds, ließen die Spitzenverbände verlauten. Der Fonds führe lediglich zu erheblichen Mehrbelastungen der Versicherten, höheren Verwaltungskosten sowie unnötiger Bürokratie. Anfang dieser Woche legten die Kassen eine Expertise vor, wonach sich die Verwaltungskosten für den Einzug des Sozialversicherungsbeitrages durch den Fonds von bisher 1,3 Mrd. Euro auf künftig 2,5 Mrd. Euro pro Jahr nahezu verdoppeln würden. Für die Errichtung einer neuen "Mammutbehörde", die den Gesundheitsfonds verwaltet, würden zudem weitere Anschubkosten in Höhe von 0,8 Mrd. Euro kommen. Nicht zuletzt würde die Umstellung auf einen Fonds mit regionalen Inkassostellen einen Organisationsvorlauf von mehreren Jahren benötigen, heißt es weiter in der Expertise.

Qualitätswettbewerb Fehlanzeige Darüber hinaus rügen die Kassen, dass die große Koalition darüber schweigt, wie die fehlenden Milliarden in 2008 und 2009 ausgeglichen werden sollen. Auch was den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen betrifft, setze der Fonds "gesundheitspolitisch falsche Weichenstellungen". Um Mehrausgaben über die zusätzliche Prämie auffangen zu können, käme es zu einem Wettbewerb um einkommensstarke und gesunde Versicherte, prognostizieren die Spitzenverbände. Die neuen Vertragsfreiheiten der Kassen würden hingegen kaum zu einer günstigeren Versorgung führen. Sie blieben den Kassen primär dort, wo es um zusätzliche Leistungen über die Kollektivverträge hinaus gehe – also dort, wo Mehrkosten für die Kassen anfallen. Diese freiwilligen Leistungen würde sich zukünftig allerdings keine Krankenkasse mehr leisten können.

Kritik selbst an Apothekenrabatten Nicht einmal der Plan, Apotheker für Einsparungen in Höhe von 500 Mio. Euro im Arzneimittelbereich garantieren zu lassen, trifft bei den Kassen auf Zuspruch. AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens erklärte, die Apotheker zunächst Preisverhandlungen mit den Pharmaherstellern führen zu lassen und dann, bei Nicht-Erreichen des Sparziels, die Differenz durch erhöhte Rabatte an die Kassen weiter zu leiten, sei "ein völlig unnötiger und viel zu komplizierter Umweg". Wenn die Politik mehr Wettbewerb im Arzneimittelmarkt wolle, solle sie den Kassen Direktverträge mit den Herstellern ermöglichen. "Was spricht dagegen, dass eine AOK die Versorgung ihrer Versicherten mit einem bestimmten Wirkstoff ausschreibt und dann den Anbieter mit den besten Konditionen auswählt?", fragt Ahrens.

Ministerium droht mit Konsequenzen Das BMG, Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warnten die Kassen davor, mit den Beiträgen ihrer Versicherten Protestaktionen zu organisieren. Doch die Bemühungen, die Kassen zur Ruhe zu bringen, fruchten bislang nicht. "Wir sagen, was Sache ist, auch wenn das manchem in Berlin nicht passt", stellte Ahrens klar.

Auch bei den anderen Kassenverbänden gibt man sich kämpferisch: "Die Politik hat kein Recht, uns über einen Maulkorberlass das Reden und Aufklären zu verbieten", sagte der Verwaltungsratsvorsitzende des IKK-Bundesverbandes, Rolf Wille. BKK-Chef Wolfgang Schmeinck verteidigte die Haltung der Kassen ebenfalls: "Das ist weder Agitation noch Propaganda, das ist demokratische Diskussionskultur."

Das Ministerium hat nun Vertreter der Kassen für den 1. August zu einer Anhörung geladen. Dort sollen sie erklären, wie ihre geplante Informationskampagne aussehen soll.

Dann soll entschieden werden, ob das BMG aufsichtsrechtlich einschreitet. Unterstützung erhalten die Kassen von Verdi. Für den 26. und 27. Juli rief die Dienstleistungsgewerkschaft zu Demonstrationen gegen die geplante Reform in Berlin, Hamburg, München, Mainz und Bonn auf.

Randnotiz

WamS lobt ausländische Systeme

(diz). Passend zu allen rechtlichen Querelen um den Versandhandel und widerrechtlichen Betriebserlaubnissen veröffentlichte die Welt am Sonntag (WamS) vom 23. Juli einen groß aufgemachten Beitrag, der den Lesern erklären will, dass die deutschen Regeln für die Arzneimittelversorgung den Wettbewerb und niedrige Preise verhindern. Verglichen werden die deutschen Bestimmungen mit denen in anderen Ländern, den Vorbildern (!)

Großbritannien, Niederlande, USA und Irland. Der Artikel ist eine unsägliche Mischung aus wenigen richtigen Angaben, vielen irrigen Schlussfolgerungen und mehreren falschen Formulierungen. Auch mit falschen Beiträgen kann man Stimmung machen.

Peter Ditzel

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