- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 31/2006
- D. Uhl: Heroin auf ...
Suchttherapie
D. Uhl: Heroin auf Rezept – ohne Apotheke?
Mit dem Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger sollte Schwerstabhängigen geholfen werden, die nach einem Entzug rückfällig geworden sind, von den Programmen zur Methadonsubstitution nicht profitieren konnten und auch auf anderen Wegen nicht zu erreichen sind. Im Zentrum des unter Federführung des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZFS) an der Universität Hamburg-Eppendorf durchgeführten Modellprojektes stand die so genannte Heroinstudie, in der die heroingestützte Behandlung Heroinabhängiger mit einer Methadonsubstitution verglichen wurde. An diesem Modellprojekt waren neben dem ZFS Drogenambulanzen in sechs weiteren Städten Deutschlands beteiligt. Es sollte geklärt werden, ob durch die Gabe von hochreinem Heroin unter ärztlicher Aufsicht Schwerstabhängige effektiver als mit einer Methadonsubstitution vor sozialer Isolation zu bewahren sind, die Beschaffungskriminalität reduziert und der Weg für weitere Hilfen zur Überwindung der Opiatabhängigkeit geebnet werden kann. Insgesamt nahmen 1032 Heroinabhängige teil. Teilnehmer der Methadongruppe wurden über zwölf Monate beobachtet. Für Teilnehmer der Heroingruppe schlossen sich weitere Studienphasen an, die der Erhebung von Daten zur Sicherheit und langfristiger Wirksamkeit dienten und zum Teil noch nicht abgeschlossen sind. Alle Teilnehmer wurden intensiv psychosozial betreut.
Beschaffungskriminalität gesenkt Als Hauptzielkriterien wurden die Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Rückgang des illegalen Drogenkonsums definiert. Bei 81% der mit hochreinem Heroin behandelten Abhängigen besserte sich der Gesundheitszustand, in der Methadongruppe dagegen nur bei 70%. Der illegale Drogenkonsum ging in der Heroingruppe um 70% zurück, in der Methadongruppe lediglich um 55%. Die Unterschiede waren statistisch signifikant. In der Heroingruppe wurde die Behandlung von 33% der Teilnehmer nicht zu Ende geführt, in der Methadongruppe schieden 61% vorzeitig aus. Allein ein Drittel der für die Methadonsubstitution vorgesehenen Patienten hatten die Behandlung erst gar nicht angetreten. Von den aus der Heroingruppe vorzeitig ausgeschiedenen Teilnehmern wechselten dagegen 31% in eine andere Substitutionsbehandlung, 8% sogar in eine Abstinenztherapie. Das legt den Schluss nahe, dass mit der heroingestützten Behandlung mehr Schwerstabhängige erreicht werden als mit einer Methadonsubstitution. Diese können darüber hinaus auch leichter in andere etablierte Therapien überführt werden.
Koalitionspartner uneinig Aufgrund der positiven Ergebnisse wurde ein Eilantrag zur Zulassung von Heroin als Fertigarzneimittel gestellt. Für die Zulassung sind jedoch Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung notwendig. Die SPD will den Weg für eine von den Krankenkassen zu übernehmende Herointherapie schnellstmöglich frei machen. Auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Dagegen fürchten einige Vertreter der CDU die hohen Kosten. Sie sollen um das Drei- bis Vierfache über denen einer Methadonsubstitution liegen. Diese Befürchtung will die SPD-Abgeordnete und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, nicht teilen. In der Sendung Berlin direkt vom 14. Mai 2006 verwies sie darauf, dass sich durch die Heroinbehandlung der Gesundheitszustand der Abhängigen bessere und so weniger andere Krankenbehandlungen notwendig seien, was wiederum zu Kosteneinsparungen führen würde. Vor dem Hintergrund des noch nicht abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahrens wurde das Modellprojekt, das Ende Juni 2006 auslaufen sollte, bis Ende Dezember 2006 verlängert. Solange können die in das Projekt eingebundenen Drogenabhängigen weiter mit Heroin behandelt werden.
Apotheken müssen eingebunden werden Der Ärzte Zeitung vom 11. Juli 2006 zufolge soll nach den Vorstellungen des Heroinliefernden Unternehmens das Heroin nicht über Apotheken vertrieben, sondern direkt an die Drogenambulanzen geliefert werden. Die ABDA ist in dieser Sache bereits im Juli beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorstellig geworden und hat mitgeteilt bekommen, dass man sich nach Ablauf der Modellversuche und Abschluss der Überlegungen zur Zulassung eines entsprechenden Fertigarzneimittels auch mit Fragen des Vertriebswegs befassen wolle. Auf der Grundlage eines Beschlusses des Geschäftsführenden Vorstandes der ABDA vom April 2006 hat die ABDA deshalb den Anspruch auf eine Einbindung der öffentlichen Apotheken in den Vertrieb nochmals unterstrichen, um Information über den Stand der Überlegungen gebeten und, für den Fall abweichender Pläne des BMG, den Wunsch nach einem Gespräch angemeldet.
Eine Antwort stand zum Zeitpunkt der DAZ-Nachfrage noch aus. Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg lehnt einen Sondervertriebsweg von Heroin direkt an die Drogenambulanzen strikt ab (siehe Stellungnahme). Er sei unnötig, nicht systemkonform und gefährde die Arzneimittelsicherheit.
Die als Modellprojekt durchgeführte Heroinstudie hat gezeigt, dass durch die kontrollierte Abgabe von hochreinem Heroin die Beschaffungskriminalität gesenkt und der Gesundheitszustand gebessert wird. Um die Behandlung nach Auslaufen des Modellprojektes zu sichern, wurde ein Eilantrag auf Zulassung von Heroin als Fertigarzneimittel gestellt. Geht es nach den Vorstellungen des Antrag stellenden Unternehmens, so sollen die Drogenambulanzen direkt versorgt werden. Apotheken sollen außen vor bleiben.
In Deutschland gibt es 450 Ambulanzen, die insgesamt 11.000 Therapieplätze zur Entzugs- und 50.000 Plätze zur Substitutionsbehandlung von Drogenabhängigen anbieten.
Die Zahl der Therapiebedürftigen wird auf über 150.000 geschätzt. Für eine Heroinbehandlung kommen schätzungsweise 1500 Schwerstabhängige in Frage. Ausgehend von den Erfahrungen der Heroinstudie werden pro Tag für jeden Patienten 400 bis 500 mg hochreines Heroin benötigt. Das entspricht einem Wochenbedarf von 4,2 bis 5,25 kg hochreinem Heroin.
Sondervertriebsweg gefährdet Arzneimittelsicherheit
Die Anwendung von Heroin an opiatabhängigen Patienten zeigt in der klinischen Praxis gute Erfolge, verhindert den sonst in Substitutionsbehandlungen oft zu bemerkenden Beigebrauch von Opiaten neben dem Substitutionsmittel und bringt die Betroffenen aus dem Umfeld der Beschaffungskriminalität heraus. Daher ist es zu begrüßen, wenn opiatabhängige Patienten unter bestimmten Vorraussetzungen die Möglichkeit bekommen eine Substitutionsbehandlung mit Heroin durchzuführen.
Die Anwendung von Heroin kommt nach unserer Ansicht nur in dafür geeigneten (und zertifizierten) Spezialeinrichtungen/Schwerpunktpraxen in Frage, um eine möglichst hohe Compliance der Patienten zu erreichen und gleichzeitig die Einschleusung von Heroin in den Drogenmarkt zu verhindern. Apotheken sind hierzu wegen der fehlenden Möglichkeit der direkten Applikation des Substitutionsmittels vor Ort ungeeignet.
Allerdings sollte die Heroinlösung in Apotheken hergestellt oder beschafft und an die oben genannten Spezialeinrichtungen im Rahmen des normalen Vertriebswegs für Arzneimittel abgegeben werden. Ein Sondervertriebsweg von Heroin oder Heroinlösung direkt an die genannten Spezialeinrichtungen ist unnötig, nicht systemkonform, gefährdet die Arzneimittelsicherheit und ist deshalb aus unserer Sicht strikt abzulehnen.
Dr. Ernst Pallenbach, Vorsitzender Arbeitskreis Sucht, Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Villastraße 1, 71190 Stuttgart
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.