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Prävention – wie sinnvoll ist "Risikomedizin"? (Außenansicht)
Der Eindruck, dass wir von einer Medizin der Kranken vielfach zu einer Medizin der Gesunden übergegangen sind, und dass mitt–lerweile mehr zur Vorbeugung als zur Behandlung getan wird, ist richtig.
Diese "Risikomedizin" aber ist nicht (oder nicht nur) eine clevere Idee der Pharmaindustrie oder auch der Medizintechnik, sondern trägt dem Wunsch der meisten Menschen Rechnung, etwas zu tun, also Krankheitsrisiken vorzubeugen.
Es zeugt von Unkenntnis der Marktmechanismen, wenn man glaubt, dass man allein mit geschickten Werbestrategien Bedürfnisse wecken kann. Der Nährboden in der Gesellschaft muss schon vorhanden sein. Denn würden die Bürger vorbeugende Medizin nicht haben und Geld für sie nicht ausgeben wollen, und würden die Ärzte sie nicht empfehlen und anwenden, dann würden die Industrien die Produkte hierfür auch nicht zur Verfügung stellen.
Wer sich übermäßig und falsch ernährt oder raucht, hat bekanntlich noch keine Krankheit, zunächst lediglich ein Risiko, das allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Krankheiten führt. Risikofaktoren sind für die meisten chronischen Krankheiten das gleiche, was die Erreger für die Infektionserkrankungen sind. Für beide gilt, dass sie durch Beeinflussung beziehungsweise Beseitigung ihrer Ursachen unter Kontrolle gebracht werden können. Weiterhin wissen wir, dass ihre Verhütung durch die Bekämpfung ihrer Ursachen kosteneffizienter, wirkungsvoller und menschlicher ist, als später ein behandelnder Eingriff, intensivmedizinische Versorgung oder Rehabilitation.
Wenn wir präventive Medizin betreiben und damit Krankheiten –verhindern wollen, so kann das also nur durch Beseitigung der Krankheitsursachen geschehen. Und damit meine ich: durch Eingriffe in gesellschaftliche Phänomene und individuelle Verhaltensweisen.
Die naturwissenschaftliche Medizin hat nun stattdessen – weil ihr derartige Einwirkungen nicht möglich sind – ein messtechnisches Programm der Krankheitsverhütung entworfen, das man ebenfalls präventiv genannt hat, das aber nicht präventiv ist. Denn was messtechnische Methoden allein festzustellen erlauben, sind Änderungen messbarer Ergebnisse oder Zustände, also bereits eingetretener Veränderungen. Damit sind sie nicht wirklich Prävention, sondern Früherkennung. Das Ziel der naturwissenschaftlichen Medizin, die Entwicklung von Krankheit aus Messwerten vorherzusagen, welche noch nicht die endgültige Krankheit sind, ist gleichzeitig auch ihr Problem, denn diese Art der Früherkennung kommt im Prinzip immer zu spät und gestattet nur im günstigsten Fall eine therapeutisch befriedigende Maßnahme.
Nach wie vor gibt es kaum irgendwelche Messwerte, deren Veränderungen eine kommende Krankheit mit hoher Sicherheit anzeigen. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Bedeutung von Grenzwerten – nicht nur in der Medizin –unklar geblieben ist, und sich die meisten zu Normwerten deklarierten Werte oder Grenzwerte (die meist durch Handaufhebung von Experten in Konsens-Gremien festgelegt wurden) irgendwann später als falsch erwiesen haben.
In diesem Dilemma ergibt sich natürlich die zentrale Frage, ob es sinnvoll ist, mit den meist teuren und wenig effektiven Messungen das Gesundheitswesen nutzlos zu verteuern, und auch, wann und womit man zu hohe Messwerte therapeutisch erniedrigen soll.
Die eigentliche Aufgabe der Medizin wird kurativ bleiben, während die präventive Medizin eine Strategie der Gesundheitserziehung und Gesundheitsbildung sein muss, für die Ärzte aber nicht oder nur wenig befähigt sind, sie ist aber auch nicht ihre eigentliche Aufgabe. Die Praxis des Arztes ist ein Behandlungsraum, kein Hörsaal.
Auch heute gilt, dass gesundheitsbezogenes Verhalten eng mit dem allgemeinen Bildungsstand verknüpft ist. Da gesundheitliche Aufklärung somit wichtig ist, im Einzelfall aber schwierig oder unmöglich zu sein scheint, besteht die einzige Möglichkeit, das Verständnis der Menschen für vernünftiges gesundheitliches Verhalten zu verbessern, darin, mit Hilfe der heute zur Verfügung stehenden und sich ständig verbessernden Kommunikationstechniken die Gesamtbevölkerung aufzuklären.
Wenn der Prävention auch weiterhin eine zentrale Bedeutung zukommen soll, so ist ein solches Vorgehen unerlässlich. Nur durch breite, bereits in Kindergärten und Schulen beginnende Aufklärung kann das Gesundheitsbewusstsein zunehmen und sich der Lebensstil vieler Menschen ändern.
Von diesen Einstellungs- und Verhaltensänderungen der Bevölkerung werden vermutlich wichtigere Impulse für die Gesundheit ausgehen als von der Medizin selbst, und es kann durch diese wahrscheinlich mehr Geld im Gesundheitsbereich eingespart werden als durch staatliche Reformen.
Klaus Heilmann
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