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Hintergrund
P.DitzelDer Versuch – DocMorris in Saarbrücke
Die Eröffnung der DocMorris-Filiale in Saarbrückens Kaiserstraße war eine Nacht- und Nebelaktion, nur möglich mit Hilfe eines CDU-Landesministers, der wohl in der Bundespolitik noch etwas werden will und dafür schon mal einen eklatanten Rechtsbruch in Kauf nahm.
Der Coup wird vorbereitet... Die Vorbereitungen für diese Aktion liefen bereits seit Längerem. Wie Wolfgang Schild, Staatssekretär im saarländischen Justizministerium, die Öffentlichkeit wissen ließ, habe sich das Saarländische Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales seit Dezember 2005 mit Fragen zum Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken beschäftigt. Dabei kam man zu der Erkenntnis, dass das Fremdbesitzverbot das "Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit" sei, das den deutschen Apothekenmarkt von ausländischen Mitbewerbern abschotte. Das wollte man so nicht weiter hinnehmen.
Es muss dann Anfang 2006 gewesen sein, als DocMorris-Chef Ralf Däinghaus und der saarländische Justizminister Josef Hecken zusammentrafen, um den Coup vorzubereiten – der eine hatte wirtschaftliche Interessen, der andere politische. Da ihm klar gewesen sei, so Hecken, dass er "in ein Wespennest greift", wenn er einer ausländischen Aktiengesellschaft den Betrieb einer Apotheke in Deutschland erlaubt, versuchte er sich juristisch abzusichern, so gut es ging.
Seit Mitte Februar tagte daher im Hecken-Ministerium eine Arbeitsgruppe, von der Öffentlichkeit abgeschottet und zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Sie hatte den Auftrag zu prüfen, mit welchen rechtlichen Argumenten dem niederländischen Versandhändler eine Erlaubnis für seine erste "Vor-Ort-Filiale" erteilt werden könne. Mit von der Partie waren drei Juristen,u. a. der DocMorris-Rechtsanwalt Thomas J. Diekmann und Dr. Christoph Lafontaine, im Hecken-Ministerium zuständig für Kabinett, Bundesrat, Parlaments- und Europaangelegenheiten, eine Pharmazeutin, ein ehemaliger Richter und zwei aktive Richter(!).
...und rechtlich untermauert Dass es ein Verstoß gegen das deutsche Apothekengesetz sein würde, war Hecken von Anfang an bewusst, also musste Europarecht herhalten. Man entschloss sich, den Europarechtler Rudolf Streinz mit einem Gutachten zu beauftragen, das idealerweise zu dem Schluss kommen sollte, dass sich das deutsche Fremd- und Mehrbesitzverbot nicht mit EU-Recht verträgt.
Am 19. Mai ging das mit heißer Nadel gestrickte Gutachten, das im Sinne Heckens interpretierbar war, im Saarbrücker Ministerium ein, wurde zunächst als geheim behandelt, und erst am 9. August, also weit nach der Erteilung der Betriebserlaubnis für die DocMorris-Apotheke, auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wie erwartet kam das Gutachten zu dem Schluss, dass das deutsche Fremdbesitzverbot gegen die Niederlassungsfreiheit in Europa verstößt. Das Gutachten bezieht sich dabei auf ein 2005 ergangenes Urteil, in dem die Vorschriften für Optiker in Griechenland für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit erklärt wurden. Also: "Warum soll sich die Behörde (das Justizministerium) erst rechtswidrig verhalten müssen, wenn sie anschließend verurteilt wird, EU-Recht anzuwenden?", erklärte der Co-Autor des Gutachtens, Dr. Christoph Herrmann auf der Pressekonferenz am 9. August, die Strategie Heckens. So juristisch gestärkt diskutierte Hecken seine Absicht mit weiteren Experten und kam zu dem Schluss, die DocMorris-Niederlassung in Saarbrücken zu genehmigen – an seinen Mitarbeitern vorbei, die, wie man gerüchteweise hörte, mehr als Bauchschmerzen über diese Aktion hatten. Am 29. Juni erteilte Hecken die Betriebserlaubnis für die niederländische Kapitalgesellschaft mit Wirkung vom 1. Juli.
Ministeriell genehmigt und schnell eröffnet DocMorris hatte mit der Inhaberin der Saarbrücker Rats-Apotheke eine Apothekerin gefunden, die ihre Betriebsräume gerne an die Niederländer weiter-gab und sich selbst als Filialleiterin anstellen ließ.
Der kleine Umbau der Offizin war schnell bewerkstelligt –– ein paar neue weiße Regale, dekoriert mit hellgrünen Streifen, ein neues leuchtendes Transparent über dem Eingang und die Metamorphose von der Rats-Apotheke zur ersten DocMorris-Apotheke in Deutschland war perfekt.
Am Montag, 3. Juli, eröffneten die Niederländer ihr Standbein in Deutschland, mit dem sie sich einen direkten und intensiven Zugang zum deutschen Gesundheitswesen erhofften. DocMorris sollte in Deutschland "ein Gesicht bekommen".
Selbst die Apothekerkammer des Saarlandes war über die Eröffnung nicht informiert worden, die erste offizielle Mitteilung aus dem Justizministerium dazu, datiert vom 30. Juni, traf mysteriöserweise erst am 6. Juli bei der Kammer ein.
Der Pressewirbel... Pressemitteilungen des Hecken-Ministeriums und von DocMorris sorgten für ein nachhaltiges Presseecho und ersparten DocMorris eine geradezu unbezahlbare Werbekampagne. Die Fachwelt war entsetzt über den Rechtsbruch, die Medien feierten den Beginn einer neuen Apothekenfreiheit (alte Zöpfe werden endlich abgeschnitten) und billige Pillenpreise, die Kunden stürmten die Apotheke, Däinghaus wurde als Visionär gefeiert und Hecken als Robin Hood von der Saar und Apothekerschreck.
In seinen Pressemitteilungen sprach Hecken von einem "Glücksfall", dass der "seriöse Internethändler" DocMorris das Saarland als Standort gewählt hatte, zumal das Unternehmen noch ein Versandhandelszentrum in Saarbrücken errichten wolle und in den kommenden Jahren 300 qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Allererste Wahl dürfte Saarbrücken für DocMorris allerdings nicht gewesen sein, denn die Niederländer hatten zuvor bereits in anderen Bundesländern angefragt, aber von dort keine Bereitschaft signalisiert bekommen, den rechtswidrigen Deal mitzumachen.
...löste Proteststürme und Klagewellen aus Heckens Rechtsbruch löste eine Kaskade von Klagen auf verschiedenen Ebenen seitens der Apotheker aus. Rund 50 Strafanzeigen seien gegen ihn erhoben worden, brüstete sich Hecken, die allerdings von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Saarbrücken innerhalb von kaum mehr als 24 Stunden abgeschmettert wurden (Vorgesetzter dieser Staatsanwälte ist der Justizminister!).
Die ABDA hatte beim Verwaltungsgericht des Saarlandes in Saarlouis eine Klage mit mehreren Klägern anhängig gemacht, um allen prozessualen Eventualitäten vorzubeugen.
Kläger sind der Deutsche Apothekerverband, die Apothekerkammer des Saarlandes und zwei saarländische Apotheker und eine Apothekerin. Neben der Klage in der Hauptsache ist Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz gestellt worden mit einer unterschiedlichen Art von Anträgen.
Massiven Protest artikulierten die Saarbrücker Pharmazieräte. Sie teilten dem Justizminister mit, dass sie es für unzumutbar hielten, "im Auftrag des Ministeriums auf der Einhaltung von Gesetzen zu bestehen, die offensichtlich nicht für alle gelten sollen". Und weiter: "Aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten lassen wir unsere Tätigkeit ruhen, bis diese Widersprüche ausgeräumt sind." Der Minister reagierte darauf mit Androhung von Disziplinarmaßnahmen und 500 Euro Bußgeld.
Die erste gerichtliche Entscheidung im Fall DocMorris/Hecken fiel am 9. August. Das Landgericht Saarbrücken wies den Eilantrag einer Saarbrücker Apothekerin auf Schließung der Saarbrücker DocMorris-Filiale ab. Dieses Eilverfahren sollte die Nichtigkeit der Erteilung der Betriebserlaubnis feststellen, was im Rahmen eines Eilantrags allerdings eine sehr hohe Hürde war. Die Filiale konnte somit weiterhin geöffnet bleiben.
Die Werbeshow Am gleichen Tag hatte Minister Hecken zu einer viel beachteten Pressekonferenz – sie glich einer Art Werbeshow für DocMorris und Däinghaus, der neben Hecken auf dem Podium saß – in die Vertretung des Saarlandes nach Berlin eingeladen, um sich mit diesem ersten juristischen Erfolg zu brüsten, das Gutachten des Europarechtlers Rudolf Streinz, auf das er seine Entscheidung stützte, vorzustellen und sich für seinen Rechtsbruch zu rechtfertigen. Und er sagte, worum es ihm eigentlich ging: "Es geht doch nicht um diese pisselige Apotheke..., in letzter Konsequenz werden Apothekenketten entstehen."
Die Gegenthesen Einen Tag vor der Verkündung dieser Entscheidung stellte die Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart ein Gutachten der Gesundheitsrecht-Experten Professor Dr. Elmar J. Mand und Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling vor, die sich kritisch mit der These auseinandersetzten, dass das geltende Fremd- und Mehrbesitzverbot in Deutschland dem europäischen Niederlassungsrecht widerspreche. Sie kommen zu dem Schluss, dass "das Fremd- und Vielbesitzverbot ein angemessenes Mittel des präventiven Schutzes der Patienten und Verbraucher vor den Gefahren einer grenzenlosen Kommerzialisierung und Konzernierung des Gesundheitswesens" ist. Die damit verbundenen Regularien sind, so Dettling, europarechtlich durch geschriebene Rechtfertigungsgründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs legitimiert.
Freunde und Feinde Resolutionen mehrerer Apothekerkammern und -verbände, die auf den offensichtlichen Rechtsbruch hinwiesen, folgten.
Während das Bundesgesundheitsministerium die Proteste der Apotheker nur lapidar zur Kenntnis nahm und formell den Eingang der Resolutionen bestätigte, gab es auch einige Politiker, die Hecken kontra gaben. Die Stuttgarter CDU-Sozialministerin Monika Stolz beispielsweise ließ wissen, dass sie einen Verdrängungswettbewerb zu Lasten ländlicher Regionen fürchtet. Bei einer Liberalisierung würden sich Unternehmen auf Ballungsräume konzentrieren. Auch die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Dr. Gitta Trauernicht (SPD) und der bayerische Gesundheitsminister Dr. Werner Schnappauf stellten sich auf die Seite der Apotheker, während die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, die durch Hecken angestoßene Entwicklung an der Saar begrüßte: Mehr Wettbewerb ermögliche es den Versicherten und besonders chronisch Kranken, Geld zu sparen. Für Liberalisierung sprachen sich auch die Grünen aus. Deren Chef, Reinhard Bütikofer, tönte, die "Apothekerprivilegien" kosteten die Patienten jährlich bis zu zwei Milliarden Euro. Und die Grünen legten nach. Sie brachten im Zuge der anstehenden Gesundheitsreform einen Antrag ein, das Fremd- und Mehrbesitzverbot für Apotheken aufzuheben. Die "kleinteilige Struktur des Apothekenmarktes" lasse einen effizienz- und effektivitätssteigernden Wettbewerb zwischen den Apotheken nicht zu.
Vorerst ist Schluss Der Durchbruch für den Rechtsstaat erfolgte am 13. September. Das Verwaltungsgericht Saar-louis verpflichtete das Saarländische Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales die DocMorris-Filiale in Saarbrücken schließen zu lassen. Diese Entscheidung ist zwar noch kein endgültiger Sieg für das bestehende Apothekensystem, aber der selbstherrliche saarländische Justizminister erhielt erstmal eine schallende Ohrfeige vom Gericht. Die Filialleiterin musste ihre Apotheke schließen.
Die Richter hatten entschieden, ein "sachfremder Einfluss von Kapitalanlegern auf die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung" müsse laut Apothekengesetz verhindert werden. Daran müsse "im Interesse der Volksgesundheit" festgehalten werden, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) geklärt habe, ob die europarechtliche Niederlassungsfreiheit mit dem im deutschen Recht vorgeschriebenen Fremdbesitzverbot vereinbar ist.
Ralf Däinghaus kündigte sogleich "alle rechtlichen Mittel" gegen den Beschluss an. "Dies ist eine einsame Entscheidung eines Verwaltungsgerichts", sagte der DocMorris-Chef am 13. September und schob am nächsten Tag eine Pressemeldung hinterher, in der er auf sein auf Hochtouren laufendes Geschäft ("Umsatzsprung seit Juni um 30 Prozent") mit der niederländischen Versandapotheke hinwies.Landesgesundheitsminister Josef Hecken ließ verkünden, "unverzüglich Beschwerde" gegen die Entscheidung einzulegen. Er kritisierte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts als "fehlerhaft". Das Gericht habe allein eine Interessenabwägung vorgenommen und sich in seiner Entscheidung "über weite Teile mit der Argumentation des Ministeriums überhaupt nicht auseinandergesetzt". Das werden die Richter gerne gelesen haben.
Der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Heinz-Günter Wolf, wertete die Entscheidung des Gerichts hingegen als "wichtigen Etappensieg" für die Apotheker und einen Sieg für die Rechtsstaatlichkeit.
Gerade mal knapp zwölf Wochen war sie geöffnet, die Filiale der niederländischen Kapitalgesellschaft DocMorris B.V. in Saarbrücken. Jetzt ordnete das Verwaltungsgericht Saarlouis in einem Eilverfahren die Schließung an – ob für immer, das steht noch aus. Wir stellen die bisherige Entwicklung dieses Versuchs, das deutsche Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken niederzureißen, in einer Übersicht zusammen und fragten in Interviews bei Betroffenen nach: bei der Kammer, bei einer klageführenden Apothekerin und bei der DocMorris-Filialleiterin.
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