DAZ Feuilleton

Glossay: 2006 – mehr als ein Mozartjahr

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen werden nach einem Jahr, das für Sie durch mediale Hetzkampagnen geprägt war, nur wenige Mußestunden finden, eines allzu früh verstorbenen Lieblings der Götter zu gedenken dessen Musik durch die multimediale Maschinerie allmählich zu Ohrwürmern verkommt. Sollten sie es dennoch tun, dann im Bewusstsein, dass dieses Jahr nicht nur das Jubiläumsjahr von Wolfgang Amadeus ist...

2006 ist auch ein Jubiläumsjahr für (mindestens) acht weitere Geburtstagskinder, welche nach Mozart die Welt verändert haben, und für (mindestens) sechzehn Berühmtheiten, deren Tod sich zum 50., 100., 150. oder 200. Mal jährt. Dabei beschränken wir uns auf die Bereiche Literatur, Bildende Kunst, Musik und Wissenschaft (inklusive Medizin); Näheres entnehmen Sie der in Tabelle 1 fixierten Gedenktafel.

Aus der Chronologie der Lebensdaten dieser 25 Persönlichkeiten geht hervor, dass W. A. Mozart bereits mit 35 Jahren das Zeitliche segnen musste, während der irische Spötter G. B. Shaw mit 94 Jahren ein gut zweieinhalb Mal so hohes Lebensalter erreicht hat und Albert Hofmann sich heute mit 100 Jahren noch guter Gesundheit erfreut (Tab. 2, Abb. 1).

Extreme, so möchte man meinen! Doch es geht noch extremer: Mozarts Kollege Giovanni Battista Pergolesi musste schon mit 26 Jahren den Notengriffel aus der Hand legen, während Shaws Zunftgenosse und Hofmanns Freund Ernst Jünger erst mit 102 Jahren in geistiger Frische den Deckel seines Schreibpultes geschlossen hat. Nach der aktuellen Statistik zur Lebenserwartung hätte Mme Irène Joliot-Curie, die wie ihre Eltern mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Tochter von Marie und Pierre Curie, etwa 20 Jahre länger zu leben und Ernst Jünger etwa 30 Jahre früher zu sterben.

Der Tabelle 1 ist auch zu entnehmen, dass Josephine Baker, die unbestritten etwas mit Musik zu tun hatte, im selben Jahre geboren wurde wie der Komponist Schostakowitsch (1906). Beide sind auch im selben Jahr (1975) kurz vor Vollendung ihres 69. Lebensjahres gestorben. Ob er für sie etwas komponiert hat, ist nicht bekannt, aber auch nicht völlig abwegig, denn Arthur Honegger und Darius Milhaud taten es mit Begeisterung. Mozart hätte bestimmt auch mit Vergnügen für Josephine Baker komponiert!

Aus der Tabelle 1 geht ferner hervor, dass vor 50 Jahren (d.h. im Jahre 1956) mehr "große Geister" gestorben sind als vor 100, 150 und 200 Jahren zusammen, aber keine geboren wurden (soweit mir bekannt ist). Aus dieser Feststellung kann mit einiger Gewissheit der Untergang des Abendlandes abgeleitet werden.

Mit den besten Wünschen für das Jubiläumsjahr 2006

Ihr H. J. Roth

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