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- DAZ 41/2006
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Die Seite 3
Der Schuss ging nach hinten los. Bündnis 90/Die Grünen haben mit ihrem Antrag, der Bundestag solle das apothekenrechtliche Fremd- und Mehrbesitzverbot aufheben, eine volle Bauchlandung hingelegt. Ihre Argumente waren kraftlos. Wer da meinte (hoffte), das Fremdbesitzverbot werde sicher fallen, muss erkennen: Nichts ist entschieden – juristisch nicht, und auch politisch gibt es Gegenwind. Bemerkenswert einhellig und überzeugend haben Redner von CDU/CSU, SPD, aber auch von FDP und Linksfraktion den Antrag der Grünen abblitzen lassen, seine flachatmigen Begründungen entzaubert.
Kompliment dem Parlament: Es hat sich nicht irritieren lassen vom Populismus der veröffentlichten Meinung; es hat mit großem Ernst genauer hingeschaut, als mancher von uns zu hoffen wagte (siehe unsere Dokumentation auf Seite 68).
Dabei spielte sicher eine Rolle (und war wohl kaum zufällig), wen die Fraktionsführungen in die Debatte schickten. Für die SPD kamen weder Andrea Nahles noch Karlchen Überall Lauterbach zum Zug, der Professor mit der Fliege, dessen ubiquitäre Medienpräsenz umgekehrt proportional zu seinem innerparteilichen Einfluss ist. Die Sozialdemokraten schickten mit Dr. Marlies Volkmer und Dr. Margrit Spielmann zwei besonnene Parlamentarierinnen ins Rennen, die erkannt haben, dass das Fremdbesitzverbot gelebter Verbraucherschutz ist*.
Dr. Wolf Bauer, selbst Apotheker, sprach für die CDU/CSU – und was er sagte, waren schallende Ohrfeigen für die Freunde des außer Rand und Band geratenen saarländischen Justiz- und Gesundheitsministers Hecken, der wider besseres Wissen weiterhin verbreitet, ihm habe das Landgericht Saarbrücken bescheinigt, die Erteilung einer Apothekenbetriebserlaubnis für eine niederländische Kapitalgesellschaft sei "rechtmäßig" gewesen (das Gericht hatte nur festgestellt, die Erlaubnis sei nicht als von vornherein als nichtig anzusehen – juristisch ist das ein wesentlicher Unterschied, ein Justizminister weiß das).
Für Daniel Bahr von der FDP erklärt sich das Fremdbesitzverbot aus der heilberuflichen Komponente des Apothekerberufs. Der Apotheker sei zwar auch Kaufmann – aber in einem ganz besonderen Markt, der sich nicht im freien Spiel von Angebot und Nachfrage selbst regulieren könne.
Wie Bahr steuerte auch Frank Spieth für die Linke differenzierte Argumente bei. Die Grünen, die einstmals auf lokalen Zusammenhalt, auf dezentrale Netze gesetzt hatten, machten mit ihrer Forderung, das Fremdbesitzverbot aufzuheben, einen "schweren Denkfehler". Die Rohgewinne von Großhandel und Apotheken seien zusammengenommen zwischen 1995 (5 Mrd. Euro) und 2005 (4.94 Mrd. Euro) praktisch gleich geblieben – obwohl sich die Ausgaben für Arzneimittel im gleichen Zeitraum von 8,94 auf 15,44 Mrd. Euro erhöht hätten. Das zeige, dass nicht die Apotheken die Kostentreiber seien. Dass man von den knapp 5 Mrd. Rohgewinn für Großhandel und Apotheken durch Aufhebung des Fremdbesitzverbotes 2 Mrd. Euro einsparen könne, sei "irreal" – so Spieth. Wie Recht er hat!
Solche Einsicht ist allerdings noch nicht überall angekommen. Sonst wäre unverständlich, was man aus den Entwürfen zum "GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz" herauslesen muss: dass nämlich aus den 3.9 Mrd. Euro Rohertrag, den sich die Apotheken 2005 noch erarbeiteten (2006 wird die Zahl durch die Rabattverbote des AVWG niedriger liegen), eine halbe, eine oder gar 1,5 Milliarden Euro herauszupressen seien. Die Treuhand Hannover hat durchgerechnet, was das (nach Berücksichtigung der Mehrwertsteuereffekte) bedeutet: Auf die Durchschnittsapotheke kämen Rohertragsverluste in Höhe von 20.000, 40.000 oder 60.000 Euro zu, die – ohne Kosten- und Qualitätsabbau – voll auf den Ertrag durchschlagen. Der typischen Apotheke würden damit 1/4 bis 3/4 ihres 2005er Ertrages vor Steuer fehlen. Das ist – gleichgültig ob 1/4 oder 3/4 fehlen – jenseits von Gut und Böse.
Es wird nicht einfach sein, dies der Politik klar zu machen. Reichen gute Argumente? Die Bundestagsdebatte zum Fremdbesitzverbot könnte Hoffnungen nähren. Aber Vorsicht: Insbesondere wenn sich die Politik unter künstlichen Zeitdruck setzt, verpuffen Argumente häufig. Nur so kann sich die Koalition leisten, was sie offensichtlich vorhat: obwohl viele versicherungsfremde Leistungen weiterhin von der GKV zu finanzieren sind, entzieht man ihr kurzerhand die dafür eingeführten Zuschüsse aus der Tabaksteuer; gleichzeitig verteuert man die Arzneimittelausgaben der GKV durch die Mehrwertsteuererhöhung um eine knappe Milliarde Euro. So werden Finanzierungslücken erzeugt, die scheinbar alles rechtfertigen: irritierende Privilegien für Kohls und Mönters ebenso wie brutale Belastungen für die Vor-Ort-Apotheken, die in einen Preiswettbewerb gejagt werden sollen, von denen aber gleichwohl erwartet wird, dass sie überall in Deutschland die Last der schnellen und sicheren Versorgung ohne Qualitätseinschränkungen weiter schultern. Die Politik muss wissen: das geht nicht.
* Vgl. Dettling/Mand: Fremdbesitzverbote und präventiver Verbraucherschutz, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2005
Klaus G. Brauer
Kompliment dem Parlament
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