Arzneimittel und Therapie

Interview: Stammzelltherapie nur bei großen Infarkten!

In einer der letzten Ausgaben des New England Journal of Medicine weckten die Frankfurter Forscher Prof. Dr. Stefanie Dimmeler und Prof. Dr. Andreas Zeiher Hoffnungen, dass mit der intrakoronaren Injektion von isolierten autologen Knochenmarkstammzellen die Prognose von Patienten mit akutem Myokardinfarkt verbessert werden kann. Prof. Dr. Georg Kojda, Düsseldorf, hat sich mit den Autoren über die Hintergründe dieser Studie unterhalten.

Kojda:

Professor Dimmeler, Professor Zeiher, Ihren klinischen Studien sind eine Reihe wichtiger und international anerkannter experimenteller Untersuchungen vorausgegangen. Was waren zusammengefasst die wesentlichen Fragestellungen und Ergebnisse dieser Experimente?

Dimmeler, Zeiher:

Historisch gesehen basieren die ersten Ansätze zur Zelltherapie auf Untersuchungen, die zeigen konnten dass eine Infusion von Vorläuferzellen durch Neubildung von Gefäßen die Blutversorgung von ischämischen Geweben verbessern kann. Weitere Studien untersuchten dann die Fähigkeit zur Differenzierung von Stammzellen aus dem Knochenmark in Herzmuskelzellen. Auf diesen, allerdings mittlerweile umstrittenen Befunden, basiert die Hoffnung durch Stammzellen eine Regeneration, das heißt, eine Erneuerung von Herzmuskelgewebe zu bewirken.

Kojda:

Trotz aller Fortschritte der Kardiologie der letzten 30 Jahre bleibt für viele Herzinfarktpatienten selbst die beste medizinische Therapie palliativ, denn infolge des Infarktes entwickelt sich häufig eine dauerhaft eingeschränkte Herzfunktion mit drastischen Folgen wie deutlich verminderte Lebenserwartung bei gleichzeitig eingeschränkter Lebensqualität. Wie verändert sich kurzgefasst die Biologie der Herzfunktion bei diesen Patienten?

Dimmeler, Zeiher:

Das bei einem Herzinfarkt zugrunde gegangene Herzmuskelgewebe wird dauerhaft durch Narbengewebe ersetzt. Dieses Narbengewebe trägt nicht mehr zur Pumpfunktion des Herzens bei. Dadurch werden die nicht-infarzierten Areale des Herzmuskels dauerhaft überbelastet als Kompensationsmechanismus zur Aufrechterhaltung der Pumpfunktion des Herzens. Beides trägt dazu bei, dass das Herz sich insgesamt vergrößert, die Infarktnarbe sich weiter ausdehnt und die durch die Überbelastung hypertrophierten Wandanteile insbesondere in ihrer diastolischen Relaxationsfunktion schlechter werden, was zusätzlich die Füllung des Herzens beeinträchtigt. Dieser so genannte "Remodeling-Prozess" ist das pathobiologische Korrelat der Postinfarkt-Herzinsuffizienz. Ein derartiges Krankheitsbild geht mit einer jährlichen Mortalitätsrate von ca. 10 bis 13% einher. Die überlebenden Patienten sind erheblich beeinträchtigt durch eine deutlich reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit, die sich durch Kurzatmigkeit schon bei geringster Belastung, wie z. B. Treppensteigen, sowie nächtlichen Erstickungsanfällen äußert.

Kojda:

Sie haben für Ihre klinischen Studien eine eigenständig evaluierte Methode der Isolation bestimmter Vorläuferzellen aus dem Knochenmark verwendet. Um welche Zellen handelt es sich und welche Gründe sprachen für ein derartiges Verfahren?

Dimmeler, Zeiher:

Wir haben für unsere Untersuchungen vorwiegend Zellen aus dem Knochenmark eingesetzt. Der Grund liegt zum einen in experimentellen Untersuchungen, in denen wir und andere eine Verbesserung der Durchblutung und Herzfunktion nach Infusion der Zellen zeigen konnten. Zum anderen war das Risiko, diese Zellen einzusetzen relativ niedrig, da jahrzehntelange Erfahrungen aus der Hämatologie vorliegen, die zeigen, dass eine Transplantation dieser Zellen sicher ist.

Kojda:

Ihre klinische Studie war eine Multicenter-Studie, bei welcher das Knochenmark der Patienten zur Aufbereitung in Ihr Zentrallabor und danach wieder an die beteiligte Klinik transportiert werden mussten. Halten Sie es für möglich, dass die günstigen Ergebnisse Ihrer Studie ohne die Notwenigkeit dieses Transportes noch besser ausgefallen wären?

Dimmeler, Zeiher:

Nein, wir haben die Bedingungen unter denen der Transport durchgeführt wird experimentell getestet und können daher ausschließen, dass der Transport die Zellen beeinträchtigt. Allerdings mussten wir einige Experimente machen, um optimale Nährlösungen und Bedingungen zu finden.

Kojda:

Stammzellen sind omnipotente Zellen, die sich möglicherweise auch in negativer Weise entwickeln könnten. So wird die Beteiligung von Stammzellen an der Entwicklung von Tumorerkrankungen weltweit erforscht und diskutiert. Sehen Sie darin eine mögliche Gefahr der autologen Stammzelltherapie zur Behandlung des Myokardinfarktes?

Dimmeler, Zeiher:

Das Risiko einer Tumorentwicklung halte ich nach dem aktuellen Wissenstand für sehr gering, da frisch aufgereinigte Knochenmarkstammzellen seit Jahrzehnten verwendet werden. Werden allerdings neu entdeckte Zellpopulationen benutzt, insbesondere wenn diese im Labor vermehrt werden, sollten tierexperimentelle Untersuchungen stattfinden, um das Risiko auszuschließen.

Kojda:

Die Verwendung autologer Stammzellen setzt eine Knochenmarkpunktion mit Aspiration von Knochenmark sowie eine zusätzliche arterielle Punktion für die konorare Injektion voraus. Wie beurteilen Sie die Sicherheit dieser auch für viele diagnostische Zwecke eingesetzten Verfahren im Hinblick auf Nebenwirkungen wie z.B. Infektionsgefahr oder Traumata?

Dimmeler, Zeiher:

Wir konnten bei den mehr als 500 behandelten Patienten keine Nebenwirkungen der Knochenmarkpunktion feststellen.

Kojda:

Nicht jeder Herzinfarktpatient entwickelt eine Herzinsuffizienz. In Ihre Studie sind nur Patienten eingeschlossen worden, die nach dem Infarkt eine schlechte Herzfunktion mit einer Ejektionsfraktion < 45% (normal ca. 70%) aufwiesen. Ist dieses Verfahren Ihrer Einschätzung nach eine mögliche Richtlinie für den Einsatz der autologen Stammzelltherapie?

Dimmeler, Zeiher:

In der Tat werden wir in zukünftigen Untersuchungen nur Patienten mit sehr großem Herzinfarkt behandeln. Bereits in unseren ersten Pilotstudien hatten wir diese Befunde und da diese nun in der großen Multicenter-Studie bestätigt wurden, gehen wir davon aus, dass Patienten mit kleinem Herzinfarkt unter der aktuellen Behandlung bereits schon kaum ein Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffzienz aufweisen und daher auch keine zusätzliche Behandlung mit Stammzellen benötigen.

Kojda:

Ihre Studie zeigt eindrucksvoll den Nutzen eines Therapieverfahrens, welches die in vielen Fällen offensichtlich mangelhaften endogenen Reparaturmechanismen nachhaltig unterstützen kann. Eine ebenfalls im N. Engl. J. Med. publizierte Untersuchung der kardiologischen Arbeitsgruppe um Nickenig aus dem Frühjahr dieses Jahres zeigte, dass Patienten mit niedrigerer Anzahl zirkulierenden Stammzellen vom Typ Endothelprogenitorzellen eine schlechtere Prognose aufweisen, als Patienten mit einer höheren Zahl zirkulierender Endothelprogenitorzellen. Halten Sie es für sinnvoll, neben der Ejektionsfraktion auch die Anzahl zirkulierender Progenitorzellen als Maß für die Behandlungsbedürftigkeit von Herzinfarktpatienten heranzuziehen?

Dimmeler, Zeiher:

Das ist sicher ein interessanter und wissenschaftlich spannender Ansatz. Es fehlen allerdings im Moment die technischen Voraussetzungen diese in sehr geringen Mengen vorkommenden Zellen in der klinischen Routine sicher und zuverlässig und vergleichbar zu messen.

Kojda:

In beiden Gruppen Ihrer Multicenter-Studie sank der Anteil der eingenommen Arzneimittel innerhalb des viermonatigen Beobachtungszeitraumes um bis zu 17%. Dies betraf vor allem Clopidogrel (17 bis18%) aber auch Statine (5 bis 9%). Schätzen Sie diesen Umstand als Complianceproblem ein bzw. welche Gründe sehen Sie hierfür?

Dimmeler, Zeiher:

Die Reduktion der Clopidogrel-Therapie nach vier Monaten begründet sich aus der Tatsache, dass bei Verwendung von nicht-medikamenten-freisetzenden Stents nach der Stent-Implantation eine kombinierte Plättchenaggregationshemmung mit Aspirin und Clopidogrel im Regelfall nur für drei Monate zu erfolgen hat. Aus diesem Grunde ist bei einem Teil der Patienten zum Zeitpunkt der Kontrolluntersuchung die Clopidogrel-Behandlung bereits beendet worden. Der geringfügigere Gang der Statin-Therapie gründet sich auf den Ersatz der Statine durch andere Lipid-senkende Medikamente, wie z. B. Ezetrol, die bei einem Teil unserer Patienten eingesetzt wurden.

Kojda:

Wie weit sind Ihre Behandlungsansätze der Zeit voraus, das heißt welche weiteren Studien halten Sie für notwendig und wie lange wird es nach Ihrer Einschätzung dauern, das Therapieverfahren soweit zu evaluieren, dass ein routinemäßiger Einsatz möglich ist?

Dimmeler, Zeiher:

Im Moment planen wir eine größere europäische "Outcome" Studie, die beweisen soll, dass tatsächlich auch klinische Endpunkte wie Tod, Myokardinfarkt und die Entwicklung von Herzinsuffizienz durch die Zelltherapie deutlich verbessert werden. Unsere aktuelle Studie zeigt zwar bereits einen signifikanten Unterschied, aber dieser müsste eben in einem größeren Kollektiv bestätigt werden.

Kojda:

Herz-Kreislauf-Patienten frequentieren wegen ihres Bedarfs an Evidenz-basierter Pharmakotherapie häufig Apotheken. Welchen Stellenwert messen Sie dem Wert einer guten pharmazeutischen Betreuung solcher Patienten im Sinne der Verbesserung der Compliance und der Einhaltung eines gesunden Lebensstils (Rauchstopp, ausgewogene Ernährung, Bewegung) bei, die die ärztliche Betreuung unterstützt und ergänzt?

Dimmeler, Zeiher:

Eine optimale Pharmakotherapie und die Einhaltung eines gesunden Lebensstils spielen sicher eine große Rolle! Auch eine Stammzelltherapie ersetzt nicht die Einnahme von protektiven Medikamenten wie zum Beispiel Lipidsenker. Zudem haben manche Medikamente, wie zum Beispiel Statine oder ACE-Inhibitoren, nachgewiesenermaßen einen Einfluss auf die Funktion von kardioprotektiven Vorläuferzellen. Damit können möglicherweise die körpereigenen Reparatursysteme unterstützt werden.

Kojda:

Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Endothelprogenitorzellen

Unter Endothelprogenitorzellen wird eine Gruppe von hämatopoietischen Stammzellen verstanden, die sich zu vaskulären Endothelzellen differenzieren. Ihre Identifizierung erfolgt durch Nachweis von spezifischen Oberflächenproteinen mittels floureszenzmarkierter Antikörper. Sie zeichnen sich unter anderem durch eine hohe antioxidative Kapazität aus und dienen auch als vaskulärer Reparaturmechanismus. Endothelprogenitorzellen fördern die Angiogenese (Neubildung von Blutgefäßen) und tragen damit zur Verbesserung der Sauerstoffversorgung von Geweben bei.

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