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Apotheke und Krankenhaus
Klaus Grimm Umstrittene Secondhand-Arzneimittel (Editor
Arzneimittelmüllberge hinterlassen ungutes Gefühl Arzneimüll war schon immer etwas Besonderes, vor allem, weil dieser Müll oft das Verfallsdatum noch gar nicht erreicht hat. Seit Jahren glauben die Menschen, es handele sich um Sondermüll. Mit Worten des Bedauerns, aus welchen Gründen auch immer er entstanden sei, wird er vom Restmüll abgesondert und zur Entsorgung in die Apotheke gebracht. Die auf diese Weise aus allen Ecken der Republik zusammengetragenen Müllberge hinterlassen auch beim Laien ein ungutes Gefühl. Hätte die teure Entsorgung von teilweise noch wertvollen Arzneimitteln nicht vermieden werden können? Warum könnten wir die nicht mehr benötigten, aber noch nicht verfallenen Arzneimittel, nicht einer erneuten Verwendung zuführen? Beispiele gibt es ja genügend, aber sind sie auch als Vorbilder geeignet?
Odem für die Dritte Welt? In der Vergangenheit haben engagierte und eifrige Helfer Altarzneimittel für die Dritte Welt, besonders im Gefolge von Naturkatastrophen oder Kriegen gesammelt. Erste Kritik kommt immer dann auf, sobald der Begriff "Altarzneimittel" allzu wörtlich genommen wird, nämlich dann, wenn verfallene, aber "bestimmt noch gute" Arzneimittel den hilfsbedürftigen Empfängern geschickt werden. Selten nur werden sich die Helfer aber auch der Folgen eines so gutgemeinten Aktionismus bewusst: Eine Flugzeugladung mit vielen Tausend, quer durch den Arzneimittelmarkt gesammelter und zum größten Teil angebrochener Packungen zu bearbeiten, das entpuppt sich als gigantische und zeitaufwendige Herausforderung. Die Vorrausetzung für wirksame Arzneimitteltherapien liegt in der detaillierten Sortierung, Katalogisierung und Zusammenführung der Medikamente. In den oben genannten Fällen wird das meistens zusätzlich durch Bezeichnungen in einer fremden Sprache, manchmal sogar mit unbekannten Schriftzeichen, erschwert. Kommen klimatische und unzureichende Lagerbedingungen hinzu, so wird aus alten Medikamenten sehr schnell gefährlicher Müll. Fachleute haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Wirkstoffgehalt solcher Präparate nicht einzuschätzen ist und toxische Abbauprodukte die Wirkung unkontrollierbar werden lassen. Für schwerkranke Menschen entsteht möglicherweise ein größerer Schaden als Nutzen, Todesfolgen sind nicht ausgeschlossen.
Verletzte Würde Eine weitere Vorrausetzung des sinnvollen Einsatzes dieser gesammelten Arzneimittel liegt in der Bereitschaft der Empfänger, solche Produkte auch anzunehmen. Zu Zeiten der Jugoslawien- und Russlandhilfe wollte man dort solche Arzneimittellieferungen nicht akzeptieren, ihrer Meinung nach mochten diese Lieferungen für Länder der Dritten Welt nützlich sein, man selbst zähle sich aber nicht mehr zu den Entwicklungsländern. Die Beschenkten fühlten sich in ihrer Würde verletzt und lehnten diese Art von Hilfe strikt ab.
Spielball der Gesundheitsexperten Was hat das alles mit der Arzneimittelversorgung in unserem Land zu tun? Wir Apotheker müssen fast täglich schmerzlich erfahren, wie Arzneimittel zum Spielball vieler Gesundheitsexperten werden. Medienwirksam versucht man am Beispiel der Arzneien mit immer neuen Patentrezepten der Kostenexplosion im Gesundheitswesen entgegenzutreten. Die Vernichtung von zu Lasten der Allgemeinheit verordneter, aber nicht eingesetzter Arzneimittel, ist in der Tat sehr bedauerlich, bei mangelnder Compliance des Patienten sogar ein richtiges Ärgernis. Hier liegt seit Jahren der Ansatz begründet, über optimale Packungsgrößen nachzudenken. Die Befürworter der patientenindividuellen Verblisterung von Arzneimitteln verweisen gerade darauf, dass diese Versorgungsform Arzneimittelmüll nahezu ausschließt.
Der Antrag Auf dem Apothekertag in München wurde von Herrn Professor Dr. Gustav Drasch und Kollegen der Antrag gestellt, die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker möge den Gesetzgeber auffordern, die bisherige Regelung beizubehalten, dass angebrochene Packungen von Arzneimitteln nicht für andere Patienten verwendet werden dürfen. Als erste Begründung wurde angeführt, dass Arzneimittel, die unter nicht durchgängig bekannten Bedingungen gelagert waren, ihren ursprünglich vom Hersteller garantierten Wirkstoffgehalt verloren haben könnten. Des weiteren könnten sich toxische Abbauprodukte gebildet haben. Der in dieser absoluten Form gestellte Antrag wurde angenommen, obwohl er ursprünglich mit der Überschrift "Verwendung von Altarzneimitteln in Pflegeheimen" unter anderen Vorzeichen eingebracht worden war.
Altarzneimittel und die Unterschichtendiskussion Allein die verschiedenen Begriffe und Formulierungen lassen die Bewertung und den Dissens der Beteiligten erkennen. Wer möchte als Patient schon gerne "Altarzneimittel" bekommen, auch die Wiederverwendung oder Zweitverwendung bzw. -verwertung eines Medikaments klingt stark nach "Secondhand-Ware" und ordnet sich somit schnell in die aktuelle Diskussion rund um die "Unterschicht" ein.
Der Apotheker also als Anwalt der Patienten, den die Sorge um die Wirksamkeit der Arzneimittel treibt oder doch eher als Kaufmann, besorgt um die Umsatzverluste der vielen nicht verwendeten Medikamente?
Kontrollierte Bedingungen in Krankenhäusern und Heimen Im Krankenhaus bekommen die Patienten seit Jahren stets ihre Arzneimittel aus "angebrochenen Packungen". Früher stammten diese aus ungeeigneten Großgebinden, oft ähnlich der Bonbongläser in alten Kolonialläden, heute dagegen aus stationsgerechten, kleineren Packungen, die wiederum aus Teilen einer großen Bündelung stammen. Der für das Krankenhaus verantwortliche Apotheker ist verpflichtet, die Lagerbedingungen der Arzneimittel auf den Stationen und Verbrauchsstellen zweimal jährlich zu überprüfen und gegebenenfalls Missstände abzustellen. Diese positive Erfahrung aus den Krankenhäusern diente als Vorbild für die Arzneimittelversorgung der Bewohner in Hospizen, Alten- und Pflegeheimen, die bekanntlich inzwischen –analog zu Krankenhäusern per Versorgungsvertrag mit einer Apotheke geregelt wurde.
In diesen Einrichtungen bekommt der Bewohner die Arzneimittel wie im Krankenhaus zu den Einnahmezeiten ans Bett bzw. ins Zimmer gebracht. Die Medikamente werden für die jeweiligen Einnahmezeiten vom Pflegepersonal bereitgestellt, die Präparate liegen in den Originalpackungen zentral im Schwesternzimmer. Der einzige Unterschied zum Krankenhaus liegt aus Gründen der verschiedenen Kostenträger in der Trennung der Präparate nach Bewohnern, denen die Arzneimittel gehören.
Schlechte Argumente gegen die Weiterverwendung... Wir Apotheker sind schlecht beraten, diese unter unserer Kontrolle gelagerten Arzneimittel im Falle des Therapiewechsels oder des Versterbens des Bewohners für eine weitere Verwendung abzulehnen, sofern das Verfalldatum noch nicht erreicht ist. In diesen Einrichtungen hat der Apotheker Sorge zu tragen, dass die Lagerbedingungen der Arzneimittel als geeignet befunden werden und somit auch durchgängig bekannt sind.
Eine weitere Begründung des Antrags auf dem Apothekertag lautete, dem Pflegepersonal würde die Möglichkeit des Missbrauchs von Arzneimitteln zur Ruhigstellung der Patienten erleichtert, wenn solche Präparate erneut zum Einsatz kämen. Auch diese Argumentation ist nicht schlüssig, das Vertrauen in das Pflegepersonal ist Vorraussetzung in allen Bereichen der Betreuung alter und kranker Menschen. Darüber hinaus kann der versorgende Apotheker mit einer Reichweitenanalyse für die Bewohner den ordnungsgemäßen Einsatz der Arzneimittel unterstützen und überwachen, falls dieses von der Heimleitung und dem Patienten gewünscht wird.
...aber große Zweifel an der Wirtschaftlichkeit Allerdings sind große Zweifel für die Wirtschaftlichkeit dieses Handelns angebracht. In den meisten Heimen (Hospize vielleicht ausgenommen) fallen weit weniger Arzneimittel an, als wir das aus dem niedergelassenen Bereich kennen. Für preiswerte Arzneimittel wäre möglicherweise ein Mehrfaches des Restwertes für die Dienstleistung notwendig, um einen kontrollierten Transfer von einem Bewohner zum anderen zu ermöglichen.
Differenziertes Fazit Der erneute Einsatz von Arzneimitteln, deren Lagerbedingungen nicht durchgängig bekannt gewesen sind, ist generell aus Gründen der Arzneimittelsicherheit abzulehnen. Arzneimittel, die in separaten Arzneimittelschränken solcher Einrichtungen lagern und per Versorgungsvertrag der Überwachung eines Apothekers unterliegen, können dagegen erneut anderen Patienten zugeführt werden. Hier gibt es auch keine Vorbehalte von Seiten der Patienten, da diese die Beschaffung und Bereitstellung der Arzneimittel dem Pflegepersonal übertragen haben. Ob die aufwendige Dienstleistung, die für eine weitere, kontrollierte Arzneimitteltherapie die Vorraussetzung darstellt, auch wirtschaftlich sinnvoll zu gestalten ist, diese Frage gilt es noch zu prüfen. Eine pauschale Ablehnung im Sinne des obengenannten Antrages ist nicht sachgerecht und hilft in der Sache nicht weiter. Im Gegenteil: Die Allgemeinheit und vor allem die Politik könnten zu Schlussfolgerungen gelangen, die der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der Apotheker nur schaden.
Arzneimittel sind zum Spielball der Gesundheitspolitik geworden. Medienwirksam wird versucht, mit immer neuen Patentrezepten der Kostenexplosion im Gesundheitswesen entgegenzutreten. Ein Beispiel: Die Wiederverwendung von Altarzneimitteln. Altarzneimittel, Wiederverwendung, Zweitverwertung - das alles klingt stark nach Secondhand-Ware, die niemand gerne möchte. Welche Position soll der Apotheker in dieser Diskussion einnehmen? Soll er als Anwalt der Patienten fungieren, den die Sorge um die Wirksamkeit der Arzneimittel treibt oder soll er sich um die vielen nicht verwendeten Medikamente sorgen?
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