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Fortbildung
Rheuma rechtzeitig erkennen und adäquat behandeln
Häufigste Erscheinungsformen Dr. med. Andreas Teipel aus Leverkusen, Facharzt für innere Medizin und Rheumatologie, beschrieb die Differentialdiagnostik der häufigsten rheumatischen Erkrankungen (Tab. 1). Wichtigstes Kriterium für eine persistierende erosive Form ist eine mindestens 30 Minuten dauernde Morgensteifigkeit, während bei der Arthrose bereits nach wenigen Minuten die Beschwerden verschwunden sind. Auch dem Apotheker kommt eine wichtige Bedeutung im Erkennen von Risikopatienten zu. Äußert ein Patient beim Händedruck Schmerzen oder kann er die Hand nicht ohne Schmerzen nach hinten drücken, so könnte ein Besuch bei einem Rheumatologen zur Abklärung sinnvoll sein.
Basistherapien Die vier Säulen der modernen Rheumatherapie sind
- Disease modifying anti-rheumatic drugs (kurz: DMARD) wie Methotrexat, Sulfasalazin, Chloroquin und Hydrochloroquin, Leflunomid sowie (heute selten genutzt) injizierbares Gold, Ciclosporin oder Azathioprin,
- NSAR und COX-2-Hemmer,
- Corticoide,
- TNF-α-Blocker und Rituximab.
Rund die Hälfte aller Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis wird mit Methotrexat behandelt. Die Wirkung tritt nach vier bis acht Wochen ein, das Wirkmaximum wird nach drei bis vier Monaten erreicht. Die zu Beginn auftretende Übelkeit lässt sich mit Metoclopramid behandeln. Um mögliche Veränderungen an der Leber rechtzeitig zu erkennen, sollten alle vier bis acht Wochen die Leberfunktionswerte überprüft werden.
Sulfasalazin und Leflunomid müssen langsam aufdosiert werden. Die optimale Wirkung tritt erst nach drei Monaten ein. Männliche Patienten sollten auf die Beeinträchtigung der Spermatogenese durch Sulfasalazin hingewiesen werden. Unter Leflunomid müssen Frauen auf ausreichenden Kontrazeptionsschutz achten. Außerdem können Blutdrucksteigerungen auftreten. Bei der Einnahme von Chloroquin und Hydrochloroquin treten als Nebenwirkungen sehr häufig Hautunverträglichkeiten, Kopfschmerzen und Albträume sowie Unruhe auf.
NSAR und COX-2-Hemmer Der Internist und Rheumatologe Dr. med. Thomas Karger aus Köln machte deutlich, dass die antirheumatische Therapie nicht nur mehr Lebensqualität, sondern durch kardiovaskulären Schutz auch mehr Lebensjahre bringt. Denn die erhöhte COX-2-Aktivität fördert nicht nur Entzündungs–prozesse an den Gelenken, sondern schädigt auch das Endothel der Gefäße.
Dem wirken NSAR und COX-2-Hemmer entgegen. Wenn allerdings schon kardiovas–kuläre Erkrankungen vorliegen, was vor allem bei Patienten über 65 Jahren häufig der Fall ist, erhöhen NSAR und COX-2-Hemmer das Risiko und sollten laut Empfehlung von FDA und EMEA nicht gegeben werden. Zudem muss bei längerer NSAR-Einnahme – insbesondere bei Komedikation von Steroiden, ASS oder Vitamin-K-Antagonisten – mit gastrointestinalen Komplikationen gerechnet werden. Hier kann zusätzlich ein Gastroprotektivum gegeben werden.
Corticoide Für eine symptomatische Kurzzeittherapie mit 15 mg Corticoiden täglich sollten Prednisolon oder Methylprednisolon bevorzugt werden. Dexamethason gilt laut Dr. Karger heute als obsolet. Eine individuell eingestellte Langzeittherapie mit Dosen um die 7,5 mg verursacht normalerweise keine typischen Nebenwirkungen, doch sollten Blutdruck und Blutzuckerspiegel kontrolliert werden und auf die Entwicklung von Osteoporose, Katarakt oder Glaukom geachtet werden.
Remission ist das Ziel Über den Stellenwert von monoklonalen Antikörpern und Fusionsproteinen bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen berichtete PD Dr. med. Andrea Rubbert-Roth aus Köln. Die Biologicals sind die neueste Therapieoption bei der rheumatoiden Arthritis. Vor allem bei einer frühen Diagnose ist ihr Einsatz empfehlenswert, um die Gelenkzerstörung aufzuhalten, die innerhalb von zwei Jahren bei 90 Prozent der Patienten radiologisch nachweisbar ist. Weiteres Ziel der Behandlung ist eine Remission der Erkrankung, was unter anderem bedeutet, dass der Patient keine Gelenkschmerzen hat, seine morgendliche Steifigkeit höchstens 15 Minuten dauert und seine Arbeitsfähigkeit erhalten bleibt. In Deutschland sind rund 50 Prozent der Erkrankten nach fünf Jahren erwerbsunfähig. Zur Beurteilung der Remission existieren unterschiedliche Scores. Besonders häufig wird der "Disease Activity Score 28" DAS28 herangezogen. Er berücksichtigt
- die Anzahl der druckschmerzempfindlichen sowie der angeschwollenen Gelenke (insgesamt 28 Gelenke, keine Fußgelenke),
- die Blutsenkungsgeschwindigkeit und
- das Patientenurteil zum Krankheitsverlauf der letzten 100 Tage.
Die Klassifizierung des American College of Rheumatology (ACR) beruht auf dem Rückgang der Beschwerden:
- Gesamtbeurteilung der Krank–heitsaktivität durch den Arzt,
- Gesamtbeurteilung der Krank–heitsaktivität durch den Patienten,
- Bewertung der Schmerzen durch den Patienten,
- Beurteilung der Bewegungseinschränkung,
- Entzündungsparameter.
Rheumatherapie mit Biologicals Für die Therapie der rheumatoiden Arthritis stehen seit 1998 Biologicals wie die injizierbaren TNF-α-Blocker Infliximab (Remicade®), Etanercept (Enbrel®) und Adalimumab (Humira®) zur Verfügung. Etanercept wird über–wiegend allein eingesetzt, während Infliximab und Adalimumab mit Methotrexat oder anderen DMARD kombiniert werden. Da TNF-α ein zentraler Mediator des rheumatischen Entzündungsgeschehens ist, kann seine Hemmung zu einer Remission der rheumatoiden oder psoriatischen Arthritis führen.
TNF-α-Blocker werden empfohlen, wenn die Anwendung von NSAR und DMARD, insbesondere Methotrexat, nach insgesamt sechs Monaten den Krankheitsverlauf nicht gebessert hat. Gegenanzeigen sind Tuberkulose, schwere Infektionskrankheiten, mäßige bis schwere Herzinsuffizienz und multiple Sklerose. Unter TNF-α-Blockern steigt allerdings das Risiko für schwerwiegende Infektionserkrankungen.
Wenn die Therapie mit TNF-α-Blockern nicht anschlägt oder Unverträglichkeiten auftreten, kann der Arzt Rituximab (Mab–Thera®) verordnen. Es ist ein monoklonaler Antikörper des Antigens CD20 auf den B-Zellen des Immunsystems und hemmt u.a. die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine. Ein weiterer monoklonaler Antikörper – Abatacept – befindet sich in Phase III der klinischen Prüfung und soll nächstes Jahr zugelassen werden.
Ernährung: Auf die Fettsäuren achten Aus ökotrophologischer Sicht stellte Ulrike Gonder aus Hün–stetten dar, wie Nahrungsmittel und ihre Inhaltsstoffe, insbesondere mehrfach ungesättigte Fettsäuren, das rheumatoide Geschehen beeinflussen.
Die rheumatoide Arthritis zeichnet sich durch ein verschobenes Gleichgewicht der Prostaglandine und Leukotriene aus. Aus Omega-6-Fettsäuren, zu denen Arachidonsäure und Linolsäure zählen, entstehen die stark proinflammatorisch wirkenden Pro–staglandine der 2er-Serie, z. B. PGE2. Omega-3-Fettsäuren hingegen hemmen diesen Syntheseweg und werden selbst über die Eikosapentaensäure zu Prostaglandinen der 3er-Serie mit schwacher inflammatorischer Aktivität umgesetzt (Abb. 1). Bei normaler Mischkost beträgt die durchschnittliche tägliche Aufnahme an Arachidonsäure 200 bis 400 mg. Vegetarier hingegen nehmen nur 50 bis 80 mg Arachidonsäure pro Tag auf, eine Menge, die auch der Rheumapatient anstreben sollte (Tab. 2). Einen besonders hohen Gehalt an Arachidonsäure haben Schweineschmalz (1,7 g je 100 g) und Schweinefleisch (100–250 mg je 100 g).
Omega-3-Fettsäuren sind unter anderem α-Linolensäure (ALA), Eikosapentaensäure (EPA) und Dokosahexaensäure (DHA). ALA ist in pflanzlichen Ölen aus Raps, Leinsamen und Walnüssen zu finden, während EPA und DHA in fettreichen Fischen wie Makrele, Hering, Lachs, Sardinen und Thunfisch enthalten sind. Verschiedene Studien zeigen, dass eine regelmäßige Aufnahme von täglich etwa 3 g Omega-3-Fettsäuren über zwölf Wochen zu einer leichten Verbesserung der Symptome einer rheumatoiden Arthritis führen kann, wenn gleichzeitig die Zufuhr von Omega-6-Fettsäuren herabgesetzt wird. Eine noch höhere Verzehrsmenge von Omega-3-Fettsäuren zeigt kein besseres Wirkungsprofil.
Da eine Entzündung für den Organismus oxidativen Stress bedeutet, werden Rheumatikern Antioxidanzien empfohlen, insbesondere die Vitamine C und E, Carotinoide und Selen. Verschiedene Studien haben jedoch belegt, dass es keinen evidenten Zusammenhang zwischen der Versorgung mit Antioxidanzien und dem Verlauf der rheumatoiden Arthritis gibt.
Fasten bedingt nützlich Einigen Betroffenen kann ein proteinsubstituierendes Saft–fasten Erleichterung bringen. Allerdings sollte nur bei allgemein gutem Gesundheitszustand und über wenige Tage gefastet werden. Die Symptomlinderung hält nur kurze Zeit an. Eine Verlängerung des Effekts kann zum Teil durch eine lakto-vegetabile Diät erzielt werden.
Insgesamt, so Gonder, stellt eine Ernährungsumstellung allein keinen Ersatz für eine adäquate medikamentöse Therapie der rheumatoiden Arthritis dar. Doch könne man Rheumapatienten folgende Ernährungsempfehlung geben:
- viel fetten Fisch essen oder EPA supplementieren (z.B. 300 mg pro Tag),
- ALA-reiche Öle verwenden,
- weniger als 50 mg Omega-6-Fettsäuren am Tag aufnehmen (d.h.: maximal 2-mal Fleisch und 2 Eier pro Woche).
Patientenfreundliche Arzneimittelapplikation Durch die eingeschränkte Beweglichkeit der Hände haben Rheumapatienten mit zahlreichen Problemen bei der Anwendung von Arzneimitteln zu kämpfen. Prof. Dr. Jörg Breitkreutz aus Düsseldorf stellte die Besonderheiten der Applikation von Antirheumatika vor, deren Spektrum von Brause- und orodispersiblen Tabletten über schnell und modifiziert freisetzende Zubereitungen bis hin zu verschiedenen parenteralen Präparaten reicht. Einige Hersteller von Methotrexat und anderen DMARD blistern die Tabletten nicht, sondern bieten sie in Dosen an, die durch Zuhilfenahme eines Stiftes, der in eine Halterung des Deckels gelegt werden kann, geöffnet werden.
Zur parenteralen Anwendung gibt es einerseits Fertigspritzen, andererseits Lyophilisate, die in eine injizierbare Form überführt werden müssen. Einige der Fertigspritzen wie Lantarel® oder Humira® sind für diese Zielgruppe mit seitlichen Flügeln ausgestattet. Zusätzlich ist der Stempel der Spritze vergrößert. Damit erreicht man eine bessere Kraftübersetzung und Griffigkeit auch bei eingeschränkter Beweglichkeit. Seit wenigen Tagen ist diese patientenorientierte Zubereitung als Fertigspritze auch für Enbrel® zumindest für Erwachsene erhältlich. Für die Anwendung bei Kindern muss weiterhin das Lyophilisat unmittelbar vor der Anwendung in Lösung gebracht werden. Dafür wird das in einer Spritze befindliche Wasser für Injektionszwecke mit einer Kanüle durch das Septum in das Lyophilisatgefäß vorsichtig eingefüllt. Durch kreisende Bewegung soll der Lösungsprozess beschleunigt werden. Nach einigen Minuten hat sich das Lyophilisat dann komplett aufgelöst und die Lösung kann mit der Spritze aufgezogen werden. Nach Wechsel der Kanüle ist die Injektion möglich.
Die Biologicals werden sub–kutan injiziert. Der Einstichwinkel der Nadel muss bei 45° liegen, um sicher das Unterhautfettgewebe und nicht die obere Hautschicht oder das Muskelgewebe zu erreichen. Einige Hersteller bieten zur Erleichterung der richtigen Injektion für Patienten Injektionshilfe an, wie den SimpleJect®.
Die in Fertigspritzen erhältlichen Biologicals sind im Allgemeinen aus Stabilitätsgründen kühlkettenpflichtig, was auch bei der Abgabe an die Patienten beachtet werden muss. Die Hersteller bieten spezielle Kühl–taschen und Aggregate für ihre Produkte an.
Pen, Augentropfen und Asthmaspray Bei Pens, Asthmasprays und anderen Arzneiformen ist teilweise ein erheblicher Kraftaufwand zum Auslösen notwendig. Bei Augentropfen variiert dieser zwischen 3 N (Arufil® Augentropfen) und 26 N (Xalatan® 0,005% und Xalease®). Pfizer hat deshalb für seine Produkte eine spezielle Applikationshilfe entwickelt. Diese reduziert zwar nicht den Kraftaufwand, um einen Tropfen aus der Flasche zu drücken, aber ermöglicht ein ergonomischeres Auslösen insbesondere bei eingeschränkter Beweglichkeit, da kein punktgenauer Druck mehr notwendig ist. Die Entnahme von Augentropfen kann auch durch Opticare Arthro® der Internationalen Glaukom Gesellschaft in Großbritannien (www.glaucoma-association.com) oder eine einfache Wimpernzange, wie sie in den Kosmetikabteilungen erhältlich ist, erleichtert werden.
Zum Entblistern und Teilen von Tabletten, Ausdrücken von Tuben und Öffnen von Schraubverschlüssen sind inzwischen ebenfalls zahlreiche Produkte auf dem Markt, die (nicht nur) dem Rheumatiker den eigenständigen Umgang mit Arzneimitteln erleichtern.
Lutz Engelen, der Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, hob hervor, dass die große Teilnehmerzahl deutlich mache, dass Apotheker sich trotz der bevorstehenden gesetzlichen Änderungen und zu erwartenden wirtschaftlichen Einschnitte als Heilberufler verstehen. Das Wohlergehen der Patienten sei der Mittelpunkt des apothekerlichen Handelns. Er beurteilte das dm-Drogeriemarkt-Urteil als desaströs, stelle es doch grundsätzlich das Arzneimittel als Ware der besonderen Art und damit verbunden den gesamten Berufsstand in Frage. Dennoch machte er den Teilnehmern Mut, da nur die Apothekerinnen und Apotheker die pharmazeutische Kompetenz haben, die jeden Tag vertrauensvoll von den Bürgern genutzt wird.
Der Vorsitzende des Fortbildungsausschusses Wolfgang Gröning moderierte die Veranstaltung. In seinen einführenden Worten ging er unter anderem darauf ein, dass Apotheken ihre Beratungs- und Dienstleistungsangebote weiter ausbauen und verfestigen sollten. Rheumapatienten seien ein gutes Beispiel dafür, dass neben der reinen Beratung zu den Arzneimitteln auch Ernährungsfragen und Unterstützung durch Hilfsmittel Teilaspekte der Betreuung darstellen.
Ein Patient mit einer rheumatoiden Arthritis verursacht pro Jahr etwa 13.000 Euro Krankheitskosten. Bei Behandlung mit Biologicals liegen die reinen Therapiekosten pro Jahr bei 20.000 Euro.
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