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Die Börse als Jahrmarkt der verpassten Gelegenheiten
Wenn sich das Geld wie ein gewaltiger Strom den Weg zu vermeintlich lukrativen Investments bahnt, bleibt einem nur der gesunde Menschenverstand, um den Grad der bislang erreichten Fahrlässigkeit zu erahnen. Da schiebt es die Deutsche Telekom – in nüchternen Zeiten betrachtet nun wirklich kein Spitzentitel – um knapp 3% Tagesgewinn nach oben, weil irgendwo in Amerika ein Finanzinvestor einen Mobilfunkkonzern übernommen hat und nun auch die Telekom nach Höherem streben soll.
Nämlich mit der Übernahme der holländischen Orange für rund 1 Milliarde. Der geschundene Riese will Eindruck machen, nachdem er im Inland massiv unter Druck steht, und begibt sich daher auf Nebenschauplätze. Der niederländische Telekommunikationsmarkt hat praktisch kaum Bedeutung.
Liquidität treibt Unternehmen auf Einkaufstour
Und noch eine Posse aus dem Übernahmetheater: Oracle soll angeblich 8% der Anteile an SAP erworben haben. Händler standen achselzuckender Weise daneben. Trotzdem knapp 3% Tagesgewinn für die Walldorfer.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Firma ein Milliardenübernahmeangebot für ein Konkurrenzunternehmen abgibt. Die Welt scheint regelrecht im Geld zu ertrinken. Die nunmehr siebenwöchige Kursrallye lebt fast ausschließlich von Übernahmespekulationen. Allein in den USA wurden die Börsen in dieser Zeit mit rund 40 Milliarden Dollar an Übernahmetransaktionen angefeuert. Manch erfahrener Händler stellt dies in eine Linie mit dem Platzen der Hightechblase im Jahre 1999 – und hat damit wahrscheinlich Recht.
Asiatische Übertreibungen
In China werden Aktien inzwischen mit dem 50- bis 60-Fachen ihres Gewinns bezahlt. Das kann, selbst unter den günstigen Voraussetzungen der Globalisierung, nicht gut gehen.
Die Hausse wird damit legitimiert, dass die Anleger ganz einfach nicht wüssten, wohin sie mit ihrem Geld gehen sollten. Anleihen seien vergleichsweise teuer, also blieben ja nur Aktien. Es hat schon fast den Anschein, als hätte die Börse das Perpetuum Mobile erfunden. Aber die Gier nach Rendite hat einen hartnäckigen Gegenspieler: Die Angst vor dem Risiko. Das Profitstreben kennt ganz plötzlich Grenzen, wenn Teile der Substanz, also des Vermögenseinsatzes verloren gehen könnten. Dann wird der Ruf nach der sicheren Anlage wieder laut. Aber bis dahin wird ausgetestet, wie weit der Atem in dünner Höhenluft reicht. Wer zu früh umkehrt, gilt als Verlierer. Alles nur eine Frage der Schmerzgrenze.
Wenn die Möwe zum Falken wird
In derart dünner Höhenluft muss nicht viel passieren, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Über den Auslöser kann man freilich nur spekulieren. Es könnte ein weiterer Anstieg des Ölpreises sein, wobei man den Iran noch auf Rechnung haben sollte. Oder ein Kollaps der chinesischen Aktienmärkte, wie ihn neuerdings sogar der ehemalige US-Notenbankchef Greenspan vorhersagt. Vielleicht auch ein deutlicher Kursverlust des Greenback gegenüber dem Yen, der die sogenannten Carry Trades und damit die Finanzierung des US-Staatsdefizits in Frage stellen würde. Oder aber eine Trendwende in der US-Zinspolitik angesichts der sich abzeichnenden Spekulationsblase an den Finanzmärkten.
Der gemeinsame Nenner: Bei allen Parametern ist eine Wende überfällig. Und sie werden wahrscheinlich auch nicht isoliert auftreten, sondern sich eher gegenseitig beeinflussen. Will heißen: Auch wenn die Börse gerne immer wieder auf die scheinbar endlose Liquidität verweist, die aufgrund der "gesunden Skepsis" (oft zitiert, aber in Wirklichkeit ist von Skepsis keine Spur mehr) des Marktes auf ihren Einsatz wartet, ist dieser Liquiditätsstrom dennoch kein Garant für weiter steigende Kurse, sondern kann abrupt abreißen, wenn den Anlegern der Boden unter den Füßen zu heiß wird. Und ist das erst einmal der Fall, bringen auch noch so vielversprechende Gewinnchancen das Geld nicht mehr so schnell zurück in den Markt.
Die Aussichten
Der DAX hält sich momentan noch im oberen Bereich seines Aufwärtskanals. Gute Einstiegskurse ergäben sich erst wieder bei einer Konsolidierung bis auf rund 7200 Punkte, was vor dem Hintergrund des starken Anstiegs als normale technische Reaktion gewertet werden sollte. Vorsicht ist dennoch angesagt, denn im Falle eines größeren Ausverkaufs (etwa ein Angriff auf den Iran) wäre das Rückschlagpotenzial weit höher anzusetzen, weil der Markt dann die Fortsetzung des globalen Aufschwungs an sich infrage stellen würde. DAX vom 23. Mai (Schluss): 7735 Punkte. .
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