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Ressourcenschonung
Qualitätsstandard für Wildsammlung von Arzneidrogen
NÜRNBERG (cae). Der größte Teil der Arzneidrogen, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden, stammt nicht aus landwirtschaftlicher Produktion, sondern aus Wildsammlungen. Um sowohl die Qualität der Ware zu sichern als auch die natürlichen Ressourcen zu schonen, haben Vertreter von Naturschutzbehörden und -organisationen sowie von Phytopharmakaherstellern gemeinsam einen internationalen Standard für die nachhaltige Wildsammlung von Heil- und Aromapflanzen entwickelt, der am 16. Februar in Nürnberg vorgestellt wurde. Der Standard wird derzeit in mehreren Projekten erprobt; in zwei bis drei Jahren könnte er offiziell verabschiedet werden und dann als Grundlage für ein international anerkanntes Qualitätssiegel dienen.
Hohe Ansprüche an die Qualität von Arzneidrogen, die Rationalisierung der Landwirtschaft und die Ausweisung von Naturschutzgebieten haben gemeinsam dazu geführt, dass Arzneidrogen hierzulande überwiegend durch kontrollierten Anbau der Arzneipflanzen produziert werden. Die entsprechenden Qualitätskriterien hat die Europäische Vereinigung der Arzneipflanzenanbauer (Europam) bereits 1998 definiert, indem sie eine Gute Landwirtschaftliche Praxis (GAP) beschlossen hat.
Eine entsprechende Regelung für Arzneidrogen, die von wild wachsenden Pflanzen gesammelt werden, fehlt bislang noch. Dabei ist gerade hier ein dringender Regelungsbedarf gegeben, denn von den etwa 3000 Heil- und Aromapflanzenarten, deren Produkte auf dem Weltmarkt gehandelt werden, stammen rund achtzig Prozent aus Wildsammlungen. Es handelt sich meistens um Pflanzendrogen, die in geringeren Quantitäten angeboten werden und deren Anbau sich in den meisten Fällen nicht lohnen würde. Denn eine Inkulturnahme setzt aufwändige Forschungen über die Standortansprüche der Pflanzen und eine intensive Schulung der Landwirte voraus, sofern sie sich überhaupt verwirklichen lässt. Zudem sichert die Wildsammlung mehr menschliche Existenzen als der landwirtschaftliche Anbau.
Um die Wildbestände langfristig zu erhalten und damit auch deren künftige Nutzung zu gewährleisten, haben das Bundesamt für Naturschutz (BfN), die Weltnaturschutzunion IUCN, die Umweltstiftung WWF und das Artenschutzprogramm TRAFFIC einen "Internationalen Standard für die nachhaltige Wildsammlung von Heil- und Aromapflanzen" (International Standard for Sustainable Wild Collection of Medical and Aromatic Plants, ISSC-MAP) erarbeitet und nun der Öffentlichkeit vorgestellt.
Prof. Dr. Detlev Drenckhahn, Präsident des WWF Deutschland, wertete diesen Standard als "ersten Schritt weg vom schonungslosen Leeren der Apotheke Natur". Dabei geht es nicht um Naturschutz im umfassenden Sinne, sondern um Artenschutz. Es gilt zu verhindern, dass durch das Sammeln der Arzneidrogen mehr Pflanzen vernichtet werden als nachwachsen und schließlich die betreffenden Pflanzenarten aussterben. Prof. Dr. Hartmut Vogtmann, Präsident des BfN, stellte klar, dass Deutschland beim Schutz dieser wild wachsenden Nutzpflanzen eine besondere Verpflichtung – und natürlich auch ein besonderes Interesse – hat, denn es steht beim Import von Arzneidrogen weltweit an vierter Stelle und in Europa an erster Stelle.
Gemäß ISSC-MAP sind bei allen genutzten Pflanzen die vorhandenen Bestände (Ressourcen) abzuschätzen und die Bedrohungsfaktoren zu erfassen, die nicht nur von der Wildsammlung ausgehen, sondern z.B. auch mit einer sich ändernden Landnutzung in Zusammenhang stehen können. Aufgrund der individuellen biologischen Eigenschaften der jeweiligen Pflanze sollen dann nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit ideale Erntemethoden und -mengen festgesetzt werden. Es wird ein Management-Plan erstellt, der den Sammlern spezielle Vorgaben macht und eine regelmäßige Kontrolle der vereinbarten Erntemengen mit einschließt. Die Sammler müssen gegebenenfalls geschult werden, damit sie die Vorgaben erfüllen können.
Wichtig ist bei den laufenden Projekten, dass der Standard sozial verträglich in die Praxis umgesetzt wird, denn in ärmeren Ländern fristen viele Familien ihren Lebensunterhalt von den Wildsammlungen.
Einige Unternehmer machen mit
Einige Großhändler und Arzneimittelhersteller haben erkannt, dass es sich lohnt, die Bestände von Heil- und Aromapflanzen zu erhalten, und sind in diesem Sinne aktiv. So wendet die Firma Traditional Medicinals in Kalifornien den ISSC-MAP bereits heute versuchsweise an, wie deren Vizepräsident Josef Brinckmann auf der Pressekonferenz berichtete. Die Firma ist z.B. an einem 2002 in Sibirien gestarteten Projekt zur nachhaltigen Sammlung von Bärentraubenblättern beteiligt. Brinckmann sieht bei der Nutzung von Ressourcen nicht nur eine ethische Verpflichtung der Industrie und der Konsumenten, sondern er hat auch die Erfahrung gemacht, dass ethisches Verhalten durchaus profitabel sein kann. Zwar zahlt seine Firma für pflanzliche Rohstoffe generell mehr als den üblichen Marktpreis, doch sie gibt den Preis an die Konsumenten weiter. Es sind genügend Kunden bereit, für nachhaltig produzierte Waren einen höheren Preis zu zahlen, wenn sie für die Problematik sensibilisiert sind.
Auf dem Weg zum Qualitätssiegel
In den nächsten beiden Jahren soll der ISSC-MAP in zehn Projekten erprobt werden. Dazu gehören auch fünf bereits vorher angelaufene Projekte in Brasilien, Ecuador, China, Namibia und Bosnien-Herzegowina, die nun entsprechend dem Standard modifiziert werden. In der jetzigen Erprobungsphase kommt es darauf an, die Akzeptanz für den Standard bei allen Beteiligten zu testen und Erfahrungen zu sammeln. Nach zwei Jahren soll der Text überarbeitet und endgültig verabschiedet werden. Er könnte dann wie die Gute Landwirtschaftliche Praxis in den einzelnen Staaten den Status eines Gesetzes erhalten. Die standardgemäß produzierte Ware würde dann entsprechend gekennzeichnet. Dazu würde sich ein Label anbieten, das allerdings erst geschaffen werden müsste.
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