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Gesundheitsreform

Die neuen Wahltarife der gesetzlichen Kassen

BERLIN (ks). Der Countdown für die Gesundheitsreform läuft: Am 1. April soll das umfangreiche Gesetzeswerk in weiten Teilen in Kraft treten. Dann werden die Apotheken die Anhebung ihres Kassenrabattes auf 2,30 Euro zu spüren bekommen. Aber auch auf die gesetzlich Krankenversicherten kommt Neues zu – profitieren sollen sie unter anderem von neuen Wahltarifen, die ihre Kassen künftig anbieten müssen oder können. Viele Krankenkassen feilen schon seit Wochen an neuen Tarifangeboten. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Versicherten in Kürze die Qual der Wahl haben werden.

Bislang hatten die gesetzlichen Kassen recht beschränkte Möglichkeiten, ihren Versicherten besondere Tarifangebote abseits der Norm anzubieten. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurden 2004 die ersten zarten Pflänzchen für mehr Wettbewerb gesetzt: Für freiwillig Versicherte wurde die Option von Selbstbehalttarifen und Beitragsrückerstattungen geschaffen. Nun sollen auch die Pflichtversicherten nicht länger zurückstecken. Sie werden künftig unter einer Reihe von Tarifen wählen können.

Der neugefasste § 53 SGB V sieht zum einen Wahltarife vor, die die Kassen anbieten müssen und die sie mit Prämienzahlungen oder Zuzahlungsermäßigungen für ihre Versicherten verbinden können. Dabei handelt es sich um spezielle Tarife für Versicherte, die an besonderen Versorgungsformen teilnehmen. Zu diesen besonderen Versorgungsformen zählen:

Im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung verpflichtet sich der Versicherte im Krankheitsfall immer zuerst den Hausarzt aufzusuchen. Erst dieser überweist den Patienten an einen Spezialisten, wenn es erforderlich ist (Ausnahme: Augen- und Frauenärzte).

Durch die Einschreibung in Disease-Management-Programme (DMPs) können sich chronisch Kranke nach festgelegten Leitlinien behandeln lassen. Bisher gibt es DMPs für Diabetes mellitus, Brustkrebs, koronare Herzkrankheit, Asthma bronchiale und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen.

Die Integrierte Versorgung ermöglicht den Kassen Verträge mit Leistungserbringern aus verschiedenen Sektoren abzuschließen. Dies soll die abgestimmte Zusammenarbeit etwa zwischen Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen zugunsten der Patienten fördern.

Im Rahmen von Modellvorhaben können Krankenkassen – einzeln oder kassenübergreifend – neue Leistungen für ihre Versicherten erproben und somit den Leistungsumfang der GKV gezielt fortentwickeln. Diese Modelle können z. B. neue Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten und zur Krankenbehandlung zum Gegenstand haben.

Für die besondere ambulante ärztliche Versorgung können die Krankenkassen – einzeln oder mit anderen Kassen gemeinsam – spezielle Versorgungsangebote mit Ärzten vereinbaren. Dabei kann es etwa um ein bestimmtes Krankheitsbild oder die medizinische Versorgung einer Region gehen.

Ebenso wie die Teilnahme an diesen besonderen Versorgungsformen freiwillig ist, ist auch die Entscheidung für oder gegen einen solchen Wahltarif dem Versicherten selbst überlassen. Eine gesetzliche Mindestbindungsfrist ist für diese Tarife nicht vorgesehen.

Ab dem 1. Januar 2009 werden die Kassen zudem verpflichtet, ihren Versicherten, die keinen oder nur einen eingeschränkten Anspruch auf Krankengeld haben – etwa freiwillig oder nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Versicherte – einen Wahltarif zum Krankengeld anzubieten. Für diesen zusätzlichen Leistungsanspruch muss der Versicherte eine Prämie zahlen.

Freiwillige Wahltarife

Neben diesen für die Kassen verpflichtenden Wahltarifen sind in § 53 SGB V Tarife vorgesehen, die die Kassen freiwillig in ihrer Satzung regeln können. Sie können gegebenenfalls auch miteinander kombiniert werden.

Dabei handelt es sich um:

Selbstbehalttarife: Hier können sich Kassenmitglieder verpflichten, zunächst einen Teil der von den Kassen zu tragenden Kosten aus eigener Tasche zu zahlen. Im Gegenzug erhalten sie eine vereinbarte Prämie von der Krankenkasse.

Tarife für Nichtinanspruchnahme von Leistungen: Kassenmitglieder und ihre mitversicherten Familienmitglieder, die ein Jahr lang keine Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen haben, können einen Teil der gezahlten Beiträge zurückerhalten. Diese Prämie ist auf ein Zwölftel ihres Jahresbeitrages begrenzt. Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen sowie Leistungen für Versicherte unter 18 Jahren werden nicht angerechnet.

Kostenerstattungstarife: Diese können GKV-Versicherte wählen, die auf das Sachleistungsprinzip verzichten wollen. Wie Privatversicherte erhalten sie ihre Rechnung direkt von den Leistungserbringern. Diese berechnen ihre Leistungen – je nach Tarif – zu einem höheren Gebührensatz als für gesetzlich Versicherte üblich. Zulässig ist ein um das 2,3-Fache höherer Satz. Die Kassen erstatten die Kosten entsprechend der vertraglichen Vereinbarung und bekommen dafür vom Versicherten neben dem monatlichen Beitragssatz eine zusätzliche Prämie. Die Kostenerstattung kann auch auf den ärztlichen, zahnärztlichen oder stationären Bereich beschränkt werden.

Tarife für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen: Diese Tarife richten sich an Versicherte, die den Wunsch haben, dass ihnen die Krankenkasse z. B. homöopathische oder anthroposophische Medikamente bezahlt. Hierfür kann die Kasse Prämien erheben.

Für Versicherte, die sich für einen solchen freiwilligen Wahltarif entscheiden, besteht eine Mindestbindungsfrist von drei Jahren. Auch ein Kassenwechsel ist ihnen in dieser Zeit grundsätzlich nicht möglich. Die Kassen müssen in ihren Satzungen allerdings ein Sonderkündigungsrecht für besondere Härtefälle vorsehen. Darüber hinaus legt das Gesetz fest, dass die Prämienzahlungen an die Versicherten begrenzt sind. Sie dürfen grundsätzlich bis zu 20 Prozent der vom Mitglied in einem Jahr gezahlten Beiträge – höchstens jedoch 600 Euro – betragen. Auf diese Weise soll ein Missbrauch der Tarife verhindert werden. Von den freiwilligen Wahltarifen ausgeschlossen bleiben überdies solche Kassenmitglieder, deren Beiträge vollständig von Dritten getragen werden, so etwa Bezieher von Arbeitslosengeld I und II. Sie können sich lediglich in den oben aufgeführten Pflicht-Wahltarifen nach § 53 Abs. 3 SGB V versichern.

Kassen wollen Möglichkeiten nutzen

Viele Kassen haben bereits angekündigt, von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen zu wollen. Vorrangig geht es dabei um Selbstbehalt- und Kostenrückerstattungstarife. Die AOK Bayern kündigte bereits Ende Februar an, zum 1. April nach Einkommen gestaffelte Selbstbehalttarife mit einem Bonus von bis zu 500 Euro anzubieten. Geplant seien zudem Kostenerstattungs- und Zuwahltarife für bestimmte Arzneimittel. Auch die Kaufmännische Krankenkasse KKH ließ vergangene Woche verlauten, dass sie am 1. April mit einkommensgestaffelten Selbstbehalttarifen und Beitragsrückzahlungen starten will. Der KKH-Vorstandsvorsitzende Ingo Kailuweit kündigte "Aktiv-Tarife" an, die Selbstbehalttarife mit einem Gesundheitsbonus für gesundheitsbewusstes Handeln verbinden. Je nach Einkommen könnten KKH-Versicherte so bis zu 500 Euro jährlich sparen. Auch die Techniker Krankenkasse (TK) will kräftig mitmischen. Wie die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (Ausgabe vom 18. März) berichtete, plant sie Selbstbehalttarife, die eine maximale Rückerstattung von 600 Euro vorsehen, wenn ein Selbstbehalt von 960 Euro vereinbart wird. Zudem lasse sie prüfen, ob auch eine Rückerstattung von bis zu 900 Euro möglich wäre. Die hohen Maximal-Erstattungen der Kassen sollen aber offenbar nur freiwilligen Mitgliedern gezahlt werden. Für Pflichtversicherte werden die Summen geringer ausfallen, da auch ihre einkommensabhängig vereinbarten Selbstbehalte niedriger sein werden.

Der BKK-Bundesverband warnte unterdessen vor voreiligen Tarifwechseln. Die neuen Tarifangebote sollten genau auf ihre Chancen und Risiken überprüft werden, ließ der Verband am 16. März verlauten. "Die ersten Angebote sind nicht automatisch die besten". Die Versicherten sollten bei ihrer Entscheidung vor allem bedenken, dass sie sich bei den freiwilligen Angeboten der Kassen für drei Jahre binden.

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