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- DAZ 12/2007
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Aus der Hochschule
Pharmazeutische Biologie
Wissenschaft und Industrie gemeinsam für Phytopharmaka
Am 14. und 15. März 2007 fand im Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn ein Workshop über "Phytopharmaka in Forschung und Lehre" statt, auf dem hundert Teilnehmer von Universitäten, Zulassungsbehörde und Industrie ihre Erfahrungen und Ansichten austauschten. Der vom Lehrstuhl für Drug Regulatory Affairs in Zusammenarbeit mit dem Wissenschafts- und Wirtschaftsdienst des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) veranstaltete Workshop thematisierte Probleme, aber auch Erfolge bei der Qualitätssicherung.
In seinem einleitenden Vortrag verdeutlichte Prof. Dr. Harald Schweim, Universität Bonn, die regulatorischen Besonderheiten der Phytopharmaka, die entweder nach "klassischem" Verfahren zugelassen bzw. nachzugelassen sind oder als "traditionelle" Arzneimittel registriert sind. Durch den Aufwand für eine Zulassung bzw. Registrierung und infolge der Gesundheitsreformen hat ihre Bedeutung im Arzneimittelmarkt abgenommen. Chancen sieht Schweim künftig für innovative, gut erforschte Phytopharmaka, die zur rationalen Therapie schwerer Erkrankungen eingesetzt werden, wie Taxol bei Krebs oder Artemisinin bei Malaria.
Derzeit kommen viele Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt, deren Nutzen nur in seltenen Fällen wissenschaftlich bewiesen ist; so könnte auch eine eingeweichte Zeitung ein Diätetikum sein, da sie keinen Nährwert hat und aus Cellulose besteht. Demgemäß lässt die europäische Verordnung über "Health Claims", die am 1. Juli 2007 in Kraft tritt, gesundheitsbezogene Angaben zu Nahrungsergänzungsmitteln nur noch eingeschränkt zu.
Dr. Bernd Eberwein, Bonn, der gemeinsam mit Prof. Schweim die Veranstaltung moderierte, warnte davor, bei pflanzlichen Arzneimitteln die Grenzlinie zwischen den Kategorien "well-established medicinal use" für zugelassene Präparate und "traditional use" für registrierte Präparate nach oben zu verschieben, denn dann würde auch das Niveau der Anforderungen an Nahrungsergänzungsmittel steigen; diese könnten dann den Anspruch erheben, ähnlich wie Arzneimittel wirksam zu sein.
Der Bonner Pharmakologe Prof. Dr. Klaus Mohr sieht die Phytopharmaka eher als einen Ausgangspunkt für die Identifizierung und Reindarstellung der in ihnen enthaltenen Wirkstoffe, um aus ihnen neue Arzneimittel zu entwickeln. Er befürwortete aber die therapeutische Anwendung eines Extraktes dann, wenn dieser sich in einer klinischen Studie dem Placebo überlegen gezeigt hat. Ob dies auch für Präparate mit "weichen" Indikationen wie z. B. Baldrian bei Einschlafstörungen zu fordern ist, wurde kontrovers diskutiert.
Studium mit mehr Profil
Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt, beklagte die "hoffnungslose" Überfrachtung des Pharmaziestudiums mit Lehrinhalten, sodass ein Studium gemäß der Approbationsordnung nicht möglich sei. Ein Ausweg könne sein, dass sich die Institute durch Ausbildungsstandards entsprechend ihrer fachlichen "Stärken" profilieren, wobei die klassischen Fächerstrukturen aufgebrochen und alle Bereiche konsequent in eine optimierte Ausbildung integriert werden sollten. Dazu gehöre auch eine Hinführung der Studierenden zum autodidaktischen Lernen und eine postgraduierte Ausbildung auf höchstem technischem und wissenschaftlichem Niveau.
Die Aufrechterhaltung des Wissenschaftsstandortes Deutschland unter den gegebenen regulatorischen Rahmenbedingungen setze eine Kooperation aller Beteiligten aus Universität, Behörde und Industrie voraus, betonte Priv.-Doz. Dr. Werner Knöss, Leiter der Abteilung "Besondere Therapierichtungen" des BfArM. Eine Neuorientierung der Forschung in der Pharmazeutischen Biologie erfordere neben einer Änderung der Rahmenbedingungen eine verstärkte Kommunikation und Konzeptentwicklung, eine Berücksichtigung grundlegender regulatorischer Anforderungen in der universitären Forschung, eine Sicherung der Unabhängigkeit und eine eindeutige Positionierung in der Gesundheitsversorgung.
Über die Bedeutung der Pharmazeutischen Biologie in der industriellen Praxis referierte Dr. Dieter Zeh, Bruckmühl; an Beispielen aus der Qualitätskontrolle belegte er die Notwendigkeit fundierter pharmakognostischer Kenntnisse für die Herstellung und Prüfung pflanzlicher Arzneimittel. Seiner Meinung nach ist eine gute Ausbildung in der Pharmazeutischen Biologie Bedingung für die Sicherung der Spitzenposition der deutschen Phytopharmaka-Industrie in Europa.
Von der Droge zum Produkt
Den Ablauf einer Produktentwicklung erläuterte Dr. Günter Meng, Karlsruhe, am Beispiel eines pflanzlichen Antidepressivums. Neben der Führung des Wirksamkeitsnachweises muss die Projektfinanzierung und ihre Amortisation gesichert sein, um ein Entwicklungsprojekt ethisch und ökonomisch rechtfertigen zu können. Zur Absicherung dieser Investitionen sei der durch die Zulassung gegebene Unterlagenschutz mittelfristig nicht verlässlich. Für die Zukunft stelle die Entwicklung von optimierten Wirkstoffzusammensetzungen für eine syndromorientierte Phytotherapie ein neues Feld für die innovative Grundlagenforschung dar, zu dem Forschung und Lehre einen wichtigen Beitrag leisten können.
Prof. Dr. Liselotte Krenn, Wien, legte dar, dass die Monographien der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) jeweils eine aktuelle Übersicht pharmakologischer und klinischer Studien beinhalten. Pharmakologische Untersuchungen wie Tests an Mikroorganismen, enzymatische Assays und Rezeptorbindungsstudien leisten einen Beitrag zur Plausibilität der Indikation. In vielen Fällen seien aber klinische Studien und neue Daten zur Anwendung bei Kindern und in der Schwangerschaft sowie zur Pharmakokinetik von Wirksubstanzen erforderlich, um Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weiter abzusichern.
Dass die klinische Forschung eines Präparates aus Beinwell (Symphyti radix), einer Arzneipflanze "aus der 2. Reihe", erfolgreich war, berichtete Dr. Christiane Staiger, Darmstadt. Die Zubereitung zur externen Anwendung zeigte in verschiedenen Studien eine Überlegenheit gegenüber Placebo bei Sprunggelenksdistorsionen bzw. war einer Diclofenac-Therapie mindestens ebenbürtig und erwies sich auch bei schmerzhafter Kniegelenksarthrose als wirksam.
Probleme beim Nachweis der "Tradition" für ein Arzneimittel, das gemäß der Kategorie "traditional use" registriert werden soll, stellte Dr. Rainer Kolkmann, Oldenburg, am Beispiel eines Kürbiskernölpräparates dar. Insbesondere könnte die "Modernisierung" der Darreichungsform während der 30-jährigen Geschichte des Produktes eine zusätzliche Hürde bedeuten, da die Zulassungsbehörde in ihnen häufig eine Änderung des wirksamen Bestandteils sieht, sodass die Kontinuität unterbrochen ist.
Ansprüche an die pharmazeutische Qualität
Als Vertreter des Bereichs "Arzneibuch" erläuterte Dr. Dietrich Schnädelbach, BfArM, die Entstehung von Arzneibuchmonographien im europäischen Umfeld, wo teilweise überzogene Standpunkte in Bezug auf Phytopharmaka vertreten würden. Nichtsdestotrotz sei das Arzneibuch bemüht, die Naturgegebenheiten der Pflanzen und die Qualitätsschwankungen pflanzlicher Drogen zu berücksichtigen. Er rief die Anwesenden auf, die publizierten Monographieentwürfe aktiv zu kommentieren ("wer nichts sagt, hat zugestimmt"), damit die Meinungen der Fachkreise zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in die entstehenden Monographien einfließen können.
Auf aktuelle Probleme bei der Umsetzung von Anforderungen des Arzneibuchs wies Dr. Lothar Kabelitz, Vestenbergsgreuth, am Beispiel wirksamkeitsmitbestimmender Inhaltsstoffe (z. B. Hypericin in Johanniskraut, Flavonoide in Weißdorn) hin, soweit diese als "aktive Marker" für die Quantifizierung von Extrakten eingesetzt werden.
Nach Meinung von Dr. Martin Braun, Ettlingen, ist bei Extrakten – unabhängig vom Extrakttyp – eine detaillierte Beschreibung von Ausgangsstoffen, Extraktionsverfahren und Anlagen sowie die Aufklärung möglichst vieler Inhaltsstoffe notwendig. Ein Mehrpreis für eine höhere Qualität sei durch die dabei gewonnene Produktsicherheit gerechtfertigt.
Wie die regulatorischen Anforderungen an die Stabilitätsprüfung bei Phytopharmaka praxisgerecht umgesetzt werden können, schilderte Dr. Frank Poetsch, Bruckmühl. Häufig ist nach seinen Erfahrungen die Stabilitätsprüfung bei höherer Temperatur (sog. "accelerated testing") nicht sinnvoll, da es hier zu Verklumpungen oder Verklebungen kommt und dann eine analytische Untersuchung nicht mehr möglich ist. Er forderte, für die Stabilitätsprüfung generell die Auswahl (stabiler) Leitsubstanzen zu ermöglichen, unabhängig von einer bestehenden Arzneibuchmonographie. Zudem sollte bei pflanzlichen Wirkstoffen auch ohne Stabilitätsprüfung die weitere Verwendung aufgrund einer "Prüfung vor Einsatz" möglich sein.
Risiken auf mehreren Ebenen vorbeugen
Prof. Dr. Ralf Teschke, Klinikum Hanau, referierte über die Bewertung hepatotoxischer Risiken und stellte ein System aus Vortest, Haupttest und Nachtest zur Feststellung des Kausalitätsgrades zwischen Produkteinnahme und Auftreten einer lebertoxischen Nebenwirkung vor; dabei erfolgt die Evaluierung mittels verschiedener Kriterien, wie zeitlicher Verlauf, Risikofaktoren, Alkoholkonsum und Komedikation.
Dr. Heinz Dittrich, Bad Heilbrunn, erörterte, ob eine Genotoxizitätsprüfung gemäß Leitlinie EMEA/HMPC/32116/2005 auch für traditionelle pflanzliche Arzneimittel angemessen ist. Er bezweifelte, dass hier die Suche nach genotoxischen Wirkungen und Inhaltsstoffen zielführend ist und dass die Sicherheit dadurch in einem Maße verbessert wird, das in einem vertretbaren Verhältnis zum Aufwand steht.
Wie sich die behördlichen Anforderungen an Interaktionsstudien für Phytopharmaka praktisch umsetzen lassen, berichtete Dr. Matthias Unger, Universität Würzburg. So setzt er innovative chromatographisch-massenspektrometrische Methoden zur Identifizierung von Cytochrom-P450-Inhibitoren in Weihrauchextrakten ein. Bei solchen und ähnlichen Projekten könne die Universität als "Dienstleister" für Industrie und Behörde fungieren.
Über pharmakologische Tests auf mögliche Interaktionen referierte Prof. Dr. Hilke Winterhoff, Münster. Neben einer Beeinflussung des Cytochrom-P450-Systems sind beispielsweise eine veränderte Resorption, eine Verdrängung aus der Proteinbindung und eine Beeinflussung der Elimination denkbar. Klinisch relevant sind die Interaktionen dann, wenn die Wirkung oder Toxizität eines Arzneimittels so stark verändert wird, dass eine Dosisanpassung oder ein ärztliches Eingreifen erforderlich ist. Gerade bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite kann das Sinken oder Ansteigen des Blutspiegels dramatische Konsequenzen haben. Optimale Methoden zur Untersuchung relevanter Interaktionspotenziale von Phytopharmaka fehlen jedoch nach ihrer Erfahrung heutzutage noch.
Krisenmanagement mit mehr Augenmaß
Fälle von schweren unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen zu regulatorischen Maßnahmen. So wurde kürzlich ein Stufenplanverfahren zu Cimicifuga durchgeführt. In den zugrunde liegenden Publikationen fand Dr. Belal Naser, Salzgitter, jedoch schwere Mängel. Von insgesamt 42 Fallmeldungen stufte die EMEA nur vier als "möglich" bzw. "wahrscheinlich" ein; diese vier wiesen jedoch ebenfalls Lücken in der Dokumentation auf. Als Stufenplanbeauftragter eines pharmazeutischen Unternehmens leitete Naser daraus die Empfehlung ab, bei Fallmeldungen die Patienten und Produkte möglichst genau zu beschreiben und die Anamnese sorgfältig zu erheben.
Dr. Barbara Steinhoff
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