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fortbildungskongress
Antibiotika gegen Infektionskrankheiten
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist in Deutschland der Antibiotikaverbrauch eher gering. Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass immer eine sinnvolle und rationale antimikrobielle Therapie durchgeführt wird. Ein genauerer Blick auf die Verbrauchszahlen zeigt einige Auffälligkeiten und weist auf manche Ungereimtheiten hin.
2002 wurden in Deutschland täglich 13,5 Tagesdosen Antibiotika je 1000 Einwohner verordnet, das heißt: Statistisch erhielten 1,35% der Einwohner während des ganzen Jahres eine Antibiotikatherapie. Zum Vergleich nannte Dr. Dr. Katja de With, Freiburg, den Spitzenreiter Frankreich mit 32 Tagesdosen und das Schlusslicht Niederlande mit 10 Tagesdosen je 1000 Einwohner (DDD/1000). Auch innerhalb Deutschlands variiert der Antibiotikaverbrauch, denn in westlichen Regionen wird deutlich mehr verordnet als im Osten. So werden, statistisch betrachtet, jedem Versicherten in der Pfalz doppelt so viele antibiotisch wirkende Substanzen verordnet wie einem Versicherten in Brandenburg. Für dieses unterschiedliche Verordnungsverhalten gibt es keine schlüssige Erklärung.
Verordnungen in Baden-Württemberg
Für Baden-Württemberg wurde 2002 der Verbrauch an Antibiotika im ambulanten Bereich ermittelt. Die meisten antimikrobiellen Wirkstoffe werden von den Allgemeinmedizinern verschrieben (2270 DDD/1000), gefolgt von den Internisten (615 DDD/1000), den Kinderärzten (506 DDD/1000), den HNO-Ärzten (294 DDD/1000) und den Urologen (205 DDD/1000). Bezogen auf die Anzahl der Fachärzte, verordnen Urologen am häufigsten Antibiotika, gefolgt von den HNO-Ärzten, Pädiatern, Allgemeinärzten, Dermatologen und Internisten. Allgemeinmediziner und Internisten haben am häufigsten Amoxicillin, Phenoxymethylpenicillin und Roxithromycin verordnet. Der Gesamtverbrauch stieg während der Wintermonate an, mit Ausnahme von urologischen Verordnungen.
Einsatz von Antibiotika im Krankenhaus
Rund 14% aller Antibiotika werden im Krankenhaus eingesetzt, hier werden wiederum in Intensivstationen und hämatologisch-onkologischen Einrichtungen die meisten Antibiotika verbraucht. In Akutkrankenhäusern liegt der durchschnittliche Verbrauch bei rund 50 Tagesdosen je 100 Pflegetage (50 DDD/
100), auf Intensivstationen bei 126 DDD/ 100 und auf hämatologisch-onkologischen Stationen bei etwa 84 DDD/100. Am häufigsten werden Betalactame eingesetzt, gefolgt von Fluorchinolonen und Makroliden. Der Anteil von Aminoglykosiden und Glykopeptiden liegt unter 3 DDD/100.
Antibiotikaresistenz – wer hat das letzte Wort?
Wird sich die Prognose von Louis Pasteur bewahrheiten, dass die Mikroben das letzte Wort haben werden ("ce sont les microbes qui auront le dernier mot")? Die weltweiten Resistenzentwicklungen deuten darauf hin. Da die Resistenzproblematik durch neue Wirkstoffe nicht dauerhaft gelöst werden kann, gilt es, der Entstehung von Resistenzen vorzubeugen: durch den rationalen Umgang mit Antibiotika und ein korrektes Hygienemanagement.
Die weltweite Zunahme mehrfach resistenter Erreger hat, wie Dr. Beatrice Grabein, München, darlegte, mehrere Ursachen:
- den übermäßigen Einsatz weniger Antibiotikagruppen,
- unkritische Verordnungen von Breitspektrum-Antibiotika,
- falsche Dosierungen und eine zu lange Therapiedauer,
- eine unzureichende Infektionskontrolle und falsche Hygienemaßnahmen,
- den Intra- und Interspeziestransfer von Resistenzfaktoren,
- die wachsende Zahl an Risikopatienten (alte und multimorbide Patienten) sowie
- die häufige Anwendung invasiver Verfahren und immunsuppressiver Therapien.
Resistente Erreger treten sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich auf. Problemkeime im ambulanten Bereich sind etwa Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, cMRSA (Variante der Methicillin-resistenten Staphylokokken, s. u.), Neisseria gonorrhoeae und Mycobacterium tuberculosis •
Im Krankenhaus bereiten unter anderem Staphylokokken, Enterokokken, Enterobacteriaceen (E. coli, Enterobacter spp., Proteus spp., Serratia spp.), Pseudomonas aeruginosa, Acetobacter baumannii, Non-Fermenter und Clostridium difficile Resistenzprobleme.
Resistenzsituation in Europa sehr uneinheitlich
Die Entwicklung bakterieller Resistenzen ist ein weltweites Problem, wobei der Umfang der Resistenzbildung große regionale Unterschiede aufweist. Im Vergleich mit europäischen Ländern sind die Resistenzraten in Deutschland eher niedrig, wenn auch in den vergangenen Jahren einige Resistenzraten angestiegen sind. So liegen in Deutschland noch keine Penicillinresistenzen bei Pneumokokken vor, die Rate Makrolid-resistenter Keime ist aber bereits auf 20% angestiegen. Ebenfalls anwachsend ist die Rate Glykopeptid-resistenter Enterokokken. Die Resistenzraten von E. coli gegenüber Fluorchinolonen liegen zwischen 10 und 20% und können unter anderem auf die häufige Anwendung dieser Antibiotika bei Harnwegsinfekten zurückgeführt werden. Grabein rechnet mit einer weiteren Zunahme Fluorchinolon-resistenter E. coli -Stämme, da aufgrund des Preisverfalls vermehrt Fluorchinolone eingesetzt werden.
Zunehmend werden ESBL-Bildner registriert – Bakterien, die Betalactamasen mit erweitertem Spektrum (extended spectrum beta-lactamases, ESBL) produzieren und mit ihnen sogar Cephalosporine der dritten Generation hydrolysieren. ESBL-Bildner sind vor allem gramnegative Enterobacteriaceen wie Klebsiellen, E. coli, Enterobacter, Proteus und Salmonellen. Die Fähigkeit zur Bildung von ESBL ist im Plasmid kodiert, was eine rasche Ausbreitung ermöglicht. Gegen ESBL-Bildner sind nur noch Carbapeneme uneingeschränkt wirksam.
Deutliches Nord-Süd-Gefälle
Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Verschreibungspraxis von Antibiotika und dem Umfang der Resistenzentwicklung. In Europa gehen die Niederlande und die skandinavischen Länder am sparsamsten mit Antibiotika um, während Frankreich und Spanien Spitzenreiter bei Antibiotikaverordnungen sind. Dies spiegelt sich auch in der Resistenzlage wider: Fast die Hälfte aller Streptokokken in Frankreich ist gegen Penicillin resistent, wohingegen in den Niederlanden fast keine resistenten Streptokokken auftreten. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Methicillin-resistenten Stämmen von Staphylococcus aureus (MRSA): In den Niederlanden und Skandinavien treten sie sehr selten auf, in Großbritannien und Südeuropa hingegen häufig (s. Grafik).
Eine neue Form von MRSA
Ein neues Problem sind Methicillin-resistente Staphylokokken im ambulanten Bereich (community MRSA oder cMRSA). Sie treten vorwiegend bei ansonsten gesunden, jüngeren Patienten auf und sind im Gegensatz zu den herkömmlichen MRSA in Krankenhäusern (hospital MRSA oder hMRSA) äußert virulent. Darüber hinaus produzieren cMRSA das Toxin PVL (Panton-Valentin-Leukocidin), das die Leukozyten schädigt und Gewebsnekrosen verursacht. Sie werden überwiegend im Zusammenhang mit tiefgehenden, nekrotisierenden Haut- und Weichteilinfektionen isoliert, insbesondere bei Furunkulosen. Derzeit treten cMRSA vor allem in den USA und dort gehäuft in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kasernen, Gefängnissen oder Sportvereinen auf. In Deutschland bereiten cMRSA derzeit noch keine Probleme, allerdings ist in Zukunft mit einem Anstieg von cMRSA-Infektionen zu rechnen.
Tiefe Atemwegsinfekte – Behandlung nach Leitlinie
Tiefe Atemwegsinfekte wie Pneumonien oder Exazerbationen einer chronischen Bronchitis sollten in Anlehnung an die entsprechende Leitlinie behandelt werden. Dieses Vorgehen verbessert den Therapieerfolg, sorgt für einen sinnvollen Einsatz antimikrobieller Substanzen und beugt langfristig Antibiotikaresistenzen vor.
Leitlinien sind systematisch entwickelte Empfehlungen und geben dem Arzt Handlungsanweisungen, wie er diagnostisch und therapeutisch vorgehen soll. Wie Prof. Dr. Gert Höffken, Dresden, hervorhob, können Leitlinien das ärztliche Handeln nur unterstützen, aber nicht ersetzen. Die von ihm vorgestellte Leitlinie verfolgt mehrere Ziele:
- Erstellen eines Standards in Diagnose und Therapie,
- rationaler Einsatz antimikrobieller Substanzen,
- transparente Stadieneinteilung nach Risikostratifizierung,
- Empfehlungen für eine risikoadaptierte Therapie,
- Reduktion des Antibiotikaverbrauchs bei fehlender Indikation,
- Vermeiden eines extensiven Einsatzes von Antibiotika bzw. eines einseitigen Einsatzes bestimmter Antibiotikaklassen,
- Prävention der Resistenzentwicklung.
Eine akute Exazerbation der chronischen Bronchitis (AECB) kann viral und/oder bakteriell verursacht sein. Häufige bakterielle Erreger sind Haemophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae, Moraxella catarrhalis, Enterobacteriaceen und Pseudomonas aeruginosa • Klinische Zeichen sind zunehmende Atemnot, vermehrtes Husten, die Zunahme der Sputummenge, eine gelb-grüne Verfärbung des Auswurfs, Brustenge sowie unspezifische Symptome wie Müdigkeit oder Schlafstörungen. Ob eine Antibiotikatherapie durchgeführt wird oder nicht, hängt vom Allgemeinzustand des Patienten und seinen weiteren Krankheiten ab. Patienten mit Atemnot, kardialer Komorbidität und gelbem Auswurf sollten antimikrobiell behandelt werden. Das Mittel der Wahl ist Amoxicillin, das hoch dosiert und ausreichend lange (während sieben bis zehn Tagen) eingenommen werden muss. Bei einer schweren Einschränkung der Lungenfunktion sind Amoxicillin/Clavulansäure oder ein pneumokokkenwirksames Fluorchinolon indiziert. Letzteres ist im Hinblick auf steigende Resistenzen restriktiv und nicht im ambulanten Bereich einzusetzen.
Ambulant erworbene Pneumonien
Ambulant erworbene Pneumonien (community-acquired pneumonia, CAP) gehören weltweit zu den häufigsten Infektionskrankheiten und gehen mit einer Gesamtletalität von annähernd 11% einher. Das Erregerspektrum variiert sehr stark in Abhängigkeit von regionalen, saisonalen, epidemiologischen und demographischen Faktoren. Klassische Erreger sind Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae .
Um die richtige Therapie einzuleiten, muss zuerst eine Risikostratifizierung vorgenommen werden, die mit Hilfe verschiedener Scores erfolgt. Leichte Formen können ambulant, schwere Formen müssen stationär behandelt werden. Im ambulanten Bereich werden bei Patienten ohne Risikofaktoren hoch dosierte Aminopenicilline und alternativ Makrolide oder Doxycyclin eingesetzt. Liegen Risikofaktoren vor, sind Amoxicillin/Clavulansäure oder pneumokokkenwirksame Fluorchinolone Mittel der Wahl. Bei hospitalisierten Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren werden die Antibiotika generell intravenös und in hohen Dosen zwischen sieben und vierzehn Tage lang appliziert. Unter bestimmten Voraussetzungen ist nach einigen Tagen eine Umsetzung auf eine orale Sequenztherapie möglich.
Die S3-Leitlinie zu Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobieller Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen wurde von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und dem Kompetenznetzwerk CAPNETZ in Verbindung mit der AWMF und Vertretern weiterer wissenschaftlicher Fachgesellschaften erstellt und ist bis Ende 2008 gültig.
Hygiene in Pflegeheimen und in der häuslichen Krankenpflege
Wann und in welchem Umfang sind hygienische Maßnahmen bei pflegebedürftigen Menschen sinnvoll? Mit dieser Frage befasste sich Dr. Wolfgang Gärtner, Freiburg, und zeigte am Beispiel der Pflege MRSA-besiedelter Patienten, dass häufig allgemeinpräventive Hygienemaßnahmen ausreichen, um Mitbewohner und Pflegekräfte vor einer Ansteckung zu schützen, und dass der Betroffene nicht vom Gemeinschaftsleben ausgeschlossen werden sollte.
Ethische Grundsätze und gesetzliche Vorgaben wie das Heimgesetz und das Sozialgesetz fordern einen würdigen Umgang mit pflegebedürftigen und alten Menschen. Zu einem normalen Umgang mit den Mitmenschen gehören Körperkontakte wie etwa das Händeschütteln und die Körperpflege des Kranken. Über Körperkontakte werden aber auch Keime übertragen, und demzufolge sind bestimmte hygienische Grundregeln zu beachten. Dabei besteht die Gefahr, übertriebene und sinnlose Hygienemaßnahmen zu ergreifen, die den Betroffenen isolieren und seiner Würde berauben. Neben der Stigmatisierung durch die Ausgrenzung können nicht angezeigte Hygienemaßnahmen auch den Gesundheitszustand des Patienten beeinträchtigen und den Teufelskreis von Krankheit und Isolation in Gang halten.
MRSA: Wie viel Hygiene ist notwendig?
Mehr als 20% der Patienten von Intensivstationen, bis zu 3% der Heimbewohner und 0,5% der Pflegekräfte sind mit dem Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) besiedelt. Der Erreger ist aufgrund seiner Multiresistenz und schweren Therapierbarkeit sowie seiner Neigung zur Ausbreitung in klinischen Einrichtungen gefürchtet. Diese Furcht schlägt sich in Verunsicherungen des Heimpersonals und in übertriebenen Hygienemaßnahmen nieder. Gärtner nannte als Beispiele die vollständige Desinfektion eines Krankenwagens nach dem Transport eines mit MRSA-kolonisierten Patienten oder eine Verweisung aus Pflegeheimen.
Wie virulent ist ein mit MRSA kolonisierter Patient tatsächlich und welche Hygienemaßnahmen sind sinnvoll? Gärtner erläuterte hierzu die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts.
Empfehlungen des RKI
Den Empfehlungen des RKI zufolge besteht keine Kontraindikation zur Aufnahme MRSA-besiedelter Personen in Alten- und Pflegeheimen. Übertragungen von MRSA zwischen Bewohnern bzw. zwischen Bewohnern und Personal sind nicht zu befürchten – vorausgesetzt, es werden gewisse Hygienemaßnahmen eingehalten. Dazu gehören:
- Vor und nach der Pflege und Behandlung jedes Patienten muss eine hygienische Händedesinfektion erfolgen.
- Bei Kontakt mit infektiösen Körpersekreten müssen Schutzhandschuhe und patientengebundene Schutzkittel getragen werden.
- Nach jedem Kontakt mit MRSA-besiedelten Patienten müssen die Handschuhe entsorgt werden; der Schutzkittel bleibt im Zimmer; anschließend werden die Hände desinfiziert.
- Offene Wunden müssen abgedeckt oder verbunden werden.
- Harnwegskatheter müssen in geschlossenen Systemen abgeleitet werden, Faeces werden bei inkontinenten Patienten in Vorlagen aufgefangen.
Diese Vorgaben sind auch für die häusliche Pflege eines MRSA-Trägers sinnvoll. Die Händedesinfektion sollte mit 70%igem Isopropanol erfolgen, patientennahe Flächen sind ebenfalls zu desinfizieren. Die Wäsche muss nicht separat gewaschen werden, Abfall kann über den Hausmüll entsorgt werden, das Krankenzimmer wird normal gereinigt.
Nase und Rachen sanieren
Die Sanierung der mit MRSA besiedelten Nase erfolgt mit Mupirocin (Turixin® Salbe, InfectoPyoderm® Salbe). Zur Sanierung des Rachens und der Haut werden zusätzlich desinfizierende Mundspülungen sowie Ganzkörperwaschungen der intakten Haut und der Haare mit antiseptischen Seifen und Lösungen empfohlen. Gesunde MRSA-Träger werden nicht systemisch mit Antibiotika behandelt. Eine systemische Antibiose ist nur bei klinisch manifesten Infektionen angezeigt.
Rationaler Antibiotikaeinsatz bei Kindern
Die meisten Infektionskrankheiten bei Kindern sind viral bedingt und sollten nicht antibiotisch behandelt werden. Denn überflüssige antimikrobielle Therapien begünstigen die Resistenzentwicklung und verkleinern das therapeutische Arsenal. Der Einsatz von Antibiotika sollte nach rationalen und Evidenz-basierten Gesichtspunkten erfolgen. Dies ist nach Aussage von Prof. Dr. Reinhard Berner, Freiburg, nicht immer ganz einfach, da die Eltern häufig eine übertriebene Erwartungshaltung oder eine nicht zu rechtfertigende Abwehrhaltung gegenüber Antibiotika haben. Zudem ist es auch für den geschulten Pädiater nicht immer einfach, bakterielle und virale Infekte voneinander zu unterscheiden.
In Zweifelsfällen: Erreger nachweisen
Bei einer Angina tonsillaris kann die gerötete Zunge auf eine Streptokokkeninfektion (Scharlach) hinweisen. Liegt tatsächlich eine Infektion mit A-Streptokokken vor, muss das Kind antibiotisch behandelt werden, um Spätschäden vorzubeugen. Mittel der Wahl ist die zehntägige Behandlung mit Penicillin; Alternativen sind Erythromycin oder Cefuroxim. Ist der Infekt viral bedingt, ist eine antimikrobielle Therapie nutzlos. Da im aufgeführten Beispiel aufgrund der Symptome (Zungenverfärbung) keine eindeutige Diagnose gestellt werden kann – die klinische Treffsicherheit liegt bei 50% –, ist der Erregernachweis (mittels Kultur oder Schnelltest) erforderlich.
Otitis media
Die Mittelohrentzündung (Otitis media) tritt vor allem im dritten und vierten Lebensjahr auf und ist in den allermeisten Fällen viral bedingt. Der seltene Befall mit Pneumokokken oder Haemophilus influenzae rechtfertigt keine sofortige Antibiotikatherapie. Primär steht eine Schmerztherapie mit Ibuprofen und eventuell die Gabe von Nasentropfen im Vordergrund. Sind die Beschwerden nach 48 Stunden nicht abgeklungen, kann eine Antibiotikatherapie erfolgen. In der Praxis hat es sich bewährt, den betroffenen Kindern ein Schmerzmittel zu geben und den Eltern ein Rezept für ein Antibiotikum auszuhändigen, das sie im Bedarfsfall nach 48 Stunden einlösen sollen. In den meisten Fällen wird aber kein Antibiotikum benötigt.
Infekte der unteren Atemwege
Wie die Otitis media werden auch Infekte der unteren Atemwege meist durch Viren hervorgerufen. Der Infekt ist durch Husten, der länger als fünf Tage (im Median 18 Tage) anhält, und durch das Ausbleiben von Fieber und Tachykardien charakterisiert. Eine deutliche Erhöhung der Atemfrequenz deutet auf eine Pneumonie hin, die antibiotisch behandelt werden muss. Das Mittel der Wahl ist Amoxicillin während sieben bis zehn Tagen. In allen anderen Fällen ist keine antimikrobielle Therapie angezeigt.
Keine Angst vor Superinfektionen
Teilweise besteht die Sorge, ohne eine antimikrobielle Therapie bakteriellen Superinfektionen Vorschub zu leisten und das Kind zu gefährden. Berner stellte eine Untersuchung vor, die diese Sorge entkräftet. An der amerikanischen Studie nahmen 383 Kinder mit respiratorischen Infekten teil, die teils mit, teils ohne Antibiotika therapiert wurden. Zu außerplanmäßigen Arztbesuchen kam es bei 44% der Kinder der Antibiotika-Gruppe, aber nur bei 29% der Kinder, die nicht antibiotisch behandelt wurden. In der folgenden einjährigen Verlaufsbeobachtung war die Rate bakterieller Superinfektionen in beiden Gruppen gleich.
Alte oder neue Antibiotika?
Die Annahme, ambulant erworbene Infektionen könnten nur mit den neuesten Antibiotika therapiert werden und ältere Wirkstoffe seien weniger gut wirksam, trifft nicht zu. Berner erläuterte dies anhand einer Studie aus Finnland, in der Kinder mit einer hochfieberhaften Infektion entweder Penicillin oder das neuere Cefuroxim erhielten. Mit beiden Antibiotika konnten gleich gute Ergebnisse erzielt werden.
Anhand dieser beiden Studien zeigte Berner auf, dass ein zurückhaltender Einsatz von Antibiotika und die Wahl eines älteren antimikrobiellen Wirkstoffes nicht mit Nachteilen für das Kind verbunden sind. Im Gegenteil: Eine restriktive Antibiotikatherapie beugt Resistenzen vor und vergrößert die Chance, dass im Ernstfall wirksame Substanzen zur Verfügung stehen.
Gesundheitsgefahren in den Tropen
Jedes Jahr reisen rund acht Millionen Deutsche in Länder der Tropen und Subtropen und können dort mit einer Vielzahl an Krankheitserregern in Kontakt kommen. Krankheitssymptome wie Fieber, gastrointestinale Störungen, Hauterkrankungen und Allgemeinbeschwerden nach der Rückkehr werden häufig nicht mit der Fernreise in Verbindung gebracht, zumal, wenn diese Symptome erst nach einiger Zeit auftreten. Sucht ein Patient mit unklaren Beschwerden Rat in der Apotheke, sollte er immer nach zurückliegenden Fernreisen befragt und gegebenenfalls zu entsprechenden Fachärzten geschickt werden.
Die häufigsten Tropenkrankheiten, die nach einer Fernreise auftreten, sind in Deutschland die Malaria und das Dengue-Fieber. Das Dengue-Virus wird von Stechmücken übertragen. Es verursacht eine akute fieberhafte Erkrankung mit Kopf- und Gliederschmerzen und manchmal Hautausschlag. Die schweren, zum Teil tödlichen Verlaufsformen mit diffusen Blutungen (hämorrhagisches Dengue-Fieber) und Kreislaufversagen (Dengue-Schocksyndrom) treten in der Regel nur bei erneuter Infektion auf.
Ferner spielen Typhus abdominalis, Durchfallerkrankungen durch Amöben oder Giardien (Lamblien) sowie tropische Hauterkrankungen eine nicht unerhebliche Rolle. Priv.-Doz. Dr. August Stich, Würzburg, betonte, dass nicht nur Fernreisende aus Deutschland, sondern auch zunehmend Migranten und Flüchtlinge in Deutschland an Tropenkrankheiten leiden. Letztere werden oftmals aufgrund ihres unzureichenden Versicherungsschutzes nicht adäquat behandelt.
Prävention vor und während der Reise
Die Prävention wird häufig vernachlässigt, obwohl man sich vor vielen tropischen Krankheitserregern schützen kann. Spätestens vier Wochen vor Reisebeginn sollte man sich umfassend beraten lassen, damit eventuell erforderliche Impfungen noch möglich sind. Die Expositionsprophylaxe umfasst die Abwehr von Stechinsekten. Hier haben sich neben langer, heller Kleidung vor allem insektizidgeprägte Moskitonetze und das Einreiben unbedeckter Hautstellen mit Repellents bewährt. Ferner ist auf eine adäquate Malariaprophylaxe zu achten. Die Mitnahme eines Standby-Medikaments wird kontrovers diskutiert. Nicht zu unterschätzen sind allgemeine hygienische Maßnahmen, da viele tropische Erreger fäkal-oral übertragen werden.
Probleme bei der Malariatherapie
In Deutschland erkranken pro Jahr ungefähr 700 Personen an Malaria. In schweren Krankheitsfällen mit ZNS-Beteiligung und Organkomplikationen ist parenterales Chinin das Mittel der Wahl. Allerdings steht seit einigen Jahren in Deutschland kein Chininpräparat zur intravenösen Anwendung mehr zur Verfügung. Eine Alternative ist Quinimax® , das importiert werden muss. In unkomplizierten Fällen werden Mefloquin, Atovaquon plus Proguanil oder Artemether/Lumefantrin (Riamet®) eingesetzt.
Lage in den Tropen
Wie Stich aufzeigte, können die meisten Infektionen bei Fernreisen durch eine vernünftige Prophylaxe verhindert werden oder in den allermeisten Fällen therapiert werden – sofern der Patient die nötigen Kosten trägt. Die meisten Bewohner der tropischen Länder sind dazu nicht imstande, bei ihnen sind Infektionskrankheiten deshalb die häufigste Todesursache. Malaria, Tuberkulose, Durchfallerkrankungen, Schistosomiasis (Bilharziose) und HIV-Infektionen sind für ein Drittel aller Todesfälle auf der Welt verantwortlich. Es gibt erste Ansätze, neue Arzneimittel nicht nur nach ökonomischen Kriterien zu entwickeln und zu vermarkten. Ein Beispiel hierfür ist die HIV-Therapie, die in einigen Ländern Afrikas inzwischen erschwinglich ist. Was weiterhin fehlt, sind Aufklärung und die Koordination der unterschiedlichen Hilfsprogramme.
Tab. 1: Antibiotikaverordnungen in Deutschland, 2004 | ||
Antibiotikagruppe |
Anteil |
DDD/1000 |
Basispenicilline |
30,0% |
1403 |
Tetracycline |
25,0% |
1169 |
Neuere Makrolide |
12,8% |
599 |
Staphylokokkenpenicilline mit Oralcephalosporinen |
11,2% |
525 |
Fluorchinolone |
9,0% |
423 |
- Jede dritte Antibiotikaverordnung in Deutschland entfällt auf ein Reserveantibiotikum.
- Jedes Kind bis zum Alter von zehn Jahren erhält im Durchschnitt eine einwöchige Antibiotikatherapie pro Jahr. Somit gehören Kinder zu den stärksten Verbrauchern.
- Die Verordnungshäufigkeit von Antibiotika steigt parallel zur Konsultationsinzidenz an.
- Zwischen 1995 und 2004 wurden im ambulanten Bereich mehr neuere Makrolide (+13%) und mehr Fluorchinolone (+43%) verordnet. Im selben Zeitraum sanken die Verordnungen von älteren Makroliden (–55%), Folsäureantagonisten (–48%), Tetracyclinen (–36%) und Basispenicillinen (–13%).
- Es erfolgt ein unkritischer Einsatz von Antibiotika ohne zwingende Indikation (etwa bei akuter Bronchitis oder grippalem Infekt).
- Teilweise werden ungeeignete Antibiotika (z. B. Ciprofloxacin bei Atemwegsinfektionen) verordnet.
- Im ambulanten Bereich in Tagesdosen pro 1000 Einwohner, kurz: DDD/1000
- In Kliniken und Pflegeheimen in Tagesdosen pro 100 Pflegetage, kurz: DDD/100
- Jährliche Impfung gegen Influenza im Herbst
- Impfung gegen Pneumokokken
- Nicotinkarenz
- S1 – Expertenempfehlung
- S2 – Empfehlungen nach Evidenz-Recherche oder durch formale Konsensusfindung
- S3 – Leitlinie mit allen Elementen systematischer Entwicklung; d. h. Evidenz-Recherchen plus formale Konsensusfindung plus Beteiligung der Patientenvertretungen
- Bettlägerigkeit, geringe Mobilität
- Hohes Alter
- Ausgedehnte Hautläsionen (offene Wunden, Dekubitus)
- Diabetes mellitus
- Periphere Durchblutungsstörungen
- Krankenhausaufenthalt im letzten halben Jahr
- Langdauernde Antibiotikatherapie
- Hohe Pflegestufe
- Invasive Maßnahmen (PEG-Sonde, Infusionen, Endoprothesen)
- Harnwegskatheter
- Längere Heimaufenthalte
- Weltweit gesehen nimmt die Inzidenz der Malaria zu; aus Deutschland werden aber immer weniger Malariafälle gemeldet.
- Die deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e.V. gibt allgemein anerkannte Empfehlungen zu Prophylaxe und Therapie (www.dtg.org).
- Einige spezifische Malariamedikamente sind zunehmend schwer zu beschaffen.
- Migranten wird zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
- Die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels sind derzeit noch unklar.
- Aufklärung des Reisenden über das Malariarisiko
- Schwangeren Frauen und Kindern unter 5 Jahren ist vom Aufenthalt in Malariagebieten abzuraten
- Informationen über Maßnahmen zur Vermeidung von Insektenstichen
- Warnung, dass Malaria trotz Chemoprophylaxe auftreten kann
- Information über die Symptome einer Malaria und die Notwendigkeit, bei Auftreten dieser Symptome einen Arzt aufzusuchen; Hinweis auf die Lebensgefahr bei verzögerter Diagnostik und Therapie
- Frage nach vorbestehenden Krankheiten, regelmäßiger Medikamenteneinnahme, Allergien und nach bestehender Schwangerschaft
- Frage nach geplanten Aktivitäten während der Reise, z. B. Tauchen und Bergsteigen
- Aufklärung über die regelmäßige Einnahme der verordneten Medikamente zur Vorbeugung bzw. zur notfallmäßigen Selbsttherapie
- Hinweis auf die Notwendigkeit der Fortsetzung der Chemoprophylaxe nach Verlassen des Malariagebietes
- Aufklärung über die Nebenwirkungen der verordneten Medikamente
- Hinweis darauf, dass bei Malaria oder Malariaverdacht während der Reise nach Rückkehr ein Arzt aufgesucht werden sollte
- Mitgabe von schriftlichem Informationsmaterial zum Verbleib bei dem Reisenden
- Empfehlung an den Reisenden, wegen des oft unkalkulierbaren Wirkstoffgehaltes keine Malariamedikamente im Ausland zu kaufen
- Kenntnis des Erregers
- Wissen, was genau gegen diesen Erreger hilft
- Beachtung möglicher Resistenzprobleme
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