Außenansicht
Soeben hat das IQWiG, unser nationales Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, wieder ganze Arbeit geleistet und den Nutzen von fünf der in Deutschland zur Behandlung von Bluthochdruck zugelassenen und verfügbaren Wirkstoffgruppen untersucht und miteinander verglichen, und zwar den von Diuretika, Beta-Blockern, ACE-Hemmern, Calcium-Antagonisten und Angiotensin-II-Antagonisten. Beurteilt werden sollte der Nutzen der Antihypertensiva, also, wie gut sie mögliche Folgekomplikationen einer Hypertonie – etwa Schlaganfall oder Herzkrankheiten – verhindern können. Hierfür hat das Institut 16 ihm für geeignet erscheinende Studien ausgewählt und analysiert.
Das Institut kommt in seinem Vorbericht zu dem Schluss, dass Diuretika (Thiazide und Chlorthalidon) die einzigen sind, die bei keinem Therapieziel einer anderen Wirkstoffgruppe unterlegen, bei einigen Aspekten anderen sogar überlegen waren. Mit seiner hieraus abgeleiteten Empfehlung, in Zukunft (hoch dosierte) Diuretika primär und als Monotherapie bei essenzieller Hypertonie einzusetzen, steht das IQWiG in klarem Gegensatz zu den gegenwärtigen nationalen und europäischen Therapieempfehlungen der betreffenden wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Und natürlich hat es damit auch sogleich massive Kritik bei Arzneimittelexperten, der Deutschen Hochdruckliga und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller ausgelöst. (Aber das ist aus Sicht des Instituts vermutlich nicht unerwünscht, wüssten doch viele sonst gar nicht, dass das IQWiG existiert und Wichtiges tut.)
Da es nicht das Ziel der IQWiG-Studie war, die Blutdrucksenkung, sondern den Nutzen dieser Maßnahme für den Patienten zu ermitteln, wurde vor allem die Verhinderung der Folgen von Bluthochdruck (Herzkrankheiten, Schlaganfälle, sonstige Herz-Kreislauf-Krankheiten, Nierenschäden) untersucht. Als Nutzen definiert das IQWiG das Therapieziel "Lebensverlängerung", womit wahrscheinlich "Lebenserhaltung" gemeint sein soll.
Es sei hier nicht diskutiert, warum bestimmte Studien herangezogen und viele andere nicht berücksichtigt wurden, auch nicht, wie relevant der langsame Anstieg des Blutzuckerspiegels unter Diuretika für Patienten ist, vielmehr seien zwei Punkte methodischer Art angesprochen, die auffallen und erhebliche Zweifel an dem wissenschaftlichen Wert der IQWiG-Studie aufkommen lassen, nämlich die Mischung von Studien unterschiedlicher Populationen und die Vernachlässigung des Faktors Compliance.
Wenn man den Nutzen verschiedener Antihypertensiva für Hochdruckkranke in unserer Bevölkerung untersuchen und zu einem brauchbaren Ergebnis kommen will, dann muss man hierfür auch Studien heranziehen, die an mit uns vergleichbaren Populationen erhoben wurden, aber nicht, wie hier teilweise geschehen, an solchen, die wie Afro-Amerikaner und Japaner mit Mitteleuropäern in vieler Hinsicht nicht vergleichbar sind. In einem Interview mit der "Münchner Medizinischen Wochenschrift" verteidigt sich der IQWiG-Chef zwar mit dem Hinweis, dass in den betreffenden Studien "Schwarze" und "Nicht-Schwarze" getrennt betrachtet wurden, aber das macht die Sache auch nicht besser, denn die weißen Amerikaner sind nun mal weiße Amerikaner und keine Mitteleuropäer. Und das sollte man eigentlich wissen.
Noch wichtiger ist die Frage, warum das Compliance-Problem keine Berücksichtigung fand. Hierauf angesprochen, gibt das Institut selbst eine Antwort, und sie ist erstaunlich: "Dies ist nicht Aufgabe unserer Analyse". Also, diese Aussage hätte das IQWiG nun wirklich nicht machen sollen, zeigt sie doch, dass man im Institut die immense Bedeutung der Compliance für eine rationale Arzneimittelbehandlung entweder nicht kennt oder nicht für relevant hält.
Man tut hier so, als hätte das eine mit dem anderen gar nichts zu tun, als könne man den Nutzen eines Medikaments unabhängig von der Compliance seiner Verwender betrachten. Beides gehört nun einmal zusammen, hoher Nutzen eines Medikaments setzt gute Compliance des Patienten voraus, und wenn man – wie hier geschehen – über die Compliance der Diuretika-Verwender gar nichts weiß (und sie gilt als nicht besonders gut), dann kann man auch über den Nutzen der Diuretika keine Aussagen machen.
Ein Arzneimittel wirkt nur, wenn es eingenommen, und wirkt nur richtig, wenn es kontinuierlich angewandt wird. Für schlechte Compliance gibt es bekanntlich vielerlei Ursachen. Bei der weitgehend beschwerdefreien Hochdruckkrankheit stehen die Nebenwirkungen des Arzneimittels selbst im Vordergrund. Umfangreiche klinische Studien haben schon in den siebziger Jahren gezeigt, dass unter einer antihypertensiven Therapie im Vergleich zu unbehandelten Personen weniger Todesfälle durch Schlaganfall oder Herz- und Nierenversagen auftreten, immer vorausgesetzt, dass die Compliance gut ist. Je schlechter sie nämlich bei der Langzeitbehandlung chronischer Krankheiten ist, umso weniger kann der Nutzen dieser prophylaktisch angewandten Medikamente genutzt werden. Und so wie man ohne Berücksichtigung der Compliance weder die Dosis-Wirkungs-Beziehungen eines Arzneimittels noch seine Nebenwirkungen richtig beurteilen kann, so kann man auch über seinen Nutzen kein vollständiges Bild erhalten. Aber auch dies sollte man eigentlich wissen.
Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" greift Heilmann Themen aus Pharmazie, Medizin und Gesellschaft aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen auf.
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