Arzneimittel und Therapie

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Impfung zur Prävention der akuten Otitis media zugelassen

Der siebenvalente Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff Prevenar® hat von der europäischen Zulassungsbehörde die Zulassung zur Prävention der akuten Otitis media bei Kindern im Alter von zwei Monaten bis fünf Jahren erhalten. Die Impfung wird bereits seit August 2006 generell für alle Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr gegen invasive Pneumokokken-Infektionen wie Sepsis, bakteriämische Pneumonie und Meningitis von der STIKO empfohlen.

Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae) werden von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion übertragen und besiedeln den Nasen-Rachen-Raum. Nicht alle Infizierten entwickeln Symptome, viele sind lediglich Träger der grampositiven Bakterien. Insbesondere erkranken Säuglinge und Kleinkinder sowie ältere Menschen und Personen mit einem geschwächten Immunsystem. Es gibt viele verschiedene Pneumococcus-Serotypen. Derzeit lassen sich nach einer dänischen Nomenklatur 90 verschiedene Kapselpolysaccharid-Typen unterscheiden. Aber nur etwa 10 bis 20 davon sind für den überwiegenden Anteil der Infektionen beim Menschen verantwortlich.

Pneumokokken verursachen schwere Erkrankungen. Von den oberen Atemwegen ausgehend können die Erreger in die Nasen-Nebenhöhlen vordringen und zu einer Sinusitis führen. Erreichen sie über die Eustachsche Röhre das Mittelohr, ist eine akute Otitis media die Folge. Gelangen die Erreger in die Alveolarräume der Lunge, kommt es zu einer Pneumokokken-Pneumonie. Besonders gefürchtet ist eine Aussaat der Bakterien in den Blutstrom, wodurch invasive Infektionen wie Sepsis, Meningitis oder bakteriämische Pneumonie ausgelöst werden. Die Inzidenz invasiver Infektionen ist besonders in den ersten beiden Lebensjahren hoch. Allein in Deutschland werden jährlich etwa 1500 Fälle invasiver Pneumokokken-Infektionen diagnostiziert. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellen sie bei Kindern unter fünf Jahren die Hauptursache von Todesfällen dar. Die Sterblichkeit der Meningitis liegt bei Kindern bei 7,5% und Folgeschäden wie Taubheit, Lähmungen, Epilepsie oder Entwicklungsstörungen finden sich in mehr als 20% der Fälle.

Akute Otitis media weit verbreitet

Jährlich treten ca. 900.000 Fälle bei Säuglingen und Kleinkindern bis zum 3. Lebensjahr auf und etwa 40% aller Kinder erkranken bis zum 10. Lebensjahr mindestens einmal an einer akuten Otitis media. Bis zum dritten Lebensmonat hat jedes zehnte Kind mindestens eine Episode. Der Altersgipfel der Erkrankung liegt zwischen dem sechsten und 15. Monat.

Problematisch sind neben der Schmerzhaftigkeit der Erkrankung eine hohe Rezidivrate und mögliche Komplikationen wie Mittelohrerguss, chronische Mittelohrentzündung, vorübergehender Hörverlust und eine verzögerte Sprachentwicklung. Um Folgeschäden zu verhindern, wird in schweren Fällen, das heißt bei rezidivierenden Infektionen oder wenn ein Paukenerguss länger als drei Monate besteht, zur verbesserten Belüftung des Mittelohres häufig die Einlage von Paukenröhrchen vorgenommen. So werden bei uns rund 114.000 Paukenröhrchen bei Kindern unter sechs Jahren pro Jahr gelegt.

Neben Haemophilus influenzeae (27%) und Moraxella catarrhalis (10%) ist Streptococcus pneumoniae (38%) der Haupterreger für eine akute Otitis media, eine der häufigsten Erkrankungen im Kindesalter. Pneumokokken sind nicht nur die häufigsten Erreger der bakteriellen Mittelohrentzündung, sondern sie verursachen auch die schwersten Symptome und sind insbesondere für die nicht spontan abheilenden Fälle verantwortlich.

Hoher Stellenwert der Impfprophylaxe

Grundsätzlich kann eine durch Pneumokokken verursachte Mittelohrentzündung gut antibiotisch behandelt werden, wobei insbesondere Amoxicillin, Cephalosporine und Makrolide zum Einsatz kommen. Das Hauptproblem der Therapie sind aber die Antibiotikaresistenzen. In Deutschland hat in den letzten Jahren besonders die Resistenz von Pneumokokken gegenüber Makroliden zugenommen.

Durch eine Impfung mit dem Konjugatimpfstoff kann die Zunahme der Resistenzraten verhindert werden, da Pneumokokken-Infektionen seltener auftreten und somit weniger Antibiotikagaben nach sich ziehen.

7-valenter Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff

Nicht zuletzt aufgrund der vermehrten Antibiotikaresistenzen liegt eine große Hoffnung auf dem im Jahr 2001 in Europa zugelassenen 7-valenten Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff Prevenar® Dieser Impfstoff ermöglicht eine ausreichende Immunantwort und ein immunologisches Gedächtnis schon bei Säuglingen und Kleinkindern unter zwei Jahren durch Konjugation jedes einzelnen Kapselpolysaccharides mit einem Protein-Carrier. Zusätzlich sind Herdimmunitätseffekte zu verzeichnen, das heißt es kommt durch Impfung der ganz Kleinen auch zu einem Rückgang der Krankheitsfälle bei Nichtgeimpften aller Altersgruppen. Diese Vakzine schützt nach einer vollständigen Immunisierung langfristig vor den sieben häufigsten Serotypen von Streptococcus pneumoniae (4, 6B, 9V, 14, 18C, 19F und 23F). Diese Serotypen sind für 80% der invasiven Pneumokokken-Infektionen bei Kindern unter zwei Jahren in Deutschland verantwortlich. Hinzu kommt eine Erhöhung der klinischen Effektivität durch Kreuzimmunität.

Impferfolge in Studien belegt

In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass durch eine konsequente Impfung ein Großteil der invasiven Erkrankungen und ihre Folgeschäden vermieden werden. So wurde die klinische Wirksamkeit in der Kaiser-Permanente-Studie in Kalifornien, USA an ca. 37.000 Kleinkindern belegt. 97,4% der invasiven Pneumonie-Infektionen konnten durch die Impfung mit dem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff verhindert werden. Auch nicht-invasive, durch Pneumokokken ausgelöste Erkrankungen wie eine Otitis media wurden durch die Impfung reduziert.

Eine finnische Studie mit 1662 Kindern unter zwei Jahren belegte ebenso die Wirksamkeit von Prevenar® bei Mittelohrentzündungen. So reduzierte die Vakzine die Fälle akuter Otitis media durch Impfstoffserotypen im Vergleich zu nicht geimpften Kindern um 57%. Alle durch Pneumokokken verursachten Fälle nahmen bei geimpften Kindern um 34% und von akuter Otitis media insgesamt um 6% ab.

In einer weiteren US-Studie wurde nachgewiesen, dass der Konjugatimpfstoff auch bei den rezidivierenden Otitiden oftmals den notwendigen Einsatz von Paukenröhrchen um 20,3% in der Per-Protocol-Analyse reduzieren konnte. Diese Studie zeigte auch, dass nach Einführung von Prevenar® die Rate der ambulanten Arztbesuche aufgrund einer Mittelohrentzündung bei Kindern unter zwei Jahren um 20% sank.

Impfstoff gut ins Impfschema integrierbar

Seit August 2006 existiert eine generalisierte Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) für den Pneumokokken-Konjugatimpfstoff für alle Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr. Die Vakzine kann zeitgleich mit dem derzeit auf dem Markt befindlichen hexavalenten Impfstoff, anderen Tdap-Kombinations-Vakzinen, dem MMR- sowie der Varizellen-Vakzine im Rahmen der üblichen Vorsorgeuntersuchungen vorgenommen werden. Alle gesetzlichen Krankenkassen übernehmen bundesweit die Kosten der Impfung.

Ausblick

Natürlich bleibt auch nach Impfung mit dem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff die Möglichkeit bestehen, an einer akuten Mittelohrentzündung zu erkranken, da Pneumokokken nicht alleinige Verursacher einer Otitis media sind. Aber angesichts des häufigen Auftretens der durch Pneumokokken ausgelösten Erkrankung und ihrem oftmals schweren Krankheitsverlauf stellt der Impfschutz vor Otitis media einen wichtigen zusätzlichen Effekt dar. Pädiater befürworten eine Impfung auch aus allergiepräventiver Sicht, da ein verringerter Antibiotikagebrauch besonders im 1. Lebensjahr einen positiven Effekt auf die Atopieentwicklung zu haben scheint. Im Vordergrund der Pneumokokken-Impfung stehen aber weiterhin der Schutz vor invasiven Erkrankungen wie Meningitis, Sepsis oder bakteriämische Pneumonie. Zur Prävention von Lungenentzündungen, die über eine Tröpfcheninfektion mit Pneumokokken verursacht werden ("klassische" Pneumonie) wird in Kürze ebenfalls eine Zulassung erwartet.

Quelle

Prof. Dr. Ralf René Reinert, Aachen; Prof. Dr. Wolfgang Elies (em.), Bielefeld; Dr. Andreas Busse, Tegernsee: "Kleine Ohren effektiv schützen – Prevenar® erhält Zulassung für Otitis media", Dresden, 17. April 2007, veranstaltet von der Wyeth Pharma GmbH, Münster.

Apothekerin Gode Meyer-Chlond
Otitis media bei Kindern Etwa 38% aller Mittelohrentzündungen werden durch Pneumokokken verursacht. Jetzt wurde ein 7-valenter Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff auch zur Prävention der akuten Otitis media bei kleinen Kindern zugelassen.
Foto: SPL/Agentur Focus

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