Aus der Hochschule

Arzneistoffentwicklung und -anwendung

Modellierung und Simulation

Im Vergleich zu Anfang der 90er Jahre sind die Forschungsausgaben der deutschen Pharmaindustrie gestiegen, doch wurden weniger Arzneistoffe neu zugelassen. Vor zwei Jahren startete die FDA die Critical Path Initiative, um die Techniken und Methoden in der Arzneimittelentwicklung zu verbessern. Durch Modellierung und Simulation (M&S) soll bereits am Ende der Phase IIa der klinischen Prüfung eines Arzneistoffs vorhersehbar sein, ob er sich in der Phase III bewährt. Mit dem Thema M&S befasste sich die Fachgruppe Klinische Pharmazie der DPhG auf ihrem Vorsymposium zur DPhG-Jahrestagung 2006 in Marburg.

Neben der kompartimentfreien Analyse und Standard-Kompartiment-Modellen sind physiologisch basierte pharmakokinetische (PBPK) Modelle für M&S besonders wichtig. Sie beruhen u. a. auf Molekülmasse, Lipophilie und pkS-Wert der Prüfsubstanzen. Ein PBPK-Modell beschreibt die gemessenen Daten möglichst gut und sagt die Konsequenzen für die Pharmakokinetik vorher, wenn sich die physiologischen Parameter ändern (Simulation). Die Voraussagen können mit den tatsächlichen Ergebnissen verglichen und dann entsprechend verbessert werden. Mögliche Gründe für Abweichungen zwischen Modell und Realität können z. B. aktive Transportprozesse sein, die in dem PBPK-Modell nicht berücksichtigt wurden.

Bayer Technologies bietet die Software-Plattform PkSim® für das PBPK-Modelling an. Durch PBPK-Simulation können Daten vom Tier (präklinische Phase) auf den Menschen (klinische Phase) extrapoliert werden oder Interaktionen vorhergesagt werden. Außerdem können Variabilitäten aufgrund von Größe, Gewicht oder Alter des Patienten vorhergesagt werden.

Das M&S Plan erfordert ein effektives Datenmanagement, ausreichend Rechenleistung und ein validiertes System für die Dokumentation und Qualitätssicherung. Hierzu hat Boehringer Ingelheim die Plattform Prophet erstellt, die es ermöglicht, effizient und parallel populationskinetische Auswertungen mit Nonmem® zu machen oder statistische Analysen mit S-Plus durchzuführen. Ein M&S sollte auch Biomarker und pharmakogenetische Daten berücksichtigen.

M&S in der Onkologie

Die Onkologie stellt den drittgrößten pharmazeutischen Markt dar. Neben die klassischen Zytostatika sind monoklonale Antikörper, Tyrosinkinase-Inhibitoren und die Gentherapeutika getreten. Die Dosierung von onkologischen Arzneistoffen erfolgt meist in mg/m2 Körperoberfläche (KOF), wobei die Berechnungsformel zur KOF aus dem Jahr 1916 stammt. In klinischen Studien mit M&S-Auswertung konnte gezeigt werden, dass monoklonale Antikörper besser anhand des Körpergewichts (mg/kg) zu dosieren sind. Bei Carboplatin wird die Dosis anhand der gewünschten AUC und der aktuellen Kreatinin-Clearance berechnet. Für mehrere Zytostatika wurden PK/PD-Modelle entwickelt, die die Dauer und Stärke der manchmal lebensbedrohlichen Neutropenie vorhersagen. Dabei spielt z. B. die Reifedauer von neutrophilen Granulozyten eine Rolle.

M&S im TDM

Das Therapeutische Drug Monitoring (TDM) beruht auf verschiedenen Methoden.

Die limited-sampling Methode (LMS) bestimmt die pharmakokinetischen Parameter zunächst durch häufige Probenentnahmen in jedem Patienten, anschließend werden die Entnahmezeitpunkte aufgrund einer Korrelationsanalyse festgelegt. Die Bayes-Methode baut hingegen auf einem allgemeinen Erfahrungsschatz auf. Die Daten wurden in Computerprogramme (u. a. PKS® von Abbott oder Kinetidex®) eingearbeitet, die die Dosierung relevanter Arzneistoffe wie Aminoglykoside berechnen. An der Universität Bonn wurde mit Hilfe von Daten zu Etoposid ein populationspharmakokinetisches Modell mittels WinNonMix® und Adapt® erarbeitet.

Es hat sich gezeigt, dass die Bayes-Methode für das TDM gut geeignet und verlässlich ist. Voraussetzungen sind valide Populationsparameter und eine geeignete Software.

Die Immunsuppressiva Ciclosporin A und Mycophenolat-Mofetil sind durch das Risiko der Überdosierung mit schwerwiegenden Toxizitäten und die Gefahr der Transplantatabstoßung bei Unterdosierung klassische Kandidaten für ein TDM. Bei Ciclosporin A konnte mit Hilfe der Bayes-Methode die Anzahl der Plasmaspiegelbestimmungen auf zwei bis drei pro Tag reduziert werden.

Aufbaustudium in Pharmakometrie

Um die Ausbildung in der Pharmakometrie zu verbessern, haben die Universitäten Bonn und Halle gemeinsam mit Boehringer Ingelheim ein "Graduate Research Training Program in Pharmacometrics & Computational Disease Modelling" erstellt.

Boehringer Ingelheim hat bereits die Finanzierung von vier Doktoranden/innen zugesagt, Stipendien von weiteren pharmazeutischen Unternehmen sind zu erwarten. Interessenten können sich an Frau Prof. C. Kloft wenden: charlotte.kloft@pharmazie.uni-halle.de. Bewerbungen sind im 1. Quartal 2007 möglich.

Astrid Karstens, Mainz Georg Hempel, Münster

Quelle:

Referate von Dr. Hans Günter Schäfer (Boehringer Ingelheim, Biberach), Dr. Huisinga (Freie Universität Berlin, Dr. Schmitt (Bayer, Leverkusen), Dr. Grasmäder (Boehringer Ingelheim, Biberach), Prof. Dr. Charlotte Kloft (Univ. Halle), Prof. Dr. Ulrich Jaehde (Univ. Bonn), Dr. Ron Mathot (University Medical Center Rotterdam).

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