DPhG-Statement
Anspruch und Wirklichkeit einer individualisierten Therapie divergieren weit. Wer den "Pharmaceutical Science World Congress 2007" Ende April in Amsterdam besucht hat, dem wurde bewusst, dass aus wissenschaftlicher Sicht in den kommenden Jahren die Individualisierung der Therapie eine der wichtigsten Entwicklungen auf dem Arzneimittelgebiet sein wird. Patienten werden umfassender in Bezug auf ihren Genotyp und Phänotyp (über Alter und Gewicht hinausgehend) untersucht werden, um das geeignete Arzneimittel und dessen optimale Dosis treffsicher vorhersagen zu können. Das erhöht einerseits die Effektivität der Therapie und hält auf der anderen Seite die unerwünschten Wirkungen in Grenzen. Dies wird zu einer verbesserten Patienten-Compliance führen, was sehr wichtig ist, bedenkt man, dass z. B. schätzungsweise die Hälfte aller an Asthma bronchiale oder an Schizophrenie leidenden Patienten die Arzneimitteltherapie u. a. auf Grund unerwünschter Wirkungen oder fehlender Wirksamkeit abbricht. Letztlich führt eine gute Compliance auch zur Reduktion des Behandlungsaufwands, insbesondere durch eine Verringerung der Zahl der Arztbesuche und ggf. auch der Krankenhauseinweisungen. Deshalb empfiehlt z. B. die "Food and Drug Administration" in den USA nachdrücklich die Beobachtung von Biomarkern und die Feststellung von genetischen Polymorphismen bei pharmakokinetisch und pharmakodynamisch relevanten Zielstrukturen (z. B. Metabolismus-Enzyme und Rezeptoren).
Aber wie sieht die "Arzneimittelwirklichkeit" in Deutschland aus? Hier scheint zurzeit der Preis eines Arzneimittels im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Dosierungen nach der Devise "One size fits all" sind eher der Normalfall. Anstrengungen, neue Ansätze für eine individualisierte Therapie zu erarbeiten und zu etablieren, werden in unserem Gesundheitssystem nicht selten als "akademische Spielerei" angesehen. Einfache pharmakokinetische Strategien zur Dosisindividualisierung, wie das Therapeutische Drug Monitoring, kommen selbst dann nicht flächendeckend zur Anwendung, wenn der Nutzen für einen bestimmten Arzneistoff belegt ist. Dieser ist z. B. für Aminoglycoside, Vancomycin, Nelfinavir und Immunsuppressiva eindeutig in prospektiven, randomisierten klinischen Studien gezeigt worden. Auch Apotheker können und sollten ihren Beitrag zur individualisierten Therapie leisten und, wo immer dies möglich ist, Ärzte und Patienten unterstützen. Apotheker bringen die analytischen, pharmakologischen, klinisch-pharmazeutischen und molekularbiologischen Kenntnisse mit, die zur Durchführung und Interpretation von Methoden zur Therapieindividualisierung benötigt werden. Die Entwicklung von Strategien zur stärkeren Individualisierung der Arzneimitteltherapie stellt zudem ein attraktives Arbeitsgebiet für die pharmazeutischen Wissenschaften, insbesondere für die Klinische Pharmazie, dar. Pharmazeutische und medizinische Wissenschaften sollten hier zusammen wirken. Wenn der Patient davon schließlich in Form einer höheren Therapiequalität profitiert, dann ist dies alle Anstrengungen wert.
Prof. Dr. U. Holzgrabe (DPhG-Präsidentin), Prof. Dr. C. Kloft (Professorin für Klinische Pharmazie in Halle), Prof. Dr. U. Jaehde (Professor für Klinische Pharmazie
in Bonn), Prof. Dr. M. Schubert-Zsilavecz (DPhG-Vizepräsident), Prof. Dr. K. Mohr (DPhG-Generalsekretär)
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