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Wirtschaftsforum
Für Qualität und Wirtschaftlichkeit
DRESDEN (diz). "Die Apotheke steht für Qualität und Wirtschaftlichkeit!" – Hermann S. Keller, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), stellte diese Botschaft in den Mittelpunkt seines Lageberichts auf dem 44. Wirtschaftsforum, das am 10. und 11. Mai 2007 in Dresden stattfand. Wie bereits in der Apotheker Zeitung vom 14. Mai gemeldet, konnte er die erfreuliche Nachricht überbringen, dass die Friedenspflicht der Krankenkassen bei der Anwendung der Rabattverträge bis Ende Juni verlängert wurde. Das schützt Apotheken vor Retaxationen, wenn sie bei Beschaffungsschwierigkeiten von rabattierten Generika die herkömmliche Aut-idem-Regelung anwenden, um Patienten zeitnah beliefern zu können.
Keller beklagte die Regulierungswut der Politik im Gesundheitswesen: In den vergangenen zehn Jahren wurden die Apotheker faktisch alle elf Monate mit einem neues Spargesetz im Arzneimittelbereich konfrontiert. Die Folge: "Wir Leistungserbringer verlieren mittlerweile jegliche Planungssicherheit", so Keller. Antrieb für den Gesetzgeber ist die sich weiter öffnende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach Auffassung von Keller liegt die Ursache nicht in einer Ausgabenexplosion, sondern an einer Einnahmeimplosion: niedriges Wachstum der vergangenen Jahre, hohe Arbeitslosigkeit, zurückgehende sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Mittlerweile jedoch zieht die Wirtschaft an. Die Apotheker sind bereit, mit sicheren Versorgungsstrukturen und sicheren Arbeitsplätze den Aufschwung zu untermauern, so der Verbandsvorsitzende.
Keller ließ die Entstehung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes kurz Revue passieren. Apothekerproteste und eine intensive Verbandsarbeit auf allen Ebenen konnten verhindern, dass die Apotheken mit Arzneimittelhöchstpreisen und der Haftung für insgesamt 500 Mio. Euro kämpfen müssen. Allerdings mussten der Politik Alternativen angeboten werden, zu denen die Erhöhung des Kassenzwangsrabatts auf 2,30 Euro gehörten.
Derzeit sorgen die Rabattverträge (§ 130a Abs. 8 SGB V) der Kassen mit Arzneimittelherstellern für Chaos und Verwirrung in den Apotheken. Jeder Vertrag unterscheidet sich vom andern in seiner Ausgestaltung. "Hier ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht", prognostizierte Keller, "die Politik will diese Rabattverträge, und die Apotheken sind per Gesetz verpflichtet, die entsprechend rabattierten Arzneimittel abzugeben." Zwar haben die Apotheker ihre grundsätzliche Bereitschaft hierfür zugesagt, doch sollte nicht versäumt werden, die Apotheker einzubinden: "Wir sind nämlich diejenigen, die das ganze Prozedere letztlich umsetzen sollen", mahnte der DAV-Chef, aber es gibt noch Klärungsbedarf mit den Kassen. Keller nannte hier beispielsweise die Frage nach einem finanziellen Ausgleich für die EDV-Umstellung in den Rechenzentren und Apotheken.
Als Achillesferse der Rabattverträge könnte sich ein Lieferengpass der entsprechenden rabattierten Arzneimittel erweisen. Viele kleinere Generikahersteller sind – trotz Zusage zu liefern – mit den nachgefragten Mengen überfordert und können nicht liefern. In Verhandlungen mit den Krankenkassen konnte der DAV erreichen, dass der Apotheker ein Arzneimittel unter allen beteiligten Herstellern des Rabattvertrages auswählen kann. Können diese ausgewählten Hersteller nachweislich nicht über den Großhandel liefern, kann die normale Aut-idem-Regelung angewandt werden. Die mit den Kassen ausgehandelte bis Ende Mai geltende Friedenspflicht, die die Apotheken vor Retaxationen schützt, wenn sie nicht das verordnete rabattierte Arzneimittel abgeben können, wurde aufgrund der anhaltenden Lieferschwierigkeiten der Generikahersteller auf Ende Juni verlängert. Keller deutete an, dass dann womöglich erneute Verhandlungen nötig seien, wenn sich die Situation nicht deutlich gebessert habe.
Verbandslösungen folgen statt ruinösem Wettbewerb
Das GKV-WSG ermöglicht ferner eine freie Preiskalkulation im Bereich der Zytostatikarezepturen. Da gerade dieses Gebiet zum politischen Experimentierfeld für den freien Marktwettbewerb im gesamten Arzneimittelbereich werden könnte, warnte Keller davor, einen ruinösen Wettbewerb zu beginnen. Er schlug vor, hier den kollektiven Verbandslösungen zu folgen. Ähnliches gilt für das Gebiet des Auseinzelns, bei dem die entsprechende Preisberechnung zwischen Kostenträger und Apotheken oder deren Verbänden vereinbart werden kann. "Wer ruinösen Wettbewerb vermeiden will, sollte sich den Lösungen der Verbände anschließen", so Keller.
Neu gestaltet hat das GKV-WSG auch den Bereich der Hilfsmittelversorgung. Kostenträger können künftig Lieferverträge ausschreiben, auf die sich Apotheken oder deren Verbände bewerben. Anforderungen an die Qualifikation werden dann in den Lieferverträgen geregelt. Hier gibt es zwei Ausnahmen: Wer bis zum 31. März diesen Jahres zugelassen war, darf bis Ende 2008 weiterhin Versicherte versorgen. Außerdem sind Hilfsmittelausschreibungen nicht zulässig bei hohem Dienstleistungsaufwand und bei Individualanfertigungen. Auch hier hält es Keller für besser, Verbandslösungen zu folgen.
Angriffe auf das Fremd- und Mehrbesitzverbot
Nach der Zulassung des Arzneimittelversandhandels als Regelvertriebsweg greifen interessierte Kreise die nächste Hürde an: das Fremd- und Mehrbesitzverbot. Unterstützt werden diese Bemühungen von der EU-Kommission, die Wettbewerb in allen Bereichen durchsetzen will. Gegen Italien, Spanien, Österreich und Frankreich wurden mittlerweile Vertragsverletzungsverfahren eröffnet, weil dort keine Niederlassungsfreiheit besteht. Es geht, so Keller, im Kern um die Frage, ob Beteiligungen am Betrieb von Apotheken europarechtlich geboten sind, ob das Leitbild des Apothekers in seiner Apotheker aufrechterhalten werden kann.
Keller kritisierte, dass sich die Bundesregierung bei dem Verfahren gegen Italien nicht als Streithelfer beteiligen will. Damit hat die Bundesregierung nach Auffassung des DAV-Chefs eine Chance vertan, nationales Recht zu verteidigen und den parlamentarischen Willen ignoriert. Denn im Herbst 2006 hatten sich Vertreter aller Fraktionen mit Ausnahme der Grünen für den Erhalt des Fremd- und Mehrbesitzes ausgesprochen.
Offen ist auch der Ausgang des Rechtsstreits in Saarbrücken, wo der saarländische Ministerpräsident Hecken gegen geltendes deutsches Recht einer niederländischen Kapitalgesellschaft die Betriebserlaubnis für eine Apotheke erteilt hat. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat dem Verwaltungsgericht Saarlouis für das Hauptsacheverfahren die Anweisung erteilt, das Verfahren zur Klärung der Frage, ob das Fremd- und Mehrbesitzverbot mit der europarechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Dies ist mittlerweile geschehen – wann der EuGH entscheidet ist offen.
Ein weiterer Angriff auf das Fremd- und Mehrbesitzverbot kommt von Seiten der Celesio AG, die Ende April DocMorris übernommen hat. "Celesio/Gehe stellt sich gegen die inhabergeführte öffentliche Apotheke", kommentierte Keller diese Übernahme.
Dabei muss das Fremd- und Mehrbesitzverbot im Kontext des Gesamtsystems gesehen werden, das den Patienten vor unerwünschten Nebenwirkungen der Marktmechanismen wie Angebot und Nachfrage schützt. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot schützt den Apotheker – und damit den Patienten – vor dem Einfluss von kapitalgesteuerten Interessen auf pharmazeutisch erforderliche Maßnahmen. Denn in fremdkapitalgesteuerten Unternehmen geht es darum, den shareholder value zu steigern – die Celesio hat genau dies mit der Übernahme von DocMorris im Sinn. Wenn der Celesio-Chef Oesterle verkündet, den Prozess der Liberalisierung im Apothekenwesen aktiv mitgestalten zu wollen und ein Zeichen setzen will gegen Discountanbieter mit apothekenfernen Interessen, dann "klingt das vielleicht dynamisch und modern, unter dem Strich ist es aber schlichtweg eigennützig. Es geht hier nur um die eigene Macht- und Marktposition", warnte Keller. Die Celesio/Gehe trete sogar in Wettbewerb mit ihren eigenen Kunden.
Nach der Reform ...
... ist vor der Reform, so Keller. Allein am Meinungsbild von Politikern und Bürger lasse sich ablesen, dass die im April in Kraft getretene Gesundheitsreform nicht lange Bestand haben werde. Spätestens 2009 werde es nicht zuletzt mit dem Bundestagswahlkampf zu neuen Diskussionen um die Reform kommen. In 2009 soll auch der Apothekenabschlag von 2,30 Euro erneut angepasst werden nach den Kriterien, dass Kosten und Leistungen der Apotheke berücksichtigt werden: die Vergütung soll insgesamt leistungsgerecht sein. Die Verhandlungen mit den Kassen werden in 2008 beginnen, so Keller, als Grundlage dienen die Zahlen von 2007.
Schon heute ist abzusehen, dass die Arzneimittelausgaben steigen (demographische Veränderungen, hochpreisige Innovationen, Anhebung der Mehrwertsteuer). Keller warnte davor, dass die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung die Melkkuh der Bundesfinanzen wird. Die Apotheken, die allein mehr Menschen beschäftigen als pharmazeutische Hersteller und Großhändler zusammen, brauchen stabile Rahmenbedingungen und eine gerechte Entlohnung.
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