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Arzneimittel und Therapie
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Exzessiver Vitaminkonsum erhöht Risiko für Prostatakrebs
Erst vor wenigen Wochen kratzte eine Studie am positiven Image von Vitaminpräparaten. In ihr wurde festgestellt, dass die Einnahme von Betacarotin, Vitamin A und E die Sterblichkeit erhöht. Nun liegt eine weitere Untersuchung vor, die ebenfalls zu einem negativen Ergebnis für Vitaminsupplemente kommt: In der im Journal of the National Cancer Institute veröffentlichten Beobachtungsstudie war die exzessive Einnahme von Multivitaminpräparaten mit einer Verdoppelung des Risikos für ein tödliches Prostatakarzinom verbunden.
Die Studie basiert auf Datenmaterial, das Wissenschaftler des National Cancer Instituts gemeinsam mit der American Association of Retired Persons (AARP) seit Mitte der 1990er Jahre sammeln. Im Rahmen der AARP Diet and Health Study genannten Untersuchung wurden 1995/1996 insgesamt 295.344 Männer im Alter zwischen 50 und 71 Jahren per Fragebogen zu ihrer Ernährung, ihren gesundheitsbezogenen Lebensgewohnheiten sowie zu möglichen Risikofaktoren für Prostatakrebs befragt. Zu den gesundheitsbezogenen Lebensgewohnheiten gehörte auch die Frage nach der Einnahme von Multivitaminpräparaten. Dabei wurde zwischen drei Typen der Vitaminkonsumenten unterschieden:
- demjenigen, der Vitamine in Stress-Situationen einnimmt,
- dem "therapeutischen" Einnahmetypen und
- dem "Eine-pro-Tag"-Typen.
Zu jedem Einnahmetyp wurde die Einnahmefrequenz abgefragt, wobei die Probanden niemals, weniger als einmal pro Woche, ein- bis dreimal pro Woche, vier- bis sechsmal pro Woche oder täglich ankreuzen konnten. Aus Typ und Einnahmefrequenz berechneten die Studiendurchführenden die Menge der konsumierten Multivitaminpräparate. So wurde z. B. ein Proband, der beim "Stress-Typ" ein bis dreimal pro Woche und beim "Eine-pro-Tag"-Typ vier- bis sechsmal pro Woche angekreuzt hatte, in die Gruppe derjenigen eingeordnet, die insgesamt siebenmal pro Woche Multivitaminpräparate konsumierten.
Alle Probanden waren zu Studienbeginn ohne klinischen Krebsbefund. Fünf Jahre später waren jedoch 10.241 der Männer an Prostatakrebs erkrankt, bei 8765 Studienteilnehmern waren lokalisierte Tumore gefunden worden und 1476 litten an einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom. Nach einem weiteren Jahr waren 179 Studienteilnehmer an ihrem Krebsleiden verstorben. Wie die Studienautoren unter Leitung von Karla Lawson vom National Cancer Institute bei der Analyse der Daten feststellten, bestand ein Zusammenhang zwischen der Diagnose Prostatakrebs und exzessivem Multivitaminkonsum: Zwar wurden bei Studienteilnehmern, die angegeben hatten, mehr als sieben Mal pro Woche Multivitamine einzunehmen, nicht mehr lokalisierte Prostatatumore gefunden als bei Männern, die überhaupt keine Multivitaminpräparate verwendeten, doch das Risiko für ein fortgeschrittenes Karzinom war bei den "Heavy Usern" um 32% erhöht (relatives Risiko [RR] 1,32; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,04-1,67). Noch deutlicher war der Zusammenhang, wenn die tödlich verlaufenen Krebsfälle mit dem Multivitaminkonsum in Relation gesetzt wurden: Hier bestand ein fast doppelt so hohes Risiko bei exzessivem Konsum gegenüber keiner Vitamineinnahme (RR 1,98; KI 1,07-3,66).
Die Frage nach der Henne und dem Ei
Trotz der deutlichen relativen Risikoerhöhung fällt die Wertung des Studienergebnisses durch die Autoren vorsichtig aus. Der Zusammenhang "exzessiver Multivitaminkonsum – erhöhtes Risiko für ein tödliches Prostatakarzinom" könne durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. So habe sich in der Studie unter anderem gezeigt, dass PSA-Messungen bei Männern mit hohem Vitaminkonsum häufiger durchgeführt worden waren als bei Männern, die keine Vitamine konsumierten. Wahrscheinlich liege dies an einem insgesamt höheren Gesundheitsbewusstsein der Vitaminkonsumenten, was sich auch in verschiedenen anderen Verhaltensweisen niederschlagen könne. Die häufigeren Untersuchungen können dazu beigetragen haben, dass bei dieser Probandengruppe ein fortgeschrittenes Karzinom eher entdeckt wurde. In der Gruppe der "Heavy User" gab es zudem häufiger eine mit Prostatakrebs belastete Familiengeschichte. Der hohe Vitaminkonsum könnte laut den Studienautoren somit auch eine Reaktion auf das familiär erhöhte Risiko gewesen sein – und für das Risiko selbst auch genetische Aspekte eine Rolle gespielt haben. Insgesamt lässt die Studie den Autoren zufolge den Schluss zu, dass die Einnahme von Multivitaminen nicht zu einer Reduktion des Risikos für Prostatakrebs führt. Vielmehr gehe der exzessive Multivitaminkonsum oder ein damit zusammenhängendes Gesundheitsverhalten mit einem erhöhten Risiko für ein fortgeschrittenes sowie für ein tödliches Prostatakarzinom einher. Auf welches oder welche der in Multivitaminpräparaten enthaltenen einzelnen Vitamine der Effekt beruht, kann aus der Studie nicht abgeleitet werden.
Relatives Risiko hoch – absolutes gering
Eine Warnung vor der Einnahme von Multivitaminpräparaten oder die Empfehlung für ein außerplanmäßiges Prostatakrebsscreening bei bisherigen Konsumenten wird von den Studienautoren nicht ausgesprochen. Hierzu trägt sicherlich bei, dass das relative Risiko in der Untersuchung zwar deutlich erhöht war, das absolute Risiko jedoch gering ausfiel. Die Inzidenzrate für ein fortgeschrittenes Prostatakarzinom stieg von 113,4 pro 100.000 Personenjahren bei Nichteinnahme von Multivitaminpräparaten auf 143,8 pro 100.000 Personenjahre bei exzessiven Konsumenten. Die Inzidenzrate auf ein tödliches Prostatakarzinom nahm von 11,4 auf 18,9 pro 100.000 Personenjahre zu.
Freie Radikale nicht immer schlechte Radikale?
In einem Editorial versuchen Goran Bjelakovic und Christian Gluud – die Autoren, der vor wenigen Wochen veröffentlichten Metaanalyse, in der die Einnahme von Betacarotin sowie der Vitamine A und E mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden waren – einen Erklärungsansatz für die aktuellen Studienbefunde. Sie beziehen sich dabei vor allem auf den antioxidativen Effekt der Vitamine. Dieser Effekt sei möglicherweise nicht in jedem Fall und für jede Person positiv. So seien die durch Antioxidanzien abgefangenen freien Radikale in geringen Konzentrationen für den Organismus möglicherweise wichtig. Sie könnten als Teil des Abwehrsystems gegen beschädigte Zellen – darunter auch präkanzerogene und kanzerogene Zellen – vorgehen. Weiter gedacht, könnten Antioxidanzien somit zwar für Personen mit erhöhtem oxidativem Stress positiv, für Personen mit einem niedrigen Spiegel an freien Radikalen dagegen negativ sein. Beweisen lässt sich diese These bislang nicht. Hierfür werden weitere Studien benötigt, die den Einfluss von Antioxidanzien auf den Organismus untersuchen, Aussagen zu sinnvollen und schädlichen Konzentrationen machen und interindividuelle Unterschiede der Konsumenten berücksichtigen – so auch das Fazit von Bjelakovic und Gluud.
QuelleLawson, K. A.; et al.: Multivitamin Use and Risk of Prostata Cancer in the National Institutes of Health-AARP Diet and Health Study. J. Natl. Cancer Inst. 99 (10), 754-764 (2007).
Bjelacovic, G.; Gluud, C.: Surviving Antioxidant Supplements. J. Natl. Cancer Inst. 99 (10) , 742-743 (2007).
Dr. Beatrice Rall
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