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- DAZ 24/2007
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Arzneimittel und Therapie
Aus der Forschung
Gedächtnistraining kann Chromatinstruktur verändern
Bei Alzheimer-Patienten wechseln erinnerungsschwache Zeiten mit Phasen überraschend klarer geistiger Präsenz. Die Reaktivierung von vorübergehend nicht abrufbaren Gedächtnisinhalten korreliert im Tiermodell mit einer chemischen Modifikation des Chromatins im Zellkern von Nervenzellen. Diese greift regulierend in die Expression Nervenzell- und Synapsen-spezifischer Gene ein.
Der Verlust von Gedächtnisleistungen bei Alzheimer-Demenz bringt leidvolle Erfahrungen für die Betroffenen mit sich - von der Unfähigkeit, neue Inhalte im Kurzzeitgedächtnis zu speichern, über temporäre oder dauerhafte Ausfallerscheinungen beim Langzeitgedächtnis bis hin zur Unfähigkeit, nahe stehende Personen zu erkennen. Für die Krankheit typisch sind neurodegenerative Prozesse, bei denen vor allem die für Erinnerungsvorgänge wichtigen Nervenzellen im Gehirn absterben. Das Fortschreiten der Demenz lässt sich durch Gedächtnistraining verzögern. Welche molekularen Mechanismen dabei das Gedächtnis schützen, wurde jetzt im Tiermodell untersucht. Dazu wurden gentechnisch veränderte Mäuse eingesetzt, sogenannte Alzheimer-Mäuse, in deren Genom ein an der Entstehung der neurodegenerativen Erkrankung beteiligtes Protein unter Kontrolle eines medikamentös steuerbaren Promotors eingeführt wurde. Dabei handelt es sich um eine Variante des Proteins p35, das bei Alzheimer-Patienten überaktiv ist und in Nervenzellen einen Bestandteil des Cytoskeletts, das Protein Tau, beschädigt. Infolgedessen kollabiert das Cytoskelett der Nervenzellfortsätze, die gebraucht werden, um Kontakte zwischen kommunizierenden Nervenzellen herzustellen. Wird die Struktur dieser Nervenzellfortsätze zerstört, so verringert sich die Zahl der Kontaktstellen (Synapsen) zwischen den Nervenzellen und damit ihre Fähigkeit zur Erregungsleitung. Schließlich sterben die funktionslos gewordenen Nervenzellen ab, sodass Alzheimer-Patienten ein deutlich reduziertes Hirnvolumen aufweisen.
Die Alzheimer-Mäuse zeigten vier bis sechs Wochen nach Anschalten der Expression der überaktiven p35-Variante alle für die menschliche Alzheimer-Demenz typischen Symptome. Zu diesem Zeitpunkt wurde eine Gruppe der Alzheimer-Mäuse in eine anregende Umgebung mit verstecktem Futter und viel Spielzeug, das den Bewegungsdrang fördert, transferiert. Bei diesen Mäusen stabilisierten sich bestimmte Funktionen des Kurzzeitgedächtnisses wie das räumliche Orientierungsvermögen und das Auffinden von Futter in wechselnden Verstecken, während bei der anderen Gruppe in eintöniger Umgebung der Gedächtnisverlust fortschritt. Histologisch korrelierte die Stabilisierung der Gedächtnisleistung mit einer deutlich erhöhten Anzahl der Zellkontakte zwischen den überlebenden Nervenzellen im Gehirn, während die Anzahl der Nervenzellen, also das Hirnvolumen, unverändert blieb. Daher wird angenommen, dass die überlebenden Nervenzellen durch verbesserte Verschaltung einen Teil der Funktionen verloren gegangener Nervenzellen übernehmen können.
Auch das Langzeitgedächtnis – gemessen als Erinnerung an zurückliegende Angst auslösende Bedingungen – verbesserte sich bei den in anregender Umgebung intellektuell geforderten Alzheimer-Mäusen. Das Erinnerungsvermögen kann also durch ein intellektuelles Training gestärkt werden, das inhaltlich keinen Bezug zu der reaktivierten Langzeiterinnerung hat. Demnach werden zunächst nur die für das Abrufen der Erinnerung erforderlichen Nervenzellkontakte gelöscht, während die Gedächtnisinhalte als solche gespeichert bleiben.
Chromatinmodifikation fördert Erinnerungsvermögen
Als Folge des Gedächtnistrainings wurden biochemische Veränderungen beobachtet, die bereits früher mit Lernvorgängen und Gedächtnisbildung in Verbindung gebracht wurden: Sowohl bei gesunden als auch bei dementen Mäusen erhöhte das Training den Grad der Acetylierung von zwei Histonproteinen (H3 und H4) im Chromatin des Zellkerns von Nervenzellen. Die Acetylierung beeinflusst zusammen mit anderen chemischen Modifikationen der Histone die Expression von Genen auf dem zugehörigen Chromosom. Da die Acetylgruppe durch Histon-Deacetylasen wieder entfernt werden kann, wirkt sie wie ein molekularer Schalter, mit dem sich die Expression bestimmter Gene an- und ausstellen lässt. Bei den in anregender Umgebung intellektuell geförderten Mäusen ging die verstärkte Histon-Acetylierung auch tatsächlich mit einer erhöhten Expression von Nervenzell- und Synapsen-spezifischen Gene einher. Dieser Zusammenhang wurde mit Hemmstoffen der Histon-Deacetylasen wie Natriumbutyrat bestätigt: Intraperitoneal oder in die Gehirnventrikel appliziert, hatte Natriumbutyrat bei Alzheimer-Mäusen und bei gesunden Mäusen die gleichen Effekte wie das Training in anregender Umgebung, und zwar sowohl auf die Verschaltung der Nervenzellen als auch auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis.
Ob die im Tiermodell gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen übertragbar sind und die Aussichten auf eine medikamentöse Therapie der Alzheimer-Demenz verbessern, ist bislang noch nicht abzusehen. Jetzt gilt herausfinden, ob sich im Tiermodell der weitere Verlauf der neurodegenerativen Erkrankung durch Inhibitoren der Histondeacetylase dauerhaft aufhalten lässt.
QuelleFischer, A.; Sananbenesi, F.; Wan, X.; Dobbin, M.; Tsai, L. H.: Recovery of learning and memory is associated with chromatin remodelling. Nature 447 , 178-182 (2007).Dr. rer. nat. Annette Hille-Rehfeld
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