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Krankenversicherung

Fit für den demografischen Wandel?

KIEL (tmb). Bei der traditionellen gesundheitspolitischen Diskussion des Fritz-Beske-Instituts für Gesundheitssystemforschung am Vorabend der Kieler Woche ging es am 15. Juni um die Frage, wie die Gesundheitsreform 2007 den demografischen Wandel in Deutschland berücksichtigt. Zentraler Aspekt waren mögliche Einschränkungen des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Gastgeber Prof. Dr. Fritz Beske erläuterte Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes, nach denen die Einwohnerzahl in Deutschland von 82,3 Millionen im Jahr 2006 auf 68,7 Millionen im Jahr 2050 abnehmen werde. Dabei werde der Altenquotient, also die Relation der über 65-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen von 33 auf 64 steigen. Mehr als durch diese Veränderungen würden die GKV-Ausgaben und -Beitragssätze aber voraussichtlich durch den medizinischen Fortschritt in gesellschaftlich nicht akzeptierte Höhen getrieben.

Als Konzept für die Finanzierung erinnerte Annette Widmann-Mauz, MdB, CDU, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, an das von der CDU propagierte Prämienmodell. Doch auch ohne Prämien sei viel für die Demografiefestigkeit der GKV getan worden, wie beispielsweise Änderungen im Leistungskatalog bei Sehhilfen und OTC-Arzneimitteln und verhaltenssteuernde Zuzahlungen. Außerdem könne die Prävention Kosten senken. Die Diskussion solle nicht auf die Kapitaldeckung verengt werden, weil auch private Krankenversicherungen ihre Beiträge anheben. Dagegen erklärte Dr. Klaus Bittmann, Vorsitzender des NAV-Virchowbundes, es sei nicht belegt, dass Prävention Geld spare, vielleicht erhöhe sie auch die Kosten. Stattdessen müsse schrittweise die Kapitaldeckung eingeführt und zudem der Leistungskatalog hinterfragt werden.

Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, bezweifelte, dass der medizinische Fortschritt die Kosten langfristig erhöhen werde. Als zentrales Problem verwies er auf die abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit der Kinder, der durch geeignete Ernährung und Bewegung begegnet werden müsse. Denn gerade angesichts der abnehmenden Zahl junger Menschen müssten diese leistungsfähig sein. Zugleich stellte Ahrens die bestehenden Strukturen in Frage. Es müsse nicht jede Krankenkasse einen Vertrag mit jedem Krankenhaus haben und jedes Arzneimittel ersetzen. Außerhalb einer Liste nicht austauschbarer Arzneimittel müssten Verträge möglich sein.

Ralf W. Büchner, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, kritisierte die versicherungsfremden Leistungen – die sogenannten Verschiebebahnhöfe – in der GKV und forderte die Rückzahlung dieser Mittel einschließlich einer Verzinsung aus Steuergeldern. Er beklagte, die Politik zerstöre ein funktionierendes System durch wettbewerbliche Elemente, die an der falschen Stelle wirken. Stattdessen solle Wettbewerb bei Wahlleistungen gelten.

Beske gab zu bedenken, dass Deutschland den weltweit umfassendsten Leistungskatalog der Krankenversicherung und die geringsten Zuzahlungen habe. So sei zu fragen, ob auch hier offen über den Leistungskatalog diskutiert werden solle, wie dies insbesondere in Skandinavien sehr transparent geschehe. Nach Einschätzung von Priv.-Doz. Dr. Alexander Katalinic, Universität Lübeck, Direktor der Registerstelle des Krebsregisters Schleswig-Holstein, ist ein Konsens nötig, dass die Mittel begrenzt sind. Die Gesellschaft müsse bestimmen, wie viel sie für die Gesundheit zu zahlen bereit sei. Danach sei eine Priorisierungsentscheidung zu treffen, die in Deutschland jetzt erstmals durch ein großes Forschungsprojekt der DFG thematisiert werde. Ahrens erklärte die angebliche Kostenexplosion zum Phantom. Das Problem liege auf der Einnahmeseite. Aus dem Leistungskatalog sollten wirkungslose Leistungen entfernt werden.

Ausschreibungen als Zukunftskonzept

In der offenen Diskussion fragte Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Schleswig-Holstein, ob das Konzept der Ausschreibung künftig vermehrt eingesetzt würde, obwohl die Apotheker mit dessen Folgen derzeit kritische Erfahrungen machen. Dazu äußerte Widmann-Mauz, die AOK werde voraussichtlich über die derzeitigen Rabattverträge nachdenken. Außerdem bräuchten die Patienten eine "Restfreiheit". Wer eine bestimmte Galenik nicht vertrage, müsse zumindest den Erstattungsbeitrag des Arzneimittels erhalten. Doch grundsätzlich verteidigte Widmann-Mauz Ausschreibungen und ihre Folgen mit dem Hinweis auf sinkende Generikapreise. Ahrens hält Ausschreibungen für das Instrument der Zukunft. Die Schwierigkeiten müssten behoben werden, aber es sei gut, damit 300 bis 500 Millionen Euro sparen zu können. Dagegen kritisierte Büchner Ausschreibungen, weil dabei nur der Preis zähle.

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