- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 25/2007
- Sonderausstellung
Feuilleton
Sonderausstellung
Von Hustentötern, Halsfegern und Lebensweckern
Vollmundig und reichlich selbstbewusst priesen vor 100 und mehr Jahren die Hersteller von Hustenpastillen und Erkältungsbonbons ihre Produkte an. Wen wundert´s, wenn man die Zutaten auf den Packungen studiert. Das waren damals bevorzugt reich verzierte und bedruckte Weißblechdosen. In einer sehr liebenswürdigen und amüsanten Ausstellung zeigt das Deutsche Medizinhistorische Museum in Ingolstadt Dosen für Medizinalbonbons aus zwei Jahrhunderten. Im üppig blühenden Arzneipflanzengarten des Museums sind viele der zur Herstellung der Bonbons verwendeten Arzneipflanzen passend beschriftet.
Selbst Majestäten erwischt´s bisweilen! So muss die gute alte Queen Victoria (gest. 1901), mit Witwenschleier und Hauspantoffeln, herhalten, wenn es um die "besten Pillen des Dr. Trabant" geht. Der Leibjäger reicht sie ihr im Döschen, wie das französische Werbeplakat um 1900 zeigt.
Mit der Entwicklung der Weißblechindustrie hatte man endlich das ideale Material für die Behältnisse der seit langer Zeit beliebten Halspastillen, Hustenplätzchen und Arzneibonbons gefunden: Dosen in taschengerechter Größe, gut bedruckbar und hübsch zu verzieren, in denen die hygroskopischen und leicht klebrigen süßen Köstlichkeiten und Arzneien hygienisch einwandfrei aufbewahrt und vertrieben werden konnten. Etwa 100 solcher bedruckter Weißblechdosen für Hustenmittel und einige Werbeplakate aus der Sammlung des Schweizer Chemikers (und ehemaligen Forschungsleiters der Ricola AG) Henri C. Silberman stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Die meisten Sammelstücke stammen aus der Zeit vom Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts (ein Trend zurück zu den nostalgischen Dosen soll seit einigen Jahren wieder erkennbar sein). Sie sind nicht nur Zeugnisse einer europäischen "Alltagskultur", sondern spiegeln auch den Wandel in der Therapie von Erkältungskrankheiten wider und zeigen, wie sich die Arzneiformen in den Jahrhunderten entwickelt haben.
Begleitend dazu sind Arbeitsutensilien aus der pharmazeutischen Praxis der Pastillen- und Bonbonherstellung zu sehen und Apothekenstandgefäße mit häufig verwendeten Arzneidrogen und Füllstoffen wie Fenchel, Anis, Süßholz, Eibischwurzel, Tragant, Gummi arabicum, Glycerin und Zucker.
Morsellen, Trochisci, Zeltchen
Schon seit dem Mittelalter arbeitete man die für wirksam gehaltenen Ingredienzien in Trägersubstanzen aus Honig und (später) Rohrzucker ein. Daraus wurden Morsellen (Morsuli) geschnitten, ansehnliche "Bissen" (so die Übersetzung des lateinischen Wortes). Die zierlicheren Trochisci aus angeschlämmten Arzneipulvern wurden ausgetropft, Zeltchen per Hand geformt und Pastillen mit Pastillenstechern ausgestochen. Sie wurden später von den maschinell hergestellten Bonbons abgelöst.
Arzneiliche Bestandteile in Pastillen, Zucker- und Gummibonbons müssen heute selbstverständlich deklariert sein. Früher waren viele Rezepturen, wenn sie nicht aus den Pharmakopöen stammten, streng gehütete Familien- und Firmengeheimnisse.
Auch war man nicht zimperlich in der Zusammensetzung: Cocain, Opium, Codein, Brechwurzel oder Chloroform waren übliche Zutaten und konnten von jedermann damals "rezeptfrei" konsumiert werden. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die suchterregende Wirkung der Morphinderivate bekannt. "Entirely free from Morphium" wird daher groß auf einer Packung von "Bronchial Lozenges" der englischen Firma Boots Cash Chemists von 1915 beteuert (Vorläufer der heutigen Großkette Boots Ltd.).
Konkurrenz der Hersteller
Die graphischen Dekors der kleinen und großen Büchsen entsprechen dem Zeitgeschmack. Manche Firmennamen auf den Döschen aus ganz Europa sind auch heute noch bekannt, viele bedurften jedoch ausführlicher Recherchen. Man erfährt, dass erbitterte Konkurrenzkämpfe unter diversen Herstellern von Wybert-Pastillen ausgetragen wurden oder dass Emser Pastillen 1915 in speziellen "Kriegsdosen", aber "in gleicher Qualität" vertrieben wurden. Für Bergleute mit Bronchialbeschwerden durften starke Eucalyptusbonbons bis in die 1950er-Jahre sogar zu Lasten der GKV verordnet werden!
Einige attraktive Großbüchsen wecken Erinnerungen an die Kindheit und den Einzelverkauf der begehrten Bonbons über den Verkaufstisch.
Dr. Renate Seitz, Emmering
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.