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- DAZ 29/2007
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Arzneimittel und Therapie
Multiples Myelom
Neuzulassung Lenalidomid wird an vielen Stellen aktiv
In die Behandlung des multiplen Myeloms ist Bewegung gekommen. Nachdem bereits vor einigen Jahren neue Substanzen für eine verbesserte Kontrolle dieser hämatoonkologischen Erkrankung sorgten, verspricht nun das neu zugelassene Lenalidomid (Revlimid®) einen weiteren entscheidenden Therapieaufschwung. Seine Effektivität verdankt das Thalidomid-Strukturanalogon dem synergistischen Zusammenspiel vielfältiger Wirkmechanismen.
Obwohl eher unbekannt, ist das multiple Myelom doch die zweithäufigste maligne hämatologische Erkrankung. Insgesamt macht es etwa 1% aller Krebserkrankungen und 2% aller Todesfälle durch Krebs aus.
Das multiple Myelom ist eine maligne Erkrankung der B-Lymphozyten. Am Beginn der Pathogenese steht die Entartung einer Plasmazelle des Knochenmarks, die sich dann klonal vermehrt. Charakteristischerweise kommt es bei der Erkrankung zu einer Häufung dieser Plasmazelltumore ("multiple Myelome") an verschiedenen Stellen des Skelettsystems. Von zentraler pathophysiologischer Bedeutung ist die Interaktion der Myelomzellen mit den Stromazellen des Knochenmarks, was über Adhäsionsmoleküle und Zytokine geschieht. Myelomzellen können dadurch Stromazellen aktivieren und diese ihrerseits zur Sekretion zahlreicher Zytokine anregen. Dies wiederum fördert die weitere Proliferation der Myelomzellen – zusätzlich unterstützt von Angiogenese-fördernden Faktoren.
Knochenabbau und mehr
Die erhöhte Aktivität der Myelomzellen und deren Ausschüttung von Wachstumsfaktoren und Zytokinen aktiviert die Osteoklasten. Daher geht das multiple Myelom mit einer Osteolyse einher. Vielfache Knochendefekte, verbunden mit starken Schmerzen, und sogar Querschnittslähmungen können die Folge sein.
Darüber hinaus können sich weitere Krankheitsmechanismen abspielen: Durch den Knochenabbau wird Calcium in großen Mengen in die Blutbahn freigesetzt, was zur Nierenschädigung führen kann. Aufgrund der Plasmazellproliferation wird die physiologische Blutbildung unterdrückt. Als typische Symptome können sich daher Anämie, Blutgerinnungsstörungen und erhöhte Infektanfälligkeit einstellen. Charakteristisch für die Myelomzellen ist, dass sie monoklonale Immunglobuline (meist IgG oder IgA) ohne physiologische Antikörperfunktion oder sogar nur noch Antikörperbruchstücke produzieren (in der Gesamtheit als "Paraprotein" oder "M-Protein" bezeichnet). Diese lassen sich bei 99% der Patienten im Blut oder Urin gelelektrophoretisch nachweisen. Die reduzierte physiologische Antikörperproduktion bedingt Störungen der humoralen Immunabwehr und führt beim Myelom-Patienten zu starker Anfälligkeit gegenüber Infektionen. Außerdem erhöht das in großen Mengen produzierte Paraprotein die Blutviskosität und erschwert damit die Blutzirkulation. Daraus kann eine Vielzahl an Symptomen wie Benommenheit, Schwindel, Seh- und Hörstörungen resultieren.
Schleichender Beginn
Meist beginnt das multiple Myelom schleichend. Die ersten Anzeichen sind in der Regel eher unspezifische Symptome wie Knochenschmerzen oder ständige Müdigkeit. Bei über etwa drei Wochen andauernden unklaren Knochenschmerzen, Anämie und Fatigue sollten daher die zugrunde liegenden Ursachen genau abgeklärt werden. Viele Myelom-Patienten werden jedoch erst auffällig, wenn es im fortgeschrittenen Krankheitsstadium bereits zu röntgenologisch erkennbaren Knochenläsionen gekommen ist.
Therapeutischer Fortschritt
Die Prognose des multiplen Myeloms ist ungünstig. Die Erkrankung gilt nach wie vor als unheilbar. Bei Diagnosestellung beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit für den Patienten drei Jahre. Die therapeutischen Anstrengungen richten sich daher vor allem auf eine Überlebensverlängerung und die Linderung der häufig sehr schmerzhaften Komplikationen. Erst seit rund zehn Jahren kann man in dieser Hinsicht Erfolge verzeichnen. So lässt sich die Progression durch eine Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzellreinfusion zumindest zeitweise verzögern. Allerdings sprechen etwa 10 bis 30% der Patienten nicht auf die erste Chemotherapie an und fast alle Patienten erleiden Rezidive. Vor diesem Hintergrund brachte der vor wenigen Jahren in die Myelom-Therapie eingeführte Proteasom-Inhibitor Bortezomib (Velcade®) einen entscheidenden Therapiefortschritt durch verbesserte Remissionsraten und signifikante Überlebensvorteile.
Multifunktionaler Wirkstoff Lenalidomid
Anlass für weitere Hoffnung ist nun die europäische Zulassung von Lenalidomid (Revlimid®). Die in den USA bereits 2006 eingeführte Substanz ist jetzt auch in Deutschland bei Patienten mit multiplem Myelom nach mindestens einer Vortherapie in Kombination mit Dexamethason zugelassen. Lenalidomid ist ein Strukturanalogon von Thalidomid, welches in den USA zur Erst-Linien-Therapie des multiplen Myeloms zugelassen ist. Durch gezielte strukturelle Veränderung weist Lenalidomid jedoch gegenüber seiner Ausgangssubstanz eine wesentlich höhere immunmodulatorische Potenz und deutlich geringere Nebenwirkungen auf.
Lenalidomid ist ein multifunktionaler Wirkstoff. Seine Effektivität ergibt sich aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von Einzelwirkungen an unterschiedlichen Zielzellen und -geweben. Hierzu zählen immunmodulatorische, antiinflammatorische, antiproliferative und antiangiogenetische Effekte. So verhindert Lenalidomid die Adhäsion von Myelomzellen an Stromazellen des Knochenmarks und hemmt dadurch die Sekretion proinflammatorischer Zytokine wie TNF α und IL-6. Auch die Sekretion der Wachstumsfaktoren VEGF und bFGF wird reduziert, was die Proliferation von Endothelzellen hemmt und damit die Gefäßneubildung unterdrückt. Durch direkten Angriff auf Tumorzellen induziert Lenalidomid deren Wachstumsstopp und die Apoptose. Gleichzeitig fördert die Substanz aber die pro-erythropoetische Aktivität auf hämatopoetische Vorläuferzellen und unterstützt damit die physiologische Blutbildung. Lenalidomid unterstützt außerdem die zelluläre Immunabwehr durch Aktivierung natürlicher Killerzellen und CD8-T-Zellen.
Progressionsfreiheit und Überleben ist verlängert
Das Zusammenspiel dieser vielfältigen Wirkqualitäten schlägt sich auch in klinischem Benefit nieder. Zwei Zulassungsstudien belegen die Wirksamkeit von Revlimid® in der Kombination mit Dexamethason beim multiplen Myelom und mindestens einer Vortherapie. Die beiden randomisierten, placebokontrollierten und doppelblinden Phase-III-Studien mit insgesamt rund 700 eingeschlossenen Patienten wurden parallel in Nordamerika und Europa durchgeführt und hatten ein vergleichbares Design. Lenalidomid wurde dabei in Kombination mit der Standardbehandlung Dexamethason gegen Dexamethason alleine verglichen (im 28-tägigen Zyklus: Lenalidomid täglich 25 mg an den Tagen 1 bis 21, Dexamethason täglich 40 mg an den Tagen 1 bis 4, 9 bis 12, 17 bis 20).
Als entscheidende Ergebnisse zeigten sich unter der Kombinationstherapie ein weit besseres Ansprechen als unter der Dexamethason-Monotherapie (über 60% Gesamtremission vs. ca. 20%) sowie eine mehr als doppelt so lange Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung (48 Wochen vs. 20 Wochen). Das Überleben wurde durch die Lenalidomid-Dexamethason-Kombination gegenüber Placebo/Dexamethason um mehr als neun Monate verlängert. Die meist hämatologischen Nebenwirkungen waren gut beherrschbar.
Zukunftsperspektiven
Die Forschungsaktivitäten zu Lenalidomid gehen jedoch weiter. So stehen zum Beispiel das Potenzial der Substanz als First-Line-Therapeutikum bei neu diagnostiziertem multiplem Myelom, die mögliche Kombination mit anderen Substanzen wie z. B. Adriamycin oder auch der Einsatz von Lenalidomid bei anderen Indikationen wie z. B. der chronisch-lymphatischen Leukämie im Fokus. In den USA ist Revlimid® auch zur Behandlung bestimmter transfusionsabhängiger myelodysplastischer Syndrome zugelassen. Die Zulassung ist auch für Europa beantragt und wird für Ende dieses Jahres erwartet.
Nebenwirkungen beachten
Auch wenn das Sicherheitsprofil von Lenalidomid gegenüber dem seiner Ausgangssubstanz Thalidomid wesentlich verbessert werden konnte, ist die Therapie von Revlimid® in Kombination mit Dexamethason nicht ohne Risiken. Dazu gehören vor allem die hämatologische Toxizität, die erhöhte Gefahr von Thromboembolien und eine potenzielle Teratogenität. Dagegen ist die Gefahr von Neuropathien, wie sie mit der Anwendung anderer Substanzen (z. B. Bortezomib) verbunden ist, unter Lenalidomid praktisch nicht vorhanden.
Besonderes Sicherheitsprogramm zu beachten
Um die Risiken einer Anwendung von Revlimid® in Kombination mit Dexamethason zu minimieren, hat die Firma Celgene in Zusammenarbeit mit den Zulassungsbehören ein Sicherheitsprogramm erarbeitet. Ärzte und Patienten erhalten dabei umfassende Informationen und Sicherheitshinweise. Auch alle Apotheken haben bereits entsprechende detaillierte Mitteilungen erhalten.
Weil nicht bekannt ist, ob Lenalidomid fruchtschädigend wirkt, gehört zu diesen Sicherheitsmaßnahmen in erster Linie ein Schwangerschaftsverhütungsprogramm. Außerdem erfordert die Myelosuppression wöchentliche Blutbildkontrollen in den ersten acht Behandlungswochen. Weiterhin sind vor allem das erhöhte Risiko venöser Thromboembolien mit dem möglichen Einsatz einer antithrombotischen Prophylaxe und die Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz zu beachten.
Anforderungen an die Apotheke
Damit gewährleistet ist, dass die Sicherheitsanforderungen eingehalten werden, darf Revlimid® in der Apotheke nur dann abgegeben werden, wenn das Rezept vom Arzt mit dem zusätzlichen Vermerk "Sicherheitsanforderungen gemäß Fachinformation werden eingehalten" versehen ist. Fehlt dieser Vermerk, ist Rücksprache mit dem Arzt zu nehmen. Die Abgabe von Lenalidomid sollte innerhalb von sieben Tagen nach der Verschreibung erfolgen. Nicht verbrauchte Kapseln sollen in der Apotheke zurückgenommen werden.
QuellePriv.-Doz. Dr. Axel Glasmacher, Bonn; Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt, Heidelberg; Gregor Brozeit, International Myeloma Foundation: "Acting in Concert! Neue Therapie setzt auf molekulare Synergien", München, 9. Juli 2007, veranstaltet von der Celgene GmbH, München.
www.celgene.dewww.myeloma-euronet.orgDipl.-Biol. Ulrike Weber-Fina- Die Erkrankung stellt eine hämatologische Tumorart dar, bei der es zur malignen Entartung von Plasmazellen kommt. Typischerweise treten mehrere Krankheitsherde im Skelettsystem auf, die zu einem Zerfall der Knochenstruktur führen.
- Derzeit sind in Deutschland etwa 12.000 Menschen betroffen.
- Die jährliche Neuerkrankungsrate beträgt ca. 3500.
- Die Erkrankung weist eine mit zunehmendem Alter steigende Inzidenz auf. Das mediane Lebensalter bei der Erstdiagnose beträgt 66 Jahre. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen 75 und 85 Jahren.
- Die Ursachen für das multiple Myelom sind bisher weitgehend ungeklärt. Eine gewisse familiäre Häufung ist festzustellen.
- Die Erkrankung ist nach wie vor unheilbar, aber therapeutisch kontrollierbarer geworden.
- anfänglich unspezifische Symptome wie Knochenschmerzen, Fatigue, Anämie
- häufige Knochenläsionen
- erhöhte Blutsenkung
- hohe Infektanfälligkeit
- im fortgeschrittenen Stadium auch Nierenversagen, Thrombozytopenie, Granulozytopenie, Blutungen
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