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Apothekenpraxis
Mehr Qualität in Beratung und Rezeptur
Das Thema Labor und Rezeptur hat schon zu allen Zeiten die Gemüter bewegt. Die einen sprachen vom Glasmuseum, die anderen forderten die Abschaffung. Niemand sprach vom Nutzen des in der Regel bereits abgeschriebenen Labors und der Rezeptur.
Heute ist die Apotheke die einzige Institution, die mit einfachen Labortests schnell die Identität von Arzneistoffen und Gefahrstoffen feststellen kann.
Inzwischen haben sich die Zeiten gewandelt und die Präsenzapotheke punktet mit ihren Leistungen, die sich nicht zuletzt aus der Rezeptur, dem Notdienst und der persönlichen Beratung vor Ort ableiten. Insofern muss man Minister Laumann dankbar sein für seine Forderung nach Qualitätsverbesserung, die im Gegensatz zum stetigen Abbau staatlicher Leistungen für den Bürger steht.
Schon 1997 hatte die Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte "Leitsätze zur Vertraulichkeit der Beratung" erarbeitet, die später von der Bundesapothekerkammer übernommen wurden:
1. Die Abgabe von Arzneimitteln in der Apotheke muss nach § 20 ApBetrO mit Information und Beratung einhergehen, soweit dies aus Gründen der Arzneimittelsicherheit erforderlich ist.
2. Die Vertraulichkeit der Beratung gemäß § 4, Absatz 2, Satz 2 ApBetrO muss daher in der Offizin gewahrt sein.
Durch entsprechende Anordnung und Gestaltung der Handverkaufstische ist ein Mithören Dritter weitestgehend zu vermeiden. Abgeteilte Bereiche in der Offizin ("Beratungsecke"), die diesem Zweck entsprechen, werden nicht als optimale Lösung angesehen.
Für die Beratung, die über § 20 ApBetrO hinausgeht, ist ein zusätzlicher Raum nicht erforderlich.
Sofern ein zusätzlicher Raum für Dienstleistungen vorhanden ist, muss dieser von der Offizin aus zugänglich sein.
Andere von der Apothekenbetriebsordnung vorgeschriebene Funktionsräume sind für die Beratung im Regelfall nicht bestimmt.
Minister fordert Vertraulichkeit
Anfang 2007 berichtete die Apothekerkammer Nordrhein von einem "Spitzengespräch" mit Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, in dem dieser gefordert hatte: "Apotheken sollten in der Lage sein, jederzeit vertrauliche Beratungsgespräche zu gewährleisten". Wenig später setzte der Minister noch eins drauf: "So lange man im Postamt noch eine Briefmarke vertraulicher einkaufen kann als eine Hämorrhoiden-Salbe in der Apotheke, ist dringender Handlungsbedarf gegeben" (siehe auch PZ 2007, Nr. 14, S. 8: Diskretionszonen in jeder Apotheke, von Ursula Sellerberg und Ulrich Krötsch). Auch im "AWA" vom 1. Mai 2007 äußerte sich der Minister zum Thema: "Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass die Vertraulichkeit der Beratung an allen Stellen, an denen apothekenpflichtige Arzneimittel in der Apotheke abgegeben werden, gewahrt ist."
Erste Reaktionen
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten und der Präsident der Kammer Nordrhein, Lutz Engelen, löste das Problem auf seine Weise. Unter dem Aspekt "vertrauliche Apotheke" kaufte er für fünf Euro ein rotes Klebeband im Baumarkt und klebte das Band auf den Fußboden "… und siehe da – ein voller Erfolg". Die ABDA veröffentlichte unter www.abda.de/Diskretion weitere Informationen hierzu und gestaltete ein Piktogramm (siehe auch Abb. 1).
Die Kammer Nordrhein startete im Internet einen Ideenwettbewerb "Vertrauliche Beratung". Beim Westfälisch-Lippischen Apothekertag in Münster wurde ein Ideenwettbewerb für Apothekenausstatter ins Leben gerufen.
In seinem Editorial "Warum Sie eine Premium-Apotheke machen sollten", fordert Chefredakteur Peter Ditzel in DAZ 2007, Nr. 22, S. 3: "Deutliche Hinweise auf Plätze mit diskreter Beratung weisen auf Vertraulichkeit hin."
Workshop "Vertrauliche Beratung"
Die Diskussion war eröffnet, allein es fehlte die praktische Umsetzung. Aus diesem Anlass veranstaltete die Kammer Nordrhein einen Workshop für Apotheker aus Wuppertal, Remscheid und Solingen am 31. Mai in Wuppertal. Bereits vor der Veranstaltung hatte der Referent Dr. Holger Goetzendorff, Amtsapotheker in Wuppertal und Remscheid, mit den Kreisvertrauensapothekern Dr. Klaus Quinke und Dr. Marcus Fuest aus Wuppertal Vorbesprechungen geführt (Abb. 2).
Dabei musste zunächst einmal die Formulierung "Vertrauliche Beratung" näher definiert werden. War es ausreichend "ein Mithören Dritter weitestgehend zu vermeiden", so wie es die Pharmazieräte schon 1997 gefordert hatten? In welcher Entfernung war Hörschutz gegeben, bei zwei, zweieinhalb oder gar drei Metern Abstand? Beinhaltete Vertraulichkeit der Beratung auch Sichtschutz? Und zuallerletzt, sollte man den Gesundheitsminister Laumann richtig verstanden haben: Bei jeder Abgabe vertrauliche Beratung?
Dass Postämter in der Regel größer sind als Apotheken, dass ältere Kunden oft nicht an einem Strich stehen bleiben und dass nicht jeder Kunde Einzelberatung wünscht, waren bei der Diskussion noch die gemäßigten Vorstellungen (siehe auch Abb. 3).
Um der Vielfalt der Möglichkeiten Rechnung zu tragen, wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet:
a) Räumliche Gestaltung (Materialien)
b) Kundenlenkung
c) Innovationen
d) Qualifizierung
e) Planungsskizzen
Über 80 Kolleginnen und Kollegen beteiligten sich an dem angebotenen Workshop und erarbeiteten in Gruppen die in der unten stehenden Tabelle aufgeführten Ergebnisse:
a) Räumliche Gestaltung (Materialien)
- Kleine HV-Tische
- Einzelberatungsplätze
- Spanische Wand
- HV-Unterteilung
- HV-Tische versetzen
- Beraterplatz
- Lampen
- Bodenaufsteller
- Beratungsecke
- Beratungskabine
b) Kundenlenkung
- Schnellschalter
- Beratungsschalter
- Deckenschild "Wartezone", "Beratung"
- Wartebereich
- Bodenmarkierung durch Lampen
- Piktogramme an der Decke und auf dem Boden
- Schild "Bitte Abstand halten"
- Laufband auf dem Boden
- Farbe Rot: Schnelle Beratung
- Farbe Blau: Intensive Beratung
c) Innovationen
- Nummern ziehen
- Diskretionskarte mit der Aufschrift "Möchte Intensivberatung"
- Ampel in der Wartezone
- Kopfhörer
- Musik um Mithören zu vermeiden
- Ansage "Der Nächste bitte"
- Computerplatz für den Kunden
- Beratungsintensive Arzneimittel in Extrazonen
d) Qualifizierung
- Allgemeine Mitarbeiterschulung
- Mitarbeiteraufteilung nach Qualifikation
- Erkennen von Beratungsbedarf und Zuweisung
e) Planungsskizzen für Umbauten
Besonderes Augenmerk wurde auf die Einrichtung eines hör- und sichtgeschützten HV-Einzelplatzes gelegt. Nach der Vorstellung der Einzelergebnisse wurde der Vorschlag der Abtrennung eines Beratungsplatzes durch eine Akustikplatte favorisiert. Die zu verwendenden schalldämpfenden Materialien sollen in erster Linie eine entsprechende Vertraulichkeit zum Nachbarplatz gewährleisten. Eine solche Platte, in Anlehnung an den Tagungsort, auch als "Bergische Tafel" bezeichnet, ist bei den meisten HV-Tischen seitlich leicht zu befestigen und kann vorzugsweise links oder rechts den äußeren Tisch abtrennen, so dass der Kunde, durch entsprechende Beschilderung angeleitet, die Auswahl vertraulich oder nicht vertraulich schon beim Betreten der Apotheke auswählen kann.
Die horizontale Abtrennung mittels Seitenplatte erfordert zudem nicht die räumliche Tiefe, die sich durch Haltestreifen auf dem Boden ergibt. So lässt sich auch in einer kleinen Apotheke eine Schlange vermeiden, deren Ende zur Tür heraussteht (siehe Abb. 4).
In der Diskussion wurde mehrfach von Erfahrungen berichtet, dass besonders abgetrennte vertrauliche Bereiche, insbesondere ein eigener Beratungsraum, von den Kunden nur im Einzelfall angenommen wird. Als Grund hierfür wurde angeführt, dass dann das Gespräch einen ungewollten Sonderstatus einnehme.
Labor und Rezeptur
Identitätsprüfungen der Eingangsstoffe sind nach wie vor in Deutschland vorgeschrieben. Der Grund hierfür liegt lange zurück. Früher wurden Grundstoffe ohne Prüfung in die Apotheke geliefert. Heute wird nur noch Ware mit entsprechender Dokumentation in den Verkehr gebracht. Für die Qualität haftet der Hersteller. Die Apotheke kann mit den begrenzten Mitteln des Apothekenlabors allenfalls Verwechslungen ausschließen. Gehaltsabweichungen und Verunreinigungen in geringen Mengen sind häufig nicht mehr nachweisbar. Ein Blick über die Grenze in die Niederlande zeigt, dass Identitätsprüfungen heute in der Apotheke entbehrlich sind. Trotzdem ist die Möglichkeit, in Zweifelsfällen Substanzen im Labor prüfen zu können, aus Gründen des Verbraucherschutzes unverzichtbar.
Rezepturqualität in den Niederlanden
In den Niederlanden werden für die Herstellung von Prüfsubstanzen nur zertifizierte Ausgangssubstanzen verwendet, deren erneute Prüfung in der Apotheke (Identitätsprüfung vor Ort) nicht mehr erforderlich ist. Insofern liegt die Verantwortung beim Hersteller und nicht mehr beim Apotheker. Herstellungsprotokolle sind im Internet einsehbar. Diese Regelung macht Sinn, weil in der normalen Apotheke Prüfgeräte, wie sie heute üblich sind, zum Beispiel kurzwellige IR-Geräte, nicht vorhanden sind. In den Niederlanden arbeitet das LNA (Laboratorium der Nederlandse Apothekers) an standardisierten Rezepturen. Auch werden regelmäßig Proben gezogen, um die vereinbarten Qualitätskriterien zu überprüfen. Der Anteil der standardisierten Rezepturen beträgt etwa 80 Prozent. Im Unterschied zu Deutschland gibt es in den Niederlanden Apotheken, die sich auf Rezepturen spezialisiert haben und andere Apotheken beliefern. Das geht nur, wenn die Wege kurz sind, in Flächenstaaten würde darunter die zeitnahe Versorgung leiden.
Elektronische Prüfung der Einwaage
Die Arzneimittelsicherheit und Qualität der Rezepturen könnte in Deutschland noch erheblich verbessert werden, wenn, wie in den Niederlanden üblich, eingesetzte Substanzen über ein elektronisches Wägemodul in Bezug auf Identität (Balkencode) und Einwaage mittels Rezepturprogramm während der Herstellung kontrolliert würden (siehe Abb 5).
Es handelt sich bei den in den Niederlanden eingesetzten Programmen um Softwarelösungen, die in ähnlicher Form auch in Deutschland bei der Herstellung von Zytostatika genutzt werden.
Anforderung an Rezepturprogramm
Bevor ein Programm in der Rezeptur einer Apotheke eingesetzt wird, sollte es folgenden Anforderungen genügen:
1. Die Ausgangsstoffe werden mit ihrem Balkencode erfasst.
2. Die Haltbarkeits- und Aufbrauchfristen der Substanzen werden einer Plausibilitätskontrolle unterworfen.
3. Die Daten aus den mitgelieferten Herstellungszertifikaten, insbesondere Datum und Chargennummer werden erfasst.
4. Bei Abweichung von der zuvor bestimmten Einwaage wird der Herstellungsprozess unterbrochen.
5. Die Endkontrolle und Freigabe erfolgt persönlich.
6. Die Herstellungsdokumentation wird abgespeichert.
7. Etikett und ggf. Anweisung werden aus dem Datensatz gedruckt.
Es versteht sich von selbst, dass das Umfüllen von Substanzen aus Gründen der Verwechslungsgefahr unterbleibt, zumal die Liefergefäße inzwischen auch als Standgefäße geeignet sind. So können Fehler bei der Kennzeichnung vermieden werden.
Endkontrolle und Freigabe
Der Endkontrolle wurde in der Vergangenheit wenig Beachtung geschenkt. Bekannte Kompatibilitätsprobleme können bereits im Vorfeld vermieden werden. Was aber, wenn das Endprodukt nicht homogen ist? Durch Untersuchungen des Zentrallaboratoriums sind Inhomogenitäten aufgefallen, die zunächst nicht vermutet worden sind. So sind in unterschiedlichen Schichten der mit elektrischen Salbenrührern hergestellten Partien unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen aufgefunden worden. Bei Beachtung der von den Herstellern vorgegebenen Hinweise hätten diese Fehler vermieden werden können. Die Endkontrolle sollte sich nicht nur auf eine Sichtkontrolle erstrecken. Besonders bei Salben sind Mängel häufig nur durch das Ausstreichen einer kleinen Probe zu erkennen. Mit einer Herstellungsdokumentation, die Hinweise auf Besonderheiten festhält, kann eine gleichbleibende Rezepturqualität erreicht werden.
Labor und Rezeptur unverzichtbar
Mit verhältnismäßig einfachen Mitteln kann die öffentliche Apotheke eine Qualitätsoffensive bei Beratung und Rezeptur starten. Sie wird damit ihre Position gegenüber Versandapotheken entscheidend verbessern können, die keine persönliche Beratung vor Ort, keine Rezepturen und Betäubungsmittel liefern und keinen Notdienst, auch nicht im Katastrophenfall, anbieten. Bei Wegfall von Identitätsprüfungen der Ausgangsstoffe könnten frei werdende Ressourcen für die Verbesserung der Sicherheit und Qualität der Rezepturen genutzt werden.
Für die flächendeckende Versorgung, auch mit Rezeptur-Arzneimitteln, ist die Aufteilung in Apotheken erster Klasse einschließlich Rezeptur und Labor und Apotheken zweiter Klasse nur noch als Abgabestelle, kontraproduktiv. Welcher Patient hätte Verständnis dafür, dass die Rezeptur nur noch in der nächsten Großstadt abgeholt werden kann?
Auch scheint schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein, welche Rolle den 21.500 Apotheken im Katastrophenfall (Vogelgrippe) zufallen soll, nämlich die Herstellung dringend benötigter Arzneimittel für die Bevölkerung vor Ort.
Bei einer Abstimmung über die Notwendigkeit von Labor und Rezeptur in der Apotheke sprachen sich 100 Prozent der Teilnehmer für die Beibehaltung aus. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik dieses Votum der Arzneimittelfachleute zur Kenntnis nimmt.
Anschrift des Verfassers: Dr. Holger Goetzendorff, Aurikelweg 126, 50259 Pulheim
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