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- DAZ 35/2007
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Feuilleton
documenta 12
Erfahrungsraum
Gut dreieinhalb Jahre wurde an der documenta 12 gearbeitet, über 500 Kunstwerke sind in Kassel vom 16. Juni noch bis 23. September versammelt. Sie vermitteln oberflächlich betrachtet einen Überblick über aktuelle zeitgenössische Kunst. Man wird allerdings leicht ermutigt, weiter einzutauchen in Kunsträume, sich auf andere Ebenen der Kunstbetrachtung zu begeben, die einem die Thematik der documenta 12 näher bringen können. Aber auch, wenn Sie die documenta nur besuchen, um sich einen Eindruck von moderner Kunst zu verschaffen – ein Besuch lohnt sich immer.
Wie bei früheren documenta-Ausstellungen auch ist die documenta 12 über mehrere Gebäude verteilt. Zu den Hauptstandorten gehören das Museum Fridericianum, die Neue Galerie, die documenta-Halle und der Aue-Pavillon, außerdem das Schloss Wilhelmshöhe, der Bergpark, das Kulturzentrum Schlachthof und eine Straßenbahn der Linie 4. Wenn Sie nur einen halben bis einen Tag Zeit haben, schaffen Sie ohne Mühe die ersten vier Gebäude. Besonders bemerkenswert ist das temporäre Gebäude, der Aue-Pavillon, mit einer Fläche von fast 10.000 m2 , der an einem der schönsten Orte der Stadt, der Karlsaue, errichtet werden konnte.
Die Macher der documenta 12 begreifen die Ausstellung als ein Medium. Sie wollen sich damit wegbewegen von der Repräsentation der "besten Künstler der Welt" hin zur Produktion eines Erfahrungsraums, in dem es möglich werden soll, die Begriffe "Kunstwerk" und "Publikum" aneinander zu schärfen. Was ist zeitgenössische Kunst, was ist ein zeitgenössisches Publikum, was ist die Gegenwart? Sie gehen davon aus, dass die Erfahrung von Kunst stets die Erfahrung eines Lebenszusammenhangs ist, so die documenta-Macher.
Die Leitmotive
Um einen produktiven Austausch anzustoßen, stellt die documenta 12 der Kunst – aber auch ihrem Publikum – drei Fragen: Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das bloße Leben? Und, in Bezug auf die Bildung: Was tun? Das heißt: Ist die Menschheit imstande, über alle Differenzen hinweg, einen gemeinsamen Horizont zu erkennen? Ist die Kunst das Medium dieser Erkenntnis? Was ist zu tun, was haben wir zu lernen, um der Globalisierung seelisch und intellektuell gerecht zu werden? Ist das eine Frage ästhetischer Bildung? Was macht das Leben eigentlich aus, wenn man all das abzieht, was nicht wesentlich zum Leben gehört? Hilft uns die Kunst, zum Wesentlichen zu gelangen?
Kunst selbst erfahren
Doch bei aller Theorie und gedanklichem Überbau lässt sich die documenta auch ohne große kunsthistorische Vorbildung aufnehmen. Ja, die Macher rufen geradezu dazu auf. Es geht darum, den Blick der Betrachter zu öffnen. Oftmals werden dem Einzelnen auch Hintergrundinformationen fehlen. Das ist für die Kunstbetrachtung ohne Belang, im Gegenteil. In Kassel wird die direkte Erfahrung vor dem Kunstwerk vorgezogen, nicht weil die Organisatoren meinen, dies reiche aus, um zu einem Urteil zu kommen. Vielmehr ist ihnen bewusst, dass selbst den Kunstexperten unter ihnen das notwendige Wissen fehlt, einem jeden Werk wirklich gerecht zu werden. Und das ist auch nicht durch dicke Wälzer oder lange Texttafeln zu kompensieren, die dann in der Ausstellung in Konkurrenz zum Kunstwerk treten. diz
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