Pharmamarketing

Öfter, länger, schneller, härter

Der Markt der Präparate, die bei einer Erektilen Dysfunktion eingesetzt werden (vulgo: Potenzpillen), ist hart umkämpft. Seit dem Siegeszug des Sildenafil-Präparats Viagra tauchen die Themen Impotenz und Erektile Dysfunktion in nahezu regelmäßigen Abständen in der Laienpresse auf. Ist es eine ernst zu nehmende Erkrankung oder ist es eher eine Frage des Lifestyle? Der nachfolgende Beitrag untersucht, wie die Marketingstrategen der Pharmaindustrie dieses Thema aufbauen, bewerben und nicht nur die Männerwelt damit durchdringen.

Es begann mit einem Zufall, Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts testete der Pharmakonzern Pfizer den neuen Wirkstoff Sildenafil an Patienten mit einer Verengung der Herzkranzgefäße. Die Wirkung am Herzen war so enttäuschend, dass man sich entschloss, die Studie abzubrechen. Die beteiligten Patienten waren wenig erfreut vom Abbruch der Studie. Nähere Nachforschungen ergaben, dass viele der Patienten mit dem Medikament eine Verbesserung der Erektionsfähigkeit bemerkt hatten. Nach dieser Zufallsentdeckung behandelte man Patienten mit einer Erektionsschwäche erfolgreich mit Sildenafil, erfand den Namen Viagra® der Rest ist hinlänglich bekannt.

Nach der Markteinführung 1998 beherrschte Pfizer mit Viagra® vier Jahre lang den Markt der medikamentösen Behandlung von Erektionsstörungen. Selten wurde eine Werbekampagne zur Markteinführung ("Das ist die Liebe wert.") ein solcher Selbstläufer. Innerhalb kurzer Zeit stieg der Bekanntheitsgrad der Marke auf über 80%. Dies war allerdings nur zum Teil der eher nüchternen und funktionalen Marketing-Kampagne selbst anzurechnen. Einen großen Teil steuerte der Medien-Hype um Viagra® bei, dessen Spektrum sich von überschwänglicher Euphorie (die Bild-Zeitung schrieb von einer Sex-Revolution) bis zu tiefer Dysphorie (Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme von Viagra® und anderen Medikamenten) erstreckte. International spannte man selbst Fußballstar Pelé für die Marketingschlacht ein. Er ließ uns wissen, eine Potenzstörung sei gar nicht so schlimm. Er würde einen Arzt aufsuchen, wenn er ein Erektionsproblem hätte. Der würde das Problem schon lösen. Vor allem aber bewirkte die Präsenz des Themas in den Medien eines: die Enttabuisierung der Erektionsstörung. Plötzlich schien es so, als sei jeder zweite Mann in Deutschland impotent. Selbst erfahrene Urologen waren von der sich epidemieartig ausbreitenden "Volkskrankheit" Impotenz überrascht.

Hart umkämpfter Markt

Mittlerweile ist der Markt der Erektilen Dysfunktion hart umkämpft. Seit ihrer Zulassung im Jahre 2002/2003 setzen zwei Newcomer dem einstigen Marktführer Viagra® zu. Ein Joint Venture zwischen den Pharmafirmen Lilly und ICOS schickte den Wirkstoff Tadalafil unter dem Namen Cialis® ins Rennen. Der Pharmariese Bayer versucht sich seither mit Vardenafil (Levitra®) im Markt der Erektionsstörung. Alle drei Wirkstoffe sind PDE-5-Hemmstoffe, die über denselben Wirkungsmechanismus (einer Durchblutungssteigerung im Schwellkörpergewebe) wirken, sich aber im Nebenwirkungsprofil und in der Pharmakokinektik (Latenz bis zum Eintritt der Wirkung, Wirkungsdauer) unterscheiden. Letzteres wiederum bietet den Neueinsteigern Cialis® und Levitra® Ansätze, um sich mit Marketingaktivitäten im Markt zu positionieren und sich untereinander und vom Platzhirsch im Markt abzugrenzen.

Zur Markteinführung 2003 verpassten die Marketingstrategen von Bayer ihrem Produkt Levitra® ein Machoimage ("Harder erections for better sex."). Im August des Jahres startete in Amerika eine aggressive Kampagne: Kurze, ausschließlich an Männer gerichtete Werbespots suggerierten ein "Get back in the game"-Image. In der Folge lief gar ein Werbespot, der eine neue "Treffsicherheit!" unter Levitra® pries. Ein sportlicher Mann in den Fünfzigern versucht einen Football durch einen an einem Seil hin und her schwingenden Autoreifen zu werfen, was ihm zunächst misslingt. Erst als Levitra® ins Spiel kommt, trifft er prompt und schließt seine halb so alte Freundin in die Arme. Football-Ikone Mike Ditka unterlegte das Macho-Image mit der aggressiv und durchsetzungsfähig erscheinenden Persönlichkeit eines

Football-Spielers. Offenbar setzten die Marketingstrategen von Bayer nur auf die zweitbeste Karte, der Start von Levitra® in den Markt missglückte gründlich, und die Konkurrenten Cialis® und Viagra® zogen davon. In Deutschland startete die Markteinführung etwas weniger laut unter dem Slogan "Amor trifft wieder". Das Erkennungszeichen der Kampagne, ein schussbereiter kleiner Amor, wurde in der Werbeszene und im Fachpublikum mehrheitlich belächelt.

Weniger Macho, mehr Emotionalität

Konkurrent Lilly/ICOS wählte für sein Produkt Cialis® bereits bei der Markteinführung eine andere Werbestrategie. Anstatt der wiedergewonnenen Maskulinität stellten sie die Aspekte Zärtlichkeit und Romantik in den Mittelpunkt. Ansatzpunkt für eine Abgrenzung von der Konkurrenz war die mit 36 Stunden deutlich länger anhaltende Wirkung, die die "Zeit für den richtigen Moment" und Spontaneität zurückgewinnen sollte. Dieses Konzept erwies sich als erfolgreich. Schon kurz nach der Markteinführung ließ Cialis® den zweiten Newcomer Levitra® deutlich hinter sich. Nicht zuletzt aufgrund des Fehlstarts in den Markt entschloss man sich 2004 bei Bayer, die Marke Levitra® neu zu positionieren und auf den schnellen Eintritt der Wirkung zu fokussieren. Man verabschiedete sich vom Macho-Image und setzte fortan, wie die Konkurrenz auch, auf Emotionalität. Unter dem Slogan "Wenn die Liebe nicht warten soll" beugt sich eine Frau über ihren liegenden Partner und fragt: "Wann?", worauf dieser erwartungsgemäß mit "Jetzt." antwortet. Abgesehen davon, dass in Anzeigen dieser Art vorwiegend graumelierte, ein bis drei Tage unrasierte Männer mit deutlich jüngeren Frauen abgebildet werden, wirkt die Emotionalität doch zu stark abstrahiert und vorhersehbar. Dennoch verfehlte die Kampagne nicht ihre Wirkung, wie sich in einem steigenden Marktanteil von Levitra® manifestierte.

Als Reaktion auf die neue Konkurrenz überarbeitete auch Pfizer den Marktauftritt von Viagra® Während die Kampagne zur Markteinführung 1998 eher nüchtern und sachbezogen erschien, setzte man jetzt auch bei Pfizer auf Emotionalität. Als Key-Visual erschien ein Paar, das Selbstvertrauen bei Ihm und Zufriedenheit bei Ihr ausstrahlen soll. Als Slogan fungiert "mit Leib und Seele Mann". Weiterhin wird die Botschaft um den Beziehungsaspekt erweitert: "Guter Sex tut gut. In jeder Beziehung." Allerdings konnte diese Kampagne nicht verhindern, dass Viagra® kontinuierlich Marktanteile verlor und in einigen Ländern, wie zum Beispiel in Frankreich, hinter Cialis® zurückfiel.

Trotzdem: immer noch ein Tabuthema

Trotz der erheblichen Medienpräsenz der Erektionsstörung – seit der Markteinführung von Viagra® – zählt diese nach wie vor zu den Tabuthemen im Gespräch unter Männern, aber auch im Gespräch zwischen Patient und Arzt. Viele Männer versorgen sich daher über das Internet mit Informationen zum Thema und erscheinen immer öfter mit einer vorgefassten Meinung in der urologischen Sprechstunde. Da das Heilmittelwerbegesetz in Deutschland Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente außerhalb des Fachpublikums untersagt, setzen alle drei Wettbewerber auf Information.

Alle drei Produkte sind mit Portalen im Internet präsent, die den Beratungs- und Informationsaspekt in den Mittelpunkt stellen. Dabei fehlt auf diesen Portalen jeglicher Hinweis auf das zu bewerbende Produkt. Ein Werbefoto mit einer Tablette Levitra® in der Hand einer Frau wurde zum Beispiel wenige Tage nach der Veröffentlichung von den Wettbewerbern durch eine einstweilige Verfügung gestoppt. Natürlich will man trotzdem den Konsumenten erreichen und vom beworbenen Produkt überzeugen. Der Spagat, ein Produkt zu bewerben, ohne es explizit zu erwähnen, ist bei allen drei Portalen mehr oder weniger gut gelungen. Die Produktnamen sind direkt mit den Info-Portalen verlinkt, der Konsument bemerkt zuerst nicht, dass die von ihm gesuchte Potenzpille gar nicht auf der Seite erscheint. Auffallend ist, dass sich die Angebote aller drei Wettbewerber nicht allein an Männer, sondern an Paare richten. Auf allen Portalen finden sich Informationen für Sie und Ihn.

Internet-Präsenz – Werbung ohne Namen

Der einstige Marktführer Viagra® kommt mit www.mann-info.de etwas holprig daher; die Seite ist in Pfizer- und Viagra® -typischem Blau gehalten und macht einen fachlich soliden, optisch eher etwas unterkühlten Eindruck. Besonderes Feature des letzten Jahres war eine Biergartenaktion, mit der man wohl beabsichtigte, dem Konsumenten des Produktes ein Gesicht zu geben. Nicht weniger holprig erscheint da die Informationsseite von Lilly/ICOS; unter www.ed-magazin.de gibt es ein solides, in Cialis® -Grün gehaltenes Angebot. Die medizinischen Informationen sind hochwertig und umfassend. Videos und Gimmicks, wie ein Restaurant-Finder, ergänzen das Angebot. Unter www.jetzt-lieben.de vertreibt Bayer seine Informationen zum Thema. Die ganze Seite ist in einem satten Orange gehalten und optisch sehr ansprechend gestaltet. Die Hintergrundinformationen zur Erektionsschwäche sind vergleichbar mit denen der Wettbewerber, der Stil driftet allerdings allzu sehr in eine aufgesetzt lockere aber oberflächliche Gesundheits-Prosa ab ("Ihr Partner kann nicht? Dann klicken Sie hier.") Als besonderes Schmankerl findet Mann ein "Vitalsexual Webcoaching". Nicht nur ist der Name ein satter Zungenbrecher, das Beratungsangebot schlittert auch inhaltlich nahe an der Peinlichkeitsgrenze entlang.

Das Ziel der marketingnahen Informationsportale ist offensichtlich: Der Patient soll vor einem Arztbesuch mit einer vorgefertigten Meinung über ein bestimmtes Produkt ausgestattet werden. Sucht er dann seinen Arzt auf und äußert seine Meinung, wird er mit einiger Sicherheit genau dieses Produkt rezeptiert bekommen, insofern kein medizinischer Grund dagegen spricht.

Auch Ärzte im Marketing-Fokus

Außer über zwielichtige Kanäle im Internet, sind die Produkte nur nach einer ärztlichen Verschreibung zu beziehen. Damit stehen auch die verschreibenden Ärzte (vor allem Urologen, aber auch Hausärzte und Internisten) im Fokus der Marketing-Aktivitäten der Wettbewerber. Klassisches Marketing-Tool im Pharmasektor ist der Außendienstmitarbeiter, der mehr oder weniger gut geschult mit Hochglanz-Broschüren und Slide-Kits seine Aufwartung in der Klinik oder Praxis macht. Im Internet sind, wiederum durch das Heilmittelwerbegesetz auf Fachkreise reglementiert, Fach-Informationen zu den drei Medikamenten verfügbar. Parallel zu den Seiten für die Öffentlichkeit werden von den Wettbewerbern Informationsportale für das Fachpublikum betrieben, die die medizinische Datenlage meist zugunsten des jeweiligen Produktes aufbereiten. Der an medizinischen Hintergrundinformationen Interessierte kann hier allerdings keine vollständigen und unabhängigen Daten erwarten.

Trend zum Lifestyle-Präparat

In der jüngsten Vergangenheit lässt sich eine neue Tendenz in den Marketing-Bemühungen der drei Mitspieler im Markt der Erektilen Dysfunktion erkennen: Die Produkte werden mehr und mehr als Lifestyle-Produkte angepriesen, wohl auch, um Männer ohne Erektionsstörung zu rekrutieren. In den USA droht Pfizer bereits eine Klage der Organisation AIDS Healthcare Foundation, die dem Konzern vorwirft, Viagra® mit einem "sexy und sicher"-Image auszustatten und damit die Vorstellung zu vermitteln, dass das Medikament auch ohne Erektionsstörung zu verwenden sei. Diese Haltung würde, so die AIDS Healthcare Foundation, eine gewisse Sorglosigkeit der Konsumenten auch im Hinblick auf eine mögliche Ansteckung mit HIV fördern. Ins Bild passt da die Überlegung von Pfizer, eine nicht rezeptpflichtige Version des Medikamentes auf den Markt zu bringen.

Über kurz oder lang steht uns sicher ein noch aggressiveres Marketing für erektionsfördernde Präparate ins Haus. Auch der eine oder andere deutsche Prominente wird dem Werben der Pharmaindustrie nicht lange widerstehen können.

Anschrift des Verfassers:

Dr.André Reitz, Bereich Neuro-Urologie, Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, Schlierbacher Landstr. 200a, 69118 Heidelberg
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