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Arzneimittel und Therapie
Risikogebiete in Afrika und Asien
Bei Fernreisen auch an die Polioimpfung denken!
Viele Eltern und Ärzte achten akribisch darauf, dass Kinder alle Impfungen erhalten und so umfassend vor schweren Infektionskrankheiten geschützt sind. Weniger sorgfältig sind die meisten Erwachsenen, wenn es um ihren eigenen Impfschutz geht. Das gilt auch bei Polio.
"Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist bitter". Mit diesem Slogan wurde noch vor wenigen Jahrzehnten für die Impfung gegen Polio geworben. Seit 1998 wird in Deutschland allerdings nicht mehr oral mit einer Lebendvakzine (OPV) geimpft, sondern mit einem Totimpfstoff, der i.v. oder s.c. injiziert wird (inaktivierte Polio-Vakzine, IPV). Der Grund: Die Impfung mit dem Lebendimpfstoff ging mit einem gewissen Risiko für eine paralytische Poliomyelitis einher (1:2,6 Millionen). Eine Gefahr, die beim Totimpfstoff nicht besteht. Der Impfschutz bei Kindern in Deutschland ist ausreichend mit einer Durchimpfungsrate von über 95%. Doch schon bei den Jugendlichen sinkt die Rate gerade in den alten Bundesländern auf nur noch 81%. Für Erwachsene fehlen zuverlässige Daten, doch es wird von erheblichen Impflücken ausgegangen.
Die Grundimmunisierung besteht, je nach Impfstoff, aus zwei bis drei Impfungen im Abstand von vier bis acht Wochen, einer dritten bzw. vierten Impfung nach sechs bis zwölf Monaten sowie einer Auffrischimpfung zwischen dem 9. und 17. Lebensjahr. Damit wird eine vollständige Polio-Immunisierung erreicht. Eine routinemäßige Auffrischimpfung nach dem vollendeten 18. Lebensjahr wird, anders etwa als bei der Tetanus-Impfung, nicht empfohlen. Erwachsene mit mindestens vier dokumentierten Impfungen gelten als vollständig immunisiert, andernfalls sollte eine Grundimpfung bzw. eine Komplettierung durchgeführt werden.
Fernreisende und medizinisches Personal im Blick
Eine Auffrischung der Polio-Impfimmunität durch inaktivierte Polio-Vakzine, falls die letzte Impfstoffgabe länger als zehn Jahre zurückliegt, gegebenfalls eine Grundimmunisierung oder Ergänzung fehlender Impfungen ist nur für exponierte Personengruppen indiziert, nämlich für
- Reisende in Regionen mit Infektionsrisiko laut WHO; Personen ohne Nachweis einer Grundimmunisierung sollten vor Reisebeginn wenigstens zwei Dosen inaktivierte Polio-Vakzine erhalten.
- Aussiedler, Flüchtlinge und Asylbewerber aus Risikogebieten, die in Gemeinschaftsunterkünften leben;
- Personal derartiger Einrichtungen;
- medizinisches Personal mit potenziellem Kontakt zu Erkrankten;
- Personal in Laboratorien mit Poliomyelitis-Risiko
Eine Polio-Auffrischimpfung ist alle zehn Jahre indiziert.
Und: Tritt ein Poliofall auf, werden sofort alle Kontaktpersonen, unabhängig von ihrem Impfstatus, mit inaktivierten Polio-Vakzinen geimpft.
Infektionsweg und Dauer der Ansteckungsfähigkeit
Polioviren sind kleine, sphärische, unbehüllte RNA-Viren, die dem Genus Enterovirus und der Familie der Picornaviridae zugehörig sind. Basierend auf serologischer Typisierung werden drei Typen von Polioviren unterschieden (I, II, III). Polioviren sind wie alle anderen Enteroviren als Voraussetzung für die Magen-Darm-Passage bei niedrigem pH-Wert < 3 stabil und gegen eine Vielzahl proteolytischer Enzyme resistent. Wegen der fehlenden Lipidhülle ist das Virus resistent gegen lipidlösliche Mittel wie Äther, Chloroform oder Detergenzien.
Das Poliovirus wird hauptsächlich fäkal-oral übertragen. Schon kurz nach Infektionsbeginn kommt es zu massiver Virusreproduktion in den Darmepithelien, so dass 106 bis 109 infektiöse Viren pro Gramm Stuhl ausgeschieden werden können. Wegen der primären Virusvermehrung in den Rachenepithelien kann das Virus kurz nach Infektion auch durch eine Tröpfcheninfektion mit der Luft übertragen werden. Die Inkubationszeit beträgt etwa drei bis 35 Tage. Eine Ansteckungsfähigkeit besteht solange das Virus ausgeschieden wird. Die Virusausscheidung im Stuhl beginnt nach 72 Stunden und kann mehrere Wochen dauern.
Keine spezifische Therapie mit antiviralen Substanzen
Die Mehrzahl der Infektionen (> 95%) verlaufen asymptomatisch unter Ausbildung von neutralisierenden Antikörpern. Manifeste Krankheitsverläufe können verschiedener Art sein: Bei der abortiven Poliomyelitis kommt es nach einer Inkubationsperiode von etwa neun Tagen bei 4 bis 8% der Infizierten zu kurzzeitigen unspezifischen Symptomen wie Fieber, Übelkeit, Halsschmerzen, Myalgien und Kopfschmerzen; Zellen des ZNS sind bei dieser Form nicht von der Infektion betroffen.
Infiziert das Poliovirus Zellen des ZNS, kommt es zu einer nicht-paralytischen (1 bis 2%) oder zu einer paralytischen (0,1 bis 1%) Poliomyelitis: Bei der nichtparalytischen Poliomyelitis treten etwa drei bis sieben Tage nach der abortiven Poliomyelitis Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen auf. Im Liquor finden sich eine lymphozytäre Pleozytose, normale Glucosespiegel und normale oder etwas erhöhte Proteinspiegel.
Bei der paralytischen Poliomyelitis kommt es nach einem oder mehreren Tagen neben schweren Rücken-, Nacken- und Muskelschmerzen zur schnellen oder schrittweisen Entwicklung von Paralysen.
Jahre oder Jahrzehnte nach der Erkrankung kann es zu einer Zunahme der Paralysen mit Muskelschwund kommen. Es wird angenommen, dass es infolge einer chronischen Überlastung und nachfolgenden Degeneration der ursprünglich nicht durch die Krankheit geschädigten Motoneurone zu dieser chronisch progredient verlaufenden Muskelschwäche kommt.
QuelleProf. Dr. Frank von Sonnenburg, München: "Vereinfachter Impfplan für Erwachsene: gegen Impflücken bei Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Polio", Dresden, 14. Juni 2007, veranstaltet von der Sanofi Pasteur MSD GmbH, Leimen.
Poliomyelitis. Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte des Robert Koch-Instituts, Stand November 2004.
Apothekerin Dr. Beate Fessler
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