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DAZ aktuell
Pharmagroßhandlung Anzag
"Wir haben Regenschirme aufgespannt"
FRANKFURT (diz). Nicht nur über Apotheken, auch über dem deutschen Pharmagroßhandel breiten sich düstere Wolken aus. Politische Eingriffe in den Markt, die Rufe interessierter Kreise nach dem Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes und Vorstöße von Franchiseketten bringen heftige Unruhe ins Großhandelsgeschäft. Einer aktuellen Studie zufolge ist die Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells "vollversorgender herstellerneutraler pharmazeutischer Großhandel" unter Druck geraten durch Reformen, durch die Kopplung des Erlösmodells an den Preis und durch veränderte Marktbedingungen. Hinzu kommt die Bedrohung durch von einigen Herstellern forcierte Kommissionsmodelle, die den Großhändler nur noch als Logistiker sehen. Über die Lage des Großhandels und der Pharmahandlung Andreae Noris Zahn AG (Anzag) sprachen wir mit Dr. Thomas Trümper, Vorstandsvorsitzender der Anzag, und Wolfgang Traut, Anzag-Finanzvorstand und zuständig für Vertrieb.
DAZ Herr Trümper, nicht nur für die Apotheken scheint der Markt enger zu werden, auch für den Großhändler. Keine rosigen Aussichten? Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Gefahren für Ihre Branche?
Trümper: Die größten Gefahren drohen eindeutig von Seiten der Politik. Sie versucht, durch Eingriffe in den Markt den freien Wettbewerb zu lenken. Es wird zwar über Liberalisierung und Wettbewerb gesprochen, teilweise werden auch Hürden abgebaut, aber dies hat nur wenig mit freiem Wettbewerb zu tun. Im Grunde laufen wir in eine Planwirtschaft hinein. Leider ist es so, dass der Großhandel dabei zwischen den Handelspartnern eingeklemmt wird. Nur auf unserer Handelsstufe soll noch Wettbewerb über Rabatte gegenüber den Apotheken stattfinden. Aber: Wir können uns diese entgangenen Einnahmen zum Ausgleich nirgendwo zurückholen. Der Hersteller muss das Arzneimittel zum gleichen Preis an den Großhandel verkaufen wie an die einzelne Apotheke. Wir müssen aber zusätzlich unsere gesamten Leistungen wie Warenannahme, Lagerung, Lieferung an die Apotheke, Retourenmanagement und nicht zuletzt die Zwischenfinanzierung schultern und dazu noch aufgrund des Marktdruckes hohe Rabatte an die Apotheken geben. Das ist nicht gerecht und hat nichts mehr mit Wettbewerb und freier Marktwirtschaft zu tun. Auf dieser Basis können wir unser Geschäft eigentlich nicht mehr betreiben. Um es klar zu sagen: Wir sind nicht per se gegen Rabatte, sie sind ein Instrument des freien Marktes. Aber wenn wir die einzigen sind, die zwischen den Handelsstufen Rabatte geben dürfen, dann hat das mit freiem Wettbewerb nichts zu tun und ruiniert unser Geschäft, weil Rosinenpicker dieses Defizit ausnutzen.
DAZ Und wie sehen Sie den Wettbewerb zwischen Hersteller und Kassen?Trümper: Auch dieser Wettbewerb ist ein gelenkter Wettbewerb. Hier werden Rabatte zwischen Krankenkassen und Herstellern ausgehandelt, die Leistungen aber müssen andere Handelsstufen – vor allem die Apotheken und der Großhandel – erbringen, die überhaupt nicht in diese Rabattverträge mit einbezogen werden und davon keine Vorteile, sondern mit Blick auf den Großhandel nur Nachteile haben.
DAZ Bleiben wir bei den Rabattverträgen. Welche Auswirkungen spüren Sie als pharmazeutischer Großhandel?Traut: Die Auswirkungen waren anfangs dramatisch, weil die Hersteller ihre Ware beim Großhandel nicht ausreichend bevorratet haben, der Großhandel konnte nicht bedarfsgerecht liefern. Die Situation hat sich mittlerweile etwas gebessert, allerdings abhängig vom Hersteller. Noch immer gibt es Produkte, deren Lieferfähigkeit schlecht ist. Hier haben wir Defektquoten von 20 und 30 Prozent, sogar bis zu 50 Prozent. Die Situation wird auch weiterhin problematisch bleiben.
Trümper: Unsere Bemühungen den Krankenkassen zu erklären, wie dieser Markt funktioniert und was man tun kann, damit es besser läuft, sind bisher im Raum verhallt. Von Seiten des Großhandelsverbands Phagro steht nach wie vor das Angebot an die Krankenkassenvertreter, den Großhandel zu besichtigen, damit sie alle Prozessschritte eines Betriebs vom Einkauf über die Lagerung bis zur Auslieferung sehen. Allerdings wurde uns inzwischen Interesse an einem Informationsaustausch signalisiert, leider sehr spät.
DAZ Jetzt läuft eine neue Ausschreibung der AOK, das bedeutet, Sie müssen sich wieder auf eine neue Situation umstellen …Trümper: Wenn jetzt Wirkstoffe anderer Firmen zur Versorgung der AOK-Patienten eingesetzt werden, dann könnten wir vorher die Bestände nicht runterfahren, um möglichst keine Verluste zu machen. Halten wir die Bestände im Interesse der Patienten bis zum Stichtag, sind wir wahrscheinlich die Dummen, weil wir anschließend auf der Ware sitzen bleiben. Denn der Hersteller wird uns nicht noch einen Lagerausgleich geben – er hat genug damit zu tun, dass er nicht mehr liefern darf. Darum haben wir ein großes Interesse daran, den Rabattpartnern die Rahmenbedingungen im Großhandel frühzeitig zu erklären, damit mögliche Schwierigkeiten, die auf dem Rücken der Apothekerinnen und Apotheke und der Patienten ausgetragen werden, vermieden werden können.
DAZ Wettbewerb ist das eine Thema. Die Politiker reden aber auch von mehr Liberalisierung im Apothekenbereich. Stichworte sind hier Fremdbesitz, Mehrbesitz, Versandhandel. Welche Position nimmt denn der Großhandel hierzu ein?Trümper: Die Anzag will dies eindeutig nicht. Wir meinen, dass unser System der Arzneimitteldistribution mit der inhabergeführten selbstständigen Apotheke die beste Lösung für das Land Deutschland ist. In anderen Ländern mit anderen Organisationen mag dies anders sein. Dort kann es durchaus sinnvoll sein, dass sich der Großhandel auch im Einzelhandel beschäftigt. Aber für unsere deutschen Strukturen gibt es unserer Meinung nach kein effizienteres System, ökonomisch und ethisch gesehen, als das, was wir heute haben, nämlich die Schiene Hersteller, Großhandel, Apotheke. Der Apotheker, der sich dafür verantwortlich fühlt, dass die Versorgung seiner Patienten bestens funktioniert, braucht dazu den pharmazeutischen Großhandel.
DAZ Der Apothekenmarkt ist zurzeit stark in Bewegung, nicht zuletzt wegen eines Mitbewerbers im Markt, der offen erklärt hat, in Richtung Apothekenkette zu marschieren. Apotheken, die sich abwenden, versucht man mit guten Rabatten zum Bleiben zu bewegen. Kommen bei Ihnen schon die Auswirkungen an in Form eines zunehmenden Rabattwettbewerbs?Traut: Der Markt ist in der Tat zunehmend nervös. Einige Apotheker versuchen in einer, wie wir meinen, unverantwortlichen Weise die Situation zu nutzen, um die Rabatte nach oben zu treiben.
DAZ Aber der Apotheker sieht sich heute enorm unter wirtschaftlichem Druck aufgrund politischer und wirtschaftlicher Zwänge – da muss man auch seine Seite sehen …Traut: Das ist richtig. Aber: Wir laufen in eine "Rabatt-ist-geil-Mentalität" hinein. Beispiele aus anderen Branchen zeigen, dass das letztendlich für den Verbraucher – in unserem Fall für den Apotheker – nicht optimal ist. Genau das wird sich hier auch zeigen. Es kommt ein Verdrängungswettbewerb auf uns zu, angeheizt durch diese "Rabatt-ist-geil-Mentalität". Leidtragende ist der, der heute meint, er sei Nutznießer daraus.
DAZ Der Apotheker soll Heilberufler und Kaufmann sein. Sehen Sie das genauso?Trümper: Für uns sollte der Apotheker besser Heilberufler und Unternehmer sein. Der Begriff Unternehmer schließt mehr ein als die Bezeichnung Kaufmann, dieser Begriff ist mir zu negativ belegt. Der Erhalt des langfristigen Ertrages einer Apotheke ist wichtig, daher Unternehmer mit der entsprechenden unternehmerischen Verantwortung. Aus unserer Sicht sollte sich der Apotheker in der Zukunft so sehen, und nebenbei gesagt, sehr viele Apotheker sehen das ja schon lange so.
DAZ Wie unterstützt die Anzag den Apotheker, diesen unternehmerischen Weg zu gehen?Traut: Wir haben beispielsweise kräftig in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter investiert, vor allem in die Vertriebsmannschaft. Denn sie sind diejenigen, die mit dem Apotheker in Kontakt kommen. Wir haben die Mitarbeiter in Teams qualifiziert mit Hilfe eines persönlichen Entwicklungsprogramms. Für die Qualifizierung haben wir in diesem Jahr den Internationalen Trainings- und Beraterpreis in Gold gemeinsam mit dem durchführenden Institut bekommen. Wir freuen uns darüber, wenn Apotheker unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet anerkennen, honorieren und sehen, dass Rabatt nicht alles ist.
DAZ Was hat der Apotheker konkret davon?Traut: Anzag-Mitarbeiter sind dadurch heute in der Lage, die selbstständige Apotheke mit ihren Chancen und Risiken ganzheitlich zu verstehen und in ihrem Weg zu unterstützen. Zu den angebotenen Leistungen gehören unter anderem Sortimentsberatung, Inhouse-Schulungen in Apotheken, Vermarktungsvorschläge für Waren und vieles mehr. Wir haben auch Konzepte mit der Industrie entwickelt, die wir den Apotheken anbieten. Weitere Serviceleistungen sind z. B. die Dokumentation der Nicht-Lieferfähigkeit von Rabattarzneimitteln über mehrere Jahre, damit der Apotheker bei Bedarf gegenüber den Kassen die Nachweise erbringen kann.
DAZ Welche Bedeutung hat die Apothekenkooperation "vivesco" für die Anzag?Trümper: Wir waren der erste Großhändler – es war 2003 –, der über die Fachpresse informierte, dass wir eine Kooperation gebildet haben. Wir sind bis heute auch die einzigen, die eine Kooperation als Großhandel betreiben, an der die Apotheker als stille Gesellschafter Teilhaber sind. Wir haben einen Beirat, über den die Apotheker mitbestimmen können, was mit der vivesco passiert. Vivesco ist ein wesentlicher Baustein für die Zukunftsentwicklung der Anzag, weil wir sehen – ohne über den Fall des Fremdbesitzverbotes zu spekulieren –, dass es immer mehr Zusammenschlüsse von Apotheken gibt, in welcher Form auch immer. Solche Zusammenschlüsse haben Vorteile für den Apotheker, weil sie in der Bekanntheit voneinander profitieren, Kosten umgelegt werden können wie beispielsweise Werbemaßnahmen. Vivesco ist sicher nicht ein Modell für jeden Apotheker. Dennoch können sich hier die Apotheker wiederfinden, die den Kampf in Zukunft nicht alleine aufnehmen wollen, sondern an gemeinsamen Lösungen partizipieren wollen, ohne die Selbstständigkeit aufzugeben. Das ist unser Konzept. Rund 1200 Apotheken haben sich vivesco angeschlossen – eine Größenordnung, mit der man einiges bewegen kann. Wir freuen uns, über jeden Kunden, der sich noch anschließen und die Kooperation mitgestalten will, aber wir sind nicht traurig, wenn wir hier nicht noch wesentlich wachsen. Wir legen Wert auf Qualität und nicht auf Quantität.
DAZ Werfen wir einen Blick in die Zukunft, Herr Trümper. Es gibt schwarze Wolken am Himmel. Kräfte von Seiten der Industrie wollen den Großhandel auf eine reine Logistikerfunktion reduzieren, der Europäische Gerichtshof entscheidet über das Fremdbesitzverbot. Zurückkommend auf die Eingangsfrage: Sehen Sie den pharmazeutischen Großhandel als Vollversorger in Gefahr?Trümper: Für die Branche insgesamt gesehen gibt es in der Tat dunkle Wolken. Deswegen hat der Bundesverband Phagro eine Studie in Auftrag gegeben, um zu erfahren, wo die Schwachstellen liegen und wie wir uns für die Zukunft fit machen können. Bezogen auf die Anzag kann ich sagen, dass wir Regenschirme aufgespannt haben, vor allem mit einer vivesco, mit der Tochterfirma CPL als Logistikunternehmen und vielem mehr.
DAZ Sehen Sie den vollversorgenden Großhändler in Gefahr?Trümper: Ja, wenn manche Entwicklungen so weitergehen wie bisher. Dabei ist der vollversorgende Großhandel wichtiger denn je. Daran möge bitte jeder Apotheker denken, bevor er den nächsten Vertrag zur Direktbelieferung unterschreibt. In anderen Ländern, beispielsweise in den USA, gibt es Vereinbarungen, dass ein Hersteller nur an den Großhandel liefert und der Großhandel nur vom Hersteller bezieht. Der Großhandelsverband Phagro fordert eine solche Regelung auch für unser Land, aber bisher ohne Erfolg.
DAZ Ist die Anzag für die Zukunft gerüstet?Trümper: Ja, wir sind überzeugt, ein tragfähiges und zukunftsweisendes Leistungs- und Servicepaket für die selbstständige Apotheken anzubieten. Dabei verstehen wir uns zu 100 Prozent als Partner der selbstständigen Apotheke, die die anstehenden Herausforderungen gemeinsam lösen wollen. Kurz: Wir verhalten uns als Anzag so im Markt, dass der Kunde ein Optimum an Leistung von uns erhält. Aber man muss dies vor dem Hintergrund sehen, dass der pharmazeutische Großhandel aufgrund politischer Vorgaben deutliche Ertragseinbußen hinnehmen musste. Das Bild, das in unserem Bereich von international tätigen Konzernen mit zum Teil zweistelligen Zuwachsraten vermittelt wird, zeigt nicht auf den ersten Blick, dass diese Zuwächse meist im Ausland erwirtschaftet werden und verwischt für den Apotheker das wirkliche Bild des deutschen Großhandelgeschäfts. Würde dies besser kommuniziert werden, hätten wir mit Sicherheit andere Diskussionen in Deutschland. Der deutsche pharmazeutische Großhandel ist mit seiner Marge auf einem Niveau angekommen, wo man eigentlich kein Geschäft mehr betreiben kann. Daran müssen und wollen wir gemeinsam mit den selbstständigen Apothekerinnen und Apothekern arbeiten.
DAZ Herr Dr. Trümper, Herr Traut, vielen Dank für das Gespräch.
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